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Die Vereinigten Arabischen Emirate im Kontext der US-Hegemonie

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Colin Powers,

Foto: Unsplash / Fredrik Öhlander

Über viele Jahre hinweg haben die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) ein loyales Verhältnis zum US-amerikanischen Imperium gepflegt. Auf den ersten Blick scheint sich die erdölreiche Monarchie nun einer neuen multipolaren Weltordnung anzupassen. Seit 2022 haben die VAE sich aus Washingtons Wirtschaftskrieg gegen Russland zurückgezogen. Abu Dhabi, das Emirat, das für die Außen- und Energiepolitik der Föderation zuständig ist (und über den größten Teil der Ölreserven verfügt), blockierte den Ausschluss Russlands aus der Fördervereinbarung der OPEC+. Dubai, das größte Güterverkehrszentrum der Region, exportiert Drohnen und Halbleiter nach Russland und lässt russische Edelmetalle und Diamanten durch die Rohstoffbörse des Emirats (Dubai Gold- and Commodities Exchange, DGCX) passieren. Sowohl der Immobilienmarkt als auch die Häfen der Stadt stehen wohlhabenden Russ*innen offen, die dort ihr Vermögen in Sicherheit bringen wollen.

Colin Powers ist Senior Fellow und Chefredakteur des MENA-Programms von Noria Research.

Und es gibt noch einen weiteren Feind der USA, dem die Vereinigten Arabischen Emirate unschätzbare Hilfe leisten: Iran. Dank der Rohölexporte über die Häfen von Fudschaira konnte Teheran seine eigenen Ölexporte 2023 um 50 Prozent steigern. Abu Dhabi orchestriert beträchtliche Reexport-Ströme, während Dubai Schattenbankgeschäfte und Importvereinbarungen ermöglicht. Öffentlichen Statistiken zufolge beträgt das jährliche Handelsvolumen zwischen den VAE und Iran rund 25 Milliarden US-Dollar, was das Land zum zweitgrößten bilateralen Handelspartner der Emirate macht, wobei der illegale Handel, der auf 10 Mrd. US-Dollar geschätzt wird, noch nicht berücksichtigt ist.

Und dann ist da noch China, der inzwischen größte Abnehmer von Waren, die von den VAE produziert oder durch diese transportiert werden. Etwa zwei Drittel aller chinesischen Exporte in den Nahen Osten, nach Afrika und Europa werden über Häfen der VAE abgewickelt. Um den Handel zu optimieren, wurden umfassende Währungsswap-Abkommen zwischen den Zentralbanken geschlossen, und chinesische Geschäftsbanken haben sich im Internationalen Finanzzentrum von Dubai niedergelassen. Dort verfügen sie inzwischen über ein Viertel aller Vermögenswerte. Die «Bani Fatima» (der «Stamm der Fatima») – wie der Präsident der VAE und Herrscher Abu Dhabis, Muhammad bin Zayed Al Nahyan, und seine fünf Brüder mütterlicherseits genannt werden – beauftragten Huawei 2019 mit dem Ausbau der 5G-Infrastruktur des Landes, zum Leidwesen der amerikanischen Nationalen Sicherheitsbehörde (NSA). Tahnoon bin Zayed Al Nahyan, der nationale Sicherheitsberater der Emirate, hat über das Familienunternehmen 220 Milliarden US-Dollar in den Mutterkonzern von TikTok, ByteDance, investiert und damit Washington einen weiteren Denkzettel verpasst.

Dem Dollar verpflichtet

In mancher Hinsicht setzen die VAE tatsächlich auf zunehmende geopolitische Autonomie. Sich nicht zwischen rivalisierenden Supermächten entscheiden zu müssen, ist ein Privileg, das sich nicht nur auf die beispiellosen finanziellen Ressourcen des Landes stützt, sondern auch das Ergebnis von Lobbyarbeit und politischem Scharfsinn ist. (Mit der Unterzeichnung des Abraham-Abkommens im Jahr 2020 erhielt das Land außerdem verschiedene Vergünstigungen aus Washington.)

Die Motive der VAE lassen sich jedoch nicht auf das Streben nach Souveränität reduzieren. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass das jüngste Handeln der VAE eher im Einklang mit den Verpflichtungen gegenüber den USA steht, als dass es von diesen abrückt. Trotz ihrer Partnerschaft mit Staaten, die nicht mit der US-Hegemonie konform gehen, bleiben die Emirate dem Projekt einer neoliberalen Globalisierung unter Führung der USA verpflichtet. Sie sind somit ein treuer Diener des «Imperiums des Kapitals», wie Ellen Meiksins Wood die USA einst nannte.

Hinter den vermeintlichen Differenzen zwischen den VAE und den USA steckt weniger ein abtrünniger Diener des Imperiums als vielmehr ein Kaiser, der nicht mehr in der Lage ist, zu erkennen, was in seinem Interesse liegt, geschweige denn, es zu wahren.

Die Beziehungen der VAE zu Russland sind ein gutes Beispiel dafür. Obwohl sie den amerikanischen Interessen zu widersprechen scheinen, erleichtern sie die Strategie der USA, den globalen Rohstoffhandel weiterzuführen, als gäbe es den Krieg in der Ukraine nicht. In Anbetracht möglicher Versorgungsengpässe und deren Auswirkungen auf die Inflation hat Washington die Umgehung von Sanktionen möglichst einfach gestaltet: Die VAE wurden zur Durchgangsstation für russisches Rohöl, das auf diesem Wege ohne größere Komplikationen sogar in die Upper Bay von New York gelangen konnte. Die EU hat ihrerseits Gesetze erlassen, um eine Vereinbarung zu sanktionieren, die raffinierte Ölprodukte von den G7-Vorschriften ausnehmen soll. Das US-Finanzministerium bestrafte zwar im vergangenen Winter vier Schifffahrtsunternehmen der VAE für den Transport von russischem Rohöl, das über der G7-Preisobergrenze von 60 US-Dollar pro Barrel verkauft wurde. Dabei handelte es sich jedoch um eine rein symbolische Geste, mit der das Weiße Haus signalisieren wollte, dass es den Verstößen, die sich seit der Einführung des Preislimits häufen, nicht tatenlos zusieht. Die Höhe der Strafen war zu gering, um wirksam zu sein.

Abgesehen von den bescheidenen Gasverkäufen in Yuan, bleiben die Emirate dem Dollar und der Dominanz des amerikanischen Finanzsystems verpflichtet. Da die VAE fast ihr gesamtes Erdöl und fast alle Erdölprodukte in Dollar abrechnen und den Großteil ihrer Übergewinne im Ausland behalten, flossen allein im Jahr 2022 45 Milliarden US-Dollar in Eurodollar- und US-Bankenmärkte. Im darauffolgenden Jahr erhöhten die Emirate ihre Bestände an US-Staatsanleihen um etwa 40 Prozent, was die amerikanische Liquidität begünstigte und Washington half, sein Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit auszugleichen. Seit Covid haben amerikanische Banken zudem Anleihemissionen der VAE übernommen und platziert und darin eine reichhaltige Quelle für neue Einnahmen und Cashflow gefunden. Gleichzeitig haben die größten Staatsfonds des Landes – die Abu Dhabi Investment Authority (ADIA), Mubadala und die Abu Dhabi Developing Holding Company (ADQ) – riesige Summen an Petrodollar in US-Schattenbanken transferiert.

Hand in Hand mit Blackrock und Co.

Zudem stützen ADIA und Mubadala die wohl wichtigste institutionelle Säule des amerikanischen Finanzwesens: die Vermögensverwaltung. ADIA vertraut Blackrock und Co. 45 Prozent seines Kapitals an, während Mubadala eine nicht unbedeutende Beteiligung an der US-amerikanischen Investmentgesellschaft innehat. Im Rahmen der von der Biden-Regierung ins Leben gerufenen «Partnerschaft zur Beschleunigung sauberer Energie» hat die Vermögensverwaltungsfirma der Familie Al Nahyan grüne Investitionen im Wert von 30 Milliarden US-Dollar zugesagt, die gemeinsam mit Blackrock verwaltet werden sollen. Darüber hinaus haben die VAE langfristige Pachtverträge für Waldflächen in Liberia, Kenia, Tansania, Sambia und Simbabwe abgeschlossen und sich somit eine Schlüsselrolle in den entstehenden Emissionshandelsmärkten gesichert – was nicht zuletzt auch Washingtons absurde «Derisking»-Klimarettungsstrategie förderte, mit der private Investitionen für klimaneutrale Projekte eingeworben werden sollen.

Auch das Seehandelsnetz, das die Emirate durch die staatlichen Unternehmen DP World und AD Ports Group aufgebaut haben, ist für das US-Imperium von strategischem Interesse. Das Ziel der Unternehmen mit Sitz in Dubai bzw. Abu Dhabi besteht darin, einen immer größeren Anteil des Welthandels über die Megahäfen der VAE zu lenken, Sicherheitsvereinbarungen mit Partner-/Kundenländern zu treffen und Gebiete zu erwerben, von denen aus die VAE militärische Operationen starten können, wie schon beim Angriff der Emirate auf Jemen von einem DP-World-Hafen in Eritrea aus.

Die Unternehmen der VAE bauen und verwalten sogenannte «Freie Zonen» rund um ihre Häfen, in denen nationale Arbeitsgesetze nicht greifen, und regeln logistische Probleme, die im Zusammentreffen chinesischer, indischer und amerikanischer Handelsaktivitäten auftreten können. Die Märkte am Horn von Afrika, die einst nur lose in den Kreislauf der Weltwirtschaft eingebunden waren, werden dank dieser Zonen nun vollständig integriert. So erschließen die VAE anderen Staaten – allen voran den USA – neue Räume, in denen Exportkapital absorbiert und geostrategische Interessen durchgesetzt werden können. Im Gegenzug erhalten die VAE Pachtzahlungen für große Teile des Welthandels. Mit den jüngsten Hafenübernahmen in Pakistan, Indien und Indonesien wird die Kontrolle der Emirate über wichtige Logistikstandorte sich auf den Indischen und Pazifischen Ozean ausweiten.

Auch das globale Kapital profitiert von den staatlichen – bzw. genauer: königlichen –Wirtschaftsstrukturen der VAE. Die Eigenheiten des Systems können von Zeit zu Zeit gegen die Prinzipien des freien Wettbewerbs oder der Unternehmensführung verstoßen. So hat beispielsweise die Abu Dhabi Bank – dessen Vorsitzender Scheich Tahnoon ist und die sich mehrheitlich im Besitz von Mubadala und der königlichen Familie befindet – seiner königlichen Hoheit und auch anderen Vorstandsmitgliedern Kredite in Höhe von mehr als drei Milliarden US-Dollar gewährt. Tahnoon, der öffentlichen und privaten Institutionen vorsitzt und dessen Gesamtvermögen mehr als 1,5 Billionen US-Dollar beträgt, hat seine Verfügungsgewalt über öffentliche Ressourcen und seine Regulierungsbefugnisse genutzt, um seine internationale Holdinggesellschafft, die sich im privaten Besitz der Al-Nahyan-Familie befindet, aus der Bedeutungslosigkeit zu holen und innerhalb weniger Jahre zu einer höheren Marktkapitalisierung als Goldman Sachs zu verhelfen.

Während Washington sein Imperium in den kommenden Jahren weiter umstrukturiert, werden die VAE diese Übergangszeit darauf verwenden, jede Gelegenheit zu ihrem materiellen und strategischen Vorteil zu nutzen.

Von solchen Exzessen einmal abgesehen, genießen sowohl die Al Nahyans als auch Dubais regierende Al-Maktum-Familie für ihr Wirtschaftsmanagement und ihre Offenheit gegenüber ausländischen Investitionen ein hohes Ansehen. Sie sind in der Regel die ersten Risikoträger in der MENA-Region (dem Mittlerer Osten und Nordafrika) und ermöglichen es Händler*innen in London und New York, leichte Gewinne zu erzielen. Mit einer Investition von 25 Milliarden US-Dollar im Februar dieses Jahres hat der Staatsfonds ADQ die ägyptischen Zahlungsbilanzschwierigkeiten beseitigt und es westlichen Anleihehändler*innen ermöglicht, ohne Bedenken in das Land zurückzukehren und enorme Zinszahlungen für die ägyptischen Staatsschulden zu kassieren. Auf diese Weise gibt der Staatskapitalismus der VAE internationalen Investor*innen Orientierungshilfe zu den aufstrebenden Akteuren in den Strukturen der gegenwärtigen Globalisierung.

Trotz der oberflächlichen Risse, die das Bild der Harmonie zwischen den USA und den VAE trüben mögen, bleibt die Treue der Emirate gegenüber dem amerikanischen Imperium des Kapitals doch ungebrochen. Die Emiratis wissen, dass die US-Vorherrschaft sich nicht nur aus militärischer Macht speist, sondern auch auf den freien Kapitalverkehr, die Steuerung von Arbeits- und Handelshierarchien, das exorbitante Privileg des Dollars und die Verfügbarkeit von Offshore-Verstecken stützt. Die VAE halten diese Grundsätze in all ihren Handelsbeziehungen aufrecht. Das gilt auch für die Beziehungen zu Russland, China und Iran. Im Gegensatz dazu sind Teile des amerikanischen politischen Establishments bereit, diese Prinzipien durch selbstzerstörerische Handelskriege und die Instrumentalisierung des globalen Finanzsystems zu gefährden.

Hinter den vermeintlichen Differenzen zwischen den VAE und den USA steckt also weniger ein abtrünniger Diener des Imperiums als vielmehr ein Kaiser, der nicht mehr in der Lage ist, zu erkennen, was in seinem Interesse liegt, geschweige denn, es zu wahren.

Eine räuberische, neoliberale Monarchie

Seit dem Arabischen Frühling haben die Emirate das Vertrauen in die USA als verlässlichen Schutzpatron verloren – eine Skepsis, die durch Bidens Untätigkeit nach den Huthi-Angriffen auf die VAE und die iranischen Beschlagnahmungen von Öltankern noch verstärkt wurde. Dennoch hoffen die emiratischen Eliten, durch die Aufrechterhaltung enger Beziehungen zu bestimmten Fraktionen des US-Kapitals – insbesondere zum Finanzsektor – ihre Position in der imperialen Matrix zu bewahren: eine Position, die es ihnen ermöglicht, ihren Reichtum zu mehren, ihre Macht zu konsolidieren und sozialen Wandel zu verhindern.

All dies bedeutet nicht, dass die Vereinigten Arabischen Emirate frei von inneren Widersprüchen sind. Insbesondere seit 2011 haben die Emirate einen starken militärischen Interventionismus betrieben, der die Kapitalakkumulation oft eher behinderte als förderte. Das emiratisch-saudische Missgeschick im Jemen war ein solcher Fall, der Ansar Allah bzw. die Huthi zu einer militärischen Kraft beförderte, die heute in der Lage ist, den Seehandel um das Kap der Guten Hoffnung umzuleiten. Auch die Unterstützung für die Zintan-Milizen – und später auch Khalifa Hafter in Libyen – schürte politische Instabilität und störte die Ölförderung, während die transnationale Kampagne gegen die Muslimbruderschaft bestenfalls eine Verschwendung von Ressourcen war. Trotzdem waren Abu Dhabis militärische Exkursionen, selbst wenn sie kurzfristig finanzielle Verluste bedeuteten, für das Kapital nie gänzlich nutzlos. Zwar mögen die kriegerischen Auseinandersetzungen im Mittleren Osten und Nordafrika zeitweise Investmentmöglichkeiten beschnitten haben, sie konnten jedoch auch den politischen Horizont der lokalen Volksbewegungen begrenzen. Die VAE haben Bewegungen, die nach sozialem, politischem und wirtschaftlichem Wandel strebten, in defensive Positionen gezwungen und damit maßgeblich dazu beigetragen, dass die herrschenden Klassen- und Machtverhältnisse in den betreffenden Regionen unverändert bleiben.

Während Washington sein Imperium in den kommenden Jahren weiter umstrukturiert, werden die VAE diese Übergangszeit darauf verwenden, jede Gelegenheit zu ihrem materiellen und strategischen Vorteil zu nutzen und gleichzeitig die uneingeschränkte Hegemonie des globalen Kapitals aufrechtzuerhalten. Es ist möglich, dass dies zu Brüchen zwischen den USA und ihrem Stellvertreter führen wird, die Öffnungen für eine Politik der Demokratisierung und Umverteilung schaffen könnten. Die gegenwärtige Konstellation lässt allerdings auf eine gegensätzliche Entwicklung schließen: nämlich auf die Stärkung der Dominanz einer räuberischen neoliberalen Monarchie, die Rivalen der USA hofieren kann, ohne dabei die Macht ihres amerikanischen Protektors zu schwächen.

Deutsche Erstveröffentlichung des Textes «Capital’s Emirates», der zuerst von der «New Left Review» publiziert wurde. Die Zwischenüberschriften wurden redaktionell eingefügt. Übersetzung aus dem Englischen von Charlotte Thießen und Camilla Elle für Gegensatz Translation Collective.