Nachricht | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Globalisierung - Gesellschaftstheorie Javier Milei und die Hayek-Gesellschaft

Gleich drei Think-Tanks verleihen Preise an den argentinischen Präsidenten. Die Reise des rechtslibertären Hoffnungsträgers durch Prag, Madrid und Hamburg wirft ein Licht auf die politische Netzwerk- und Lobbyarbeit der neoliberalen Kräfte und auf ihre Verstrickung mit der radikalen Rechten.

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Dieter Plehwe,

Neoliberale und nationalkonservative Interessen treffen sich häufig, etwa beim Kampf gegen die globale Klimapolitik. Der marktradikale argentinische Präsident Javier Milei und die rechtsradikale italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni beim beim G7-Gipfel in Apulien (14.6.2024). Foto: IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Die aktuelle Europa-Tour des argentinischen Präsidenten Javier Milei ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich neoliberale Think-Tanks und Intellektuelle sowie deren Finanzgeber global organisieren. Bevor Milei am 22. Juni 2024 in Hamburg von der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft die Hayek-Medaille entgegennimmt, holt er sich am 18. Juni in Prag den Preis des dortigen Liberalen Instituts ab. Danach reist er nach Madrid zum Instituto Juan de Mariana, um am 21. Juni deren Preis für marktradikale Propagandisten zu empfangen.

Dieter Plehwe ist Wissenschaftler am WZB und Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Kassel. Zuletzt erschien «Market Civilization: Neoliberals East and South», herausgegeben gemeinsam mit Quinn Slobodian, bei Zone Books, sowie «Nine Lives of Neoliberalism«, herausgegeben gemeinsam mit Quinn Slobodian und Phil Mirowski, bei Verso.

In Hamburg findet am 20.6. anläßlich der Preisverleihung eine Gegenveranstaltung unter dem Motto «Keine Medaille für Javier Milei!» statt (wird auch online übertragen).

Milei ist der neue Liebling und Hoffnungsträger der gebeutelten neoliberalen Kräfte und der aufstrebenden Nationalkonservativen. Dessen offene Kampfansage an Gewerkschaften und Umweltorganisationen ist Balsam auf die Seele neoliberaler Organisationen, die in vielen Ländern der Welt im Zuge der Vielfachkrisen und des Versagens marktradikaler Konzepte in die Defensive geraten sind. Die Zerschlagung des ohnehin schwachen argentinischen Wohlfahrtsstaates im Namen der ökonomischen Freiheit und der Währungsstabilität, also im Interesse der Vermögenden, verspricht die Rückkehr zur Herr-im-Haus-Mentalität konservativer Traditionalisten. In Argentinien zaubert Milei die Rezepte aus dem alten Hut, die das Land in den 1990er Jahren in den Staatsruin getrieben haben: Die von Naomi Klein detailliert untersuchte «Schock-Strategie» (2007). Die vermehrte Anwendung von physischer Gewalt und der anti-demokratische Umbau des Staatswesens unter Milei veranschaulichen die – wie einst in Pinochets Chile – enge Verbindung von Rechtsliberalismus, reaktionärem Konservatismus und autoritären Regimes.

Milei befindet sich als baldiger Vielfachpreisträger in bester neoliberaler Gesellschaft. Jedes der genannten Institute sowie viele andere Partnerorganisationen verleihen Preise an eine überschaubare Zahl von neoliberalen Ikonen, darunter besonders viele akademische Mitglieder der Mont Pèlerin Gesellschaft, befreundete Journalisten und Politiker sowie einzelne Unternehmer. Die männliche Form ist in diesem Fall bewusst gewählt: Unter den (mit Milei) 22 Trägern der Hayek-Medaille ist mit der konservativen Meinungsforscherin Prof. Dr. Elisabeth Noelle-Neumann z.B. genau eine Frau. Die Hayek-Gesellschaft vergibt seit 2017 auch einen Hayek-Netzwerk-Preis, der u.a. an die globale libertäre Studierendenorganisation Students for Liberty und das AfD-nahe Radio Kontrafunk mit Sitz in der Schweiz (Gründer: AFD-Mitglied Burkard Müller-Ullrich) ging. Der spektakuläre Wahlsieg des bekennenden Anarchokapitalisten Milei ermöglicht tiefe Einblicke in die transnationale Zivilgesellschaft des organisierten Neoliberalismus und ihre jeweiligen nationalen Eckpfeiler.

Was ist die Hayek-Gesellschaft?

Die deutsche Hayek-Gesellschaft wurde 1998 in Freiburg gegründet, um die Ideen des neoliberalen Vordenkers Friedrich August von Hayek (1899-1992) in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu verbreiten. Das geschieht über Tagungen und Symposien, die jährlichen «Hayek-Tage», das «Forum Freiheit» und die Arbeit von Hayek-Clubs im ganzen deutschsprachigen Raum. Mit Essay-Wettbewerben werden Nachwuchswissenschaftler*innen angesprochen, während verdienten Mitgliedern und Freunden, darunter viele Ökonomen und einige Rechtswissenschaftler, mit den Hayek-Medaillen gedankt wird. Die Arbeit der Gesellschaft wird über die Radmacher-Stiftung finanziert, deren Mittel so lange fließen sollen, wie Gerd Habermann, der Vertraute des verstorbenen Stifters, in der Hayek-Gesellschaft den Ton angibt. Enge Verbindungen bestehen nicht nur zur FDP, zur AfD und zur Werteunion, sondern auch zu diversen wirtschaftsliberalen Lobbyorganisationen: zum Verband Die Familienunternehmer, der unter dem früheren Namen Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU) schon in der Kohl-Ära die Politik der konservativ-liberalen Regierung von rechts attackierte, zu Mises-Instituten und deren Förderern von Degussa Goldhandel sowie zur Jenaer Allianz, in der Wirtschaftslobbyorganisationen (Institut Neue Soziale Marktwirtschaft, Die Familienunternehmer, Bund Katholischer Unternehmer) mit Stiftungen und neoliberalen Think-Tanks zusammenarbeiten.

Die Kräfte des organisierten Neoliberalismus stützen sich in Deutschland auf eine ganze Reihe von Organisationen, die sich im global agierenden «Atlas Netzwerk» zusammengeschlossen haben. Neben der Hayek-Gesellschaft gehören dazu unter anderem das Institut für Unternehmerische Freiheit, das mit dem so genannten Europäischen Institut für Klima und Energie (EIKE) jährlich Konferenzen zum Thema Klimawandel organisiert, auf denen deutsche, europäische und internationale Klimawandelleugner auftreten, das Freiburger Centrum für Europäische Politik, das Prometheus Institut des FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler und das Netzwerk Ordnungsökonomik und Sozialphilosophie (NOUS), gegründet u.a. von der früheren Vorsitzenden der Hayek-Gesellschaft Karen Horn und von Lars Feld, dem ehemaligen «Wirtschaftsweisen» und engen Vertrauten von Bundesfinanzminister Christian Lindner.

Ebenso wie sich in den USA mittlerweile sowohl Gegner als auch Anhänger des Rechtsaußen-Republikaners Trump in den neoliberalen und konservativen Think-Tanks bewegen, findet sich in Deutschland ein breites rechtes Spektrum in den hiesigen Organisationen des Netzwerks. Zwar haben einige bekannte FDP- und CDU-Anhänger die Hayek-Gesellschaft verlassen und das NOUS-Netzwerk gegründet, weil die Hayek-Gesellschaft immer mehr nationalkonservativen Neoliberalen mit Hang zur AfD Platz bot. Dennoch sitzen im Vorstand der Hayek-Gesellschaft nach wie vor FDP-Mitglieder. Im Jahr 2021 ist die AfD-Vorsitzende Alice Weidel aus der Hayek-Gesellschaft ausgetreten, um Vorwürfe einer allzu großen AfD-Nähe zu entkräften. Der aktuelle Vorstand sieht keinen weiteren Bedarf nach einer Abgrenzung von rechts, selbst als die Teilnahme von Ulrich Vosgerau, Mitglied der Hayek-Gesellschaft und Anwalt von Björn Höcke, am Potsdamer Treffen mit Martin Sellner zur «Remigration» öffentlich wurde. Als weit größere Bedrohung wird in der Hayek-Gesellschaft nach wie vor die politische Linke gesehen.

Friedrich August von Hayek: Ikone des Neoliberalismus und des Nationalkonservatismus

Der Namensgeber der Hayek-Gesellschaft steht wie kein anderer für die Ideenwelt des Neoliberalismus, deren konservative und reaktionäre Dimensionen häufig übersehen wurden. Weil die Neoliberalismus-Interpretation der jüngeren Vergangenheit die Verabsolutierung des Marktes und die Radikalisierung der Individualisierung im Zuge der beschleunigten Globalisierung in den Mittelpunkt stellte, wurde etwa der wertkonservative Rechtsliberalismus der AfD (vor allem in der Anfangszeit) als «Rechtspopulismus» abgetan. Doch national- und wertkonservative Kreise können sich vollkommen zu Recht auf Hayek berufen, der ebenso wie Wilhelm Röpke und viele andere Neoliberale egalitäre Werte ablehnte. Zwar brachte Hayek in seinem Aufsatz «Warum ich kein Konservativer bin» zum Ausdruck, dass eine Gesellschaft nicht starr in der Vergangenheit verharren kann. Aber seine Perspektive des Wandels setzte auf langsame und keinesfalls auf zielstrebig gesteuerte Prozesse der Veränderung. Wie der Neoliberalismus insgesamt, wandte sich Hayek seit den 1930er Jahren damit sowohl gegen orthodoxe Vorstellungen bürgerlicher Herrschaft (klassisch-liberales Laissez-faire oder ein starrer Konservatismus) als auch gegen «kollektivistische» Ansätze gesellschaftlicher Veränderung. Analog zur Vorstellung der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher, die er genauso bewunderte wie sie ihn, ruhte für Hayek der soziale Zusammenhang in der Familie und der nahen Gemeinschaft, nicht in der Gesellschaft als ganzer.

Der Schutz des Eigentums (also der Schutz der Eigentümer), die Vertragsfreiheit (also die uneingeschränkte Handlungsfreiheit der Besitzenden) und die Herrschaft des Gesetzes (als Schutz vor der Intervention der demokratisch gewählten Parlamente in die ökonomischen Freiheitsrechte) sind die zentralen Werte des Neoliberalismus. Markt, Wettbewerb und Individualität, die Michel Foucault und viele andere Kritiker des Neoliberalismus in den Vordergrund gestellt hatten, sind vor allem Gegenkonzepte gegen Plan, staatliche Lenkung und Kollektiv. Hayek (1979, 73, Übersetzung durch die Redaktion) schrieb, es sei «wünschenswert, Monopole nicht nur zu tolerieren, sondern ihnen gar zu erlauben ihre Monopolposition auszunutzen, solange sie diese nur gebrauchen, um den Kunden besser zu dienen als andere, nicht aber, um andere, die denken es besser zu können, davon abzuhalten, es zu versuchen». Nach Hayek hat selbst das private Monopol nur dann Bestand, wenn der Staat die Dynamik des privaten Eigentums untergräbt.

Im Gegensatz zu deutschen Ordoliberalen sah Hayek auch keine besondere Notwendigkeit zur Sicherung des wirtschaftlichen Wettbewerbs. Sein Eintreten dafür, Brüche zwischen säkularem Liberalismus und Religion zu überwinden, verweist darauf, dass er im Individualismus keine hinreichende Grundlage für die soziale Ordnung sah. Wenn Nationalkonservative die neoliberalen Grundprinzipien des Eigentumsrechts, der Vertragsfreiheit und Herrschaft des Gesetzes in Fragen der ökonomischen Freiheit unterstützen, besteht für Hayek kein grundlegender Widerspruch. Das Verhältnis zu Pinochet und Chile veranschaulicht die Haltung besonders gut: Hayek schrieb feinsinnig vom autoritären Staat, der die Wirtschaftsfreiheit schütze und sich damit positiv vom totalitären Staat unterscheide, der die Wirtschaftsfreiheit einschränke. Zeit seines Lebens beschränkte sich Hayeks Kampf nicht auf die sozialistische Staatenwelt, sondern galt ebenso den sozialdemokratisch und z.B. christlich-sozial inspirierten Wohlfahrtsstaaten, weil sie auf dem Grundprinzip der Umverteilung beruhten.

Von Meloni über Le Pen bis zu Milei: Kampf der globalen Umverteilung

Die neuen nationalkonservativen Milieus sind aus neoliberaler Perspektive mitunter problematisch, weil die Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit das Prinzip der «Herrschaft der Gesetze» beschädigen können. Wenn Regierungen und Verwaltungen ihre Macht nicht nur gegen Gewerkschaften und soziale Bewegungen einsetzen, sondern auch Eigeninteressen von Regierungsmitgliedern bedienen, greift die neoliberale Kritik an Staat und Politiker*innen. Der Public-Choice-Theorie zufolge handeln Politiker*innen grundsätzlich nach Eigeninteressen. Die neoliberale Sicht des Staates ist daher immer ambivalent. Es geht nicht ohne den Staat, weil die kapitalistischen Wirtschaftsverhältnisse gesichert werden müssen. Gleichzeitig braucht es Kontrolle der Politik, damit sie marktkonform bleibt.

Eine Lösung liegt für Neoliberale in der Dezentralisierung, weil dann weniger Unheil angestellt werden könne. Besonders radikal vertreten die zahlreichen, weltweit verteilten Mises-Institute diese Position. Während früher die Hauptsorge der Neoliberalen den starken Gewerkschaften, sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien galt, weshalb neoliberale Strategien nationale Parlamente durch internationale Institutionen beschränkten (ökonomischer Konstitutionalismus), rücken zunehmend internationale politische Institutionen ins Zentrum neoliberaler Kritik. Besonders die Klimapolitik mit vielen Regelungsansätzen und Forderungen nach Umverteilung stellen die Vorherrschaft der privaten Marktregulierung in Frage. Hier treffen sich die neoliberalen Interessen mit den nationalkonservativen: Um die globale Klimapolitik in marktkonforme Bahnen zu lenken, stellen sie die globale Politik unter nationalen Vorbehalt. Die europapolitische Vorstellung der konservativen Reformer in Europa (Meloni & Co.) mit vielen rechtsliberalen Abgeordneten ist ebenso leicht zu beschreiben wie diejenige der Fraktion Identität und Demokratie im Europaparlament (Le Pen & Co.): abwickeln, Konzentration auf das Wesentliche der Wirtschaftsunion, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Diesem Ziel sei alles andere unterzuordnen, eben auch und vor allem die Umwelt- und Klimapolitik.

Die «neoliberale Familie» reicht bis in die katholische Kirche

Die Europareise des argentinischen Präsidenten wird von Alejandro Chafuen in seiner regelmäßigen Kolumne in der Zeitschrift Forbes journalistisch begleitet. Der katholische Neoliberale Chafuen kommt wie Milei aus Argentinien und wurde in den 1980er Jahren als jüngstes Mitglied in Hayeks Mont Pèlerin Gesellschaft aufgenommen. 1989 wurde er zum Nachfolger von Antony Fisher, dem Gründer des Atlas Netzwerkes und britischen Vertrauten von Friedrich August von Hayek. In den 20 Jahren bis zur Finanzkrise 2008 wuchs das Atlas Netzwerk unter seiner Leitung auf 120 Mitgliedsorganisationen. Chafuens Nachfolger, der Amerikaner Brad Lips, steigerte die Zahl der Mitglieder auf 500. In Lateinamerika stärken mehr als 100 Institute die neoliberale Bewegung. Sie trugen erheblich zum Aufstieg von Bolsonaro in Brasilien und von Milei in Argentinien bei.

Den politischen Einfluss der organisierten neoliberalen Zivilgesellschaft versteckt Milei hinter einem Verweis auf höhere Mächte. Chafuen wiederholt in seinem Forbes-Artikel dessen Bibel-Zitat, wonach himmlische Kräfte auch kleinen Armeen zum Sieg verhelfen könnten, und rückt Milei in die Nähe des Namensgebers des anfangs erwähnten Instituts in Madrid, dem Jesuiten Juan de Mariana. Chafuen weiß, wovon er redet, denn mithilfe der Acton Institute in den USA, Argentinien und Italien ist er selbst führend daran beteiligt, die neoliberalen Kräfte innerhalb der katholischen Kirche zu bündeln, nicht zuletzt im Opus Dei-Orden. Von Spanien ausgehend hat der Orden, beispielsweise durch die Gründung der Eliteschule Navarra Business School, viel Zeit und Kraft in die Verbreitung der neoliberalen Lehre in Spanien und Lateinamerika investiert – als Gegengift gegen die Theologie der Befreiung und in Konkurrenz mit den expandierenden evangelikalen Freikirchen (vgl. Moreton 2021). Wenn in Deutschland der Chef der Hayek-Gesellschaft Gerd Habermann im Rahmen der neoliberalen Jenaer Allianz mit dem Bund Katholischer Unternehmer zusammenarbeitet, ist das also keine Überraschung.

Diese Verästelungen der neoliberalen und nationalkonservativen Kräfte über Kontinente hinweg und bis in die katholische Kirche hinein zeigen: Das ganze Ausmaß der «neoliberalen Familie» wird erst deutlich, wenn wir die jeweils nationalen Mitglieder in ihrem transnationalen Kontext betrachten. Javier Mileis Stippvisite bei der Hayek-Gesellschaft in Hamburg bietet dazu eine hervorragende Gelegenheit.

Literatur

  • Hayek, Friedrich August von (1979): Law, Legislation and Liberty. A New Statement of the Liberal Principles of Justice and Political Economy, Chicago.
  • Klein, Naomi (2007): Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus, Frankfurt am Main.
  • Moreton, Bethany (2021): Our Lady of Mont Pelerin: The «Navarra School» of Catholic Neoliberalism, in: Capitalism: A Journal of History and Economics, Jg. 2, Nr. 1, Winter 2021, S. 88-153.