Publikationen https://www.rosalux.de/ Hier finden Sie unsere Publikationen. de Copyright Sat, 29 Jun 2024 16:48:20 +0200 Sat, 29 Jun 2024 16:48:20 +0200 TYPO3 Publikationen https://www.rosalux.de/fileadmin/sys/resources/images/dist/logos/logo_rss.jpg https://www.rosalux.de/ 144 109 Hier finden Sie unsere Publikationen. news-52201 Thu, 20 Jun 2024 09:30:00 +0200 Krisenpuffer gegen die Inflation https://www.rosalux.de/publikation/id/52201 Öffentliche Nahrungsmittelspeicher zur Preisstabilisierung und ihr Beitrag zur Transformation der Ernährungssysteme Die globale Ernährungskrise ist Teil einer umfassenderen Polykrise, in der sich die Folgen des Klimawandels und der Covid-19-Pandemie, von Wirtschafts- und Schuldenkrisen sowie von Kriegen und Konflikten gegenseitig verstärken. Dies drückte sich zwischen 2020 und 2023 in einer weltweiten Nahrungsmittelpreiskrise aus, die die von Profitsteigerungen getriebene Inflation beförderte. Absicherungs- und Spekulationsgeschäfte ließen bereits hohe Preise für Nahrungsmittel weiter ansteigen. Höhere Preise bedeuten, dass Menschen einen unverhältnismäßig hohen Anteil ihres Realeinkommens für Nahrungsmittel aufwenden müssen. Mit jedem Prozentpunkt, um den die Lebensmittelpreise steigen, werden zehn Millionen Menschen in extreme Armut getrieben. Nicht nur im Globalen Süden, sondern auch in Deutschland leiden Haushalte mit geringen Einkommen besonders unter der hohen Inflation.

Der Aufbau von nationalen, regionalen und globalen öffentlichen Nahrungsmittelspeichern kann zur Preisstabilisierung auf den globalen Agrarmärkten und zur Begrenzung der Inflation beitragen, analysiert die renommierte Ökonomin Isabella Weber zusammen mit Merle Schulken in der Studie «Towards a Post-neoliberal Stabilization Paradigm for an Age of Overlapping Emergencies: Revisiting International Buffer Stocks Based on the Case of Food», die von der Heinrich-Böll-Stiftung, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und TMG Research in Auftrag gegeben wurde. Der Aufbau öffentlicher Nahrungsmittelspeicher kann auch sozialer Ungleichheit entgegenwirken. Zudem stellen Nahrungsmittelspeicher die Verfügbarkeit von Grundnahrungsmitteln sicher und die Gefahr einer Verknappung wird vermindert. Speicher zum Zweck der Ernährungssicherung können kurzfristige Preis- und Mengenschwankungen sowohl für Erzeuger*innen als auch Verbraucher*innen abdämpfen und Preisspitzen begrenzen.

In diesem, auf der Studie basierenden, Policy Paper schlussfolgern die Autor*innen, dass öffentliche Nahrungsmittelspeicher die Transformation von Ernährungssystemen unterstützen können, wenn staatliche Anreize dafür geschaffen werden. So kann die öffentliche Beschaffung von Agrarrohstoffen an einen diversifizierten, agrarökologischen Anbau gekoppelt werden. Der Aufkauf der Güter kann zum Beispiel an die Reduktion des Einsatzes von chemischen Pestiziden und synthetischem Dünger – oder die Verwendung von lokal angepasstem, samenfestem Saatgut geknüpft sein. Mit dem Kauf einer breiten Palette von lagerungsfähigen Agrarrohstoffen wäre es möglich, gesicherte Einkommen für regionale Erzeuger*innen zu schaffen, Anbau zu diversifizieren und Importe von Grundnahrungsmitteln sowie damit die Abhängigkeit von volatilen Märkten zu verringern.

Die Ernährungs- und Landwirtschafsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) könnte die globale Koordinierung eines Systems von öffentlichen Nahrungsmittelspeichern übernehmen. Vorräte für wichtige Grundnahrungsmittel wie Mais, Reis, Weizen und pflanzliche Öle könnten an strategisch sinnvollen geografischen Orten angelegt werden. In Zeiten von starken Preissteigerungen könnten über die Freigaben von Lagerbeständen entschieden und damit Preise stabilisiert werden.


Das Policy Paper «Krisenpuffer gegen die Inflation» ist eine gemeinsame Publikation von Isabella Weber, Merle Schulken (beide University of Massachusetts Amherst), Lena Bassermann (TMG), Lena Luig (Heinrich-Böll-Stiftung) und Jan Urhahn (Rosa-Luxemburg-Stiftung).

Ein Großteil der Analysen und politischen Empfehlungen in dem Policy Paper basieren auf der Studie «Towards a Post-neoliberal Stabilization Paradigm for an Age of Overlapping Emergencies: Revisiting International Buffer Stocks Based on the Case of Food» von Isabella Weber und Merle Schulken, erstellt im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und TMG.
 

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news-52193 Wed, 12 Jun 2024 14:59:00 +0200 Jahresbericht 2023 https://www.rosalux.de/publikation/id/52193 der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit dem Schwerpunkt «Friedenstüchtig werden» Die Sehnsucht nach Frieden treibt viele von uns um. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist der Krieg nach Europa zurückgekehrt. Der Nahostkonflikt hat nach dem unmenschlichen Terrorangriff der Hamas auf Israel zu einem blutigen Feldzug der israelischen Armee in Gaza geführt, dem bereits Zehntausende Zivilisten zum Opfer gefallen sind. 21 Kriege und 174 gewaltsame Krisen zählte das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung 2023. Nicht alle bekommen die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Die Bundesregierung hat eine Wende hin zu einer militärischen Ausrichtung der deutschen Außenpolitik vollzogen. Die Bundeswehr soll «kriegstüchtig» werden.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung stellt sich dieser Logik der Gewalt entgegen. Neben der Solidarität mit den vom Krieg betroffenen Menschen haben wir 2023 unsere friedenspolitische Arbeit fortgesetzt. Die Linke braucht neue Antworten auf die Frage, wie ein stabiler Frieden erreicht werden kann. Die Bedingungen dafür sind nicht günstig. Der russische Angriffskrieg hat gezeigt, wie fragil die Friedensordnung in Europa ist. Unsere Arbeit vor Ort ist schwierig. Durch die von russischen Behörden angeordnete Schließung des Moskauer Büros ist der Kontakt zu Vertreter*innen des zivilgesellschaftlichen, linken und gewerkschaftlichen Spektrums in Russland komplizierter geworden. Dennoch ist es uns gelungen, zahlreiche Publikationen zur Situation in der Ukraine und in Russland zu veröffentlichen. Mit Blick auf Palästina und Israel haben wir in den letzten Jahren mit aller Kraft versucht, in einem Kontext von Gewalt und Gegengewalt mit kritischer und solidarischer Arbeit einen kleinen Unterschied zu machen. Der zerstörerische Krieg mit all seinen katastrophalen und unerträglichen Folgen für die Menschen in Gaza dient niemandem in der Region. Unsere Stiftung ist seit vielen Jahren im Nahen Osten aktiv. Unsere Büros in Ramallah und Tel Aviv unterstützen zivilgesellschaftliche und politische Akteure, die sich für eine einvernehmliche und friedliche Konfliktlösung einsetzen, die beiden Völkern das Recht auf Freiheit, Gerechtigkeit und ein Leben in Würde ermöglicht. Im Gegensatz zum Politikansatz der Bundesregierung sehen wir die Notwendigkeit, Deutschland «friedenstüchtig» zu machen. Unter dieser Überschrift gibt der Jahresbericht einen kleinen Einblick in die von uns entwickelten und diskutierten Ansätze der zivilen Konfliktprävention und -bearbeitung. Im vergangenen Jahr sind Analysen, Studien und andere Materialien zum Thema entstanden. Diskussionsveranstaltungen fanden live und digital statt. Dabei haben wir mit nationalen und internationalen friedens- und entwicklungspolitischen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammengearbeitet. Dass wir mit unserer Arbeit den Nerv vieler Menschen treffen, zeigt die Resonanz: Unser Dossier «Gegen die Logik der Gewalt» war das meistbesuchte Online-Dossier 2023. Unser neuer Podcast «dis:arm – Friedensgespräche der Rosa-Luxemburg-Stiftung» hatte innerhalb weniger Monate bereits knapp 3.000 Abonnent*innen und rund 30.000 Downloads.

Eine Auswirkung von Kriegen ist die Verschärfung zahlreicher Krisen. Die Ampelregierung ist den damit verbundenen Herausforderungen nicht gewachsen. Dringend notwendige Zukunftsinvestitionen bleiben aus. Die soziale Spaltung der Gesellschaft verschärft sich. Steigende Lebenshaltungskosten treffen vor allem diejenigen, die ohnehin schon wenig Geld haben. Auch Klimaschutzprojekte bleiben von der Sparpolitik der Regierung nicht verschont. Grund genug für uns, im Berichtszeitraum Analyse und politische Bildung zu den Schwerpunkten «Soziale Infrastruktur, soziale Rechte und Gerechtigkeit » und «Sozial-ökologische Transformation» auszubauen. So wurden zum Thema «Wohnen und Mieten» in Kooperation mit dem Netzwerk Steuergerechtigkeit neue Forschungsergebnisse zu Eigentümergruppen und ihren Geschäftsmodellen in sechs deutschen Städten – Hamburg, München, Frankfurt a. M., Düsseldorf, Leipzig, Erfurt – veröffentlicht. Erstmals wurden die Eigentumsverhältnisse und Unternehmenspraktiken in der stationären Altenpflege im Bundesland Bremen untersucht und die Ergebnisse in einer Studie zusammengefasst. Die Debatte um Vergesellschaftung und Umverteilung hat wieder an Fahrt gewonnen – unterstützt durch Informations- und Bildungsmaterialien unserer Stiftung. Wie sehr die Stiftung Ansprechpartner und Plattform für Gewerkschafter*innen ist, zeigte die dreitägige Gewerkschaftskonferenz im Mai in Bochum mit mehr als 1.500 Teilnehmer*innen, darunter viele junge Gewerkschafter*innen. Die großen gesellschaftspolitischen Fragen waren ebenso Thema wie die aktuellen Tarifauseinandersetzungen und Streiks. Neue Netzwerke wurden geknüpft. Um soziale Gerechtigkeit geht es auch beim Thema ökologischer Umbau. Hier ist die Stiftung ein Debattenraum für vielfältige linke Akteure. Nachdem sich 2022 unsere Studien vor allem mit Mobilität und sozial gerechtem Industrieumbau beschäftigt haben, ging es 2023 um klimagerechtes Wohnen und eine kommunale Wärmewende. Selbstverständlich haben wir auch die UN-Klimakonferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten kritisch begleitet.

Als ehemaliger Vorsitzender der Partei der Europäischen Linken beobachte ich mit Sorge die schwierige Situation der Linken in Deutschland und in Europa. In vielen Staaten ist ein deutlicher Rechtsruck zu verzeichnen, dem die linkssozialistischen Kräfte in Europa nur gemeinsam etwas entgegensetzen können. Der Kampf gegen rechts und für eine «Gesellschaft der Vielen» ist ein zentrales Thema für die Stiftung. Mit der Konferenz «Europa den Räten!» haben wir den Versuch unternommen, antifaschistische Traditionen und demokratische Zukunftspotenziale Europas zusammenzudenken. In der Berliner Volksbühne diskutierten am 8. November internationale Gäste sowie Aktivist*innen aus sozialen Bewegungen und Parteien den Aufstieg der Neuen Rechten und ihrer internationalen Netzwerke, Möglichkeiten des antifaschistischen Widerstands, aber auch des solidarischen Wirtschaftens und der Demokratisierung der Europäischen Union.

Historische Jahrestage spielen in der geschichtspolitischen Arbeit der Stiftung eine wichtige Rolle. So war der 50. Jahrestag des faschistischen Militärputsches in Chile Anlass für mehrere Veranstaltungen in Berlin und in den Bundesländern. Unter dem Titel «Tief ins Gedächtnis gegraben» fand am 27. September eine gemeinsame Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung statt, auf der Michelle Bachelet über ihr bewegtes politisches Leben, den Putsch vor 50 Jahren und ihre Exilerfahrungen in der DDR berichtete.

Liebe Leserinnen und Leser,

die Partei Die Linke befindet sich in einer schwierigen Situation. Die Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht und die daraus folgende Parteigründung bedeuten einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung der Partei und eine Schwächung der gesellschaftlichen Linken. Gerade in einer Zeit multipler Krisen ist die Linke nicht in der Lage, den Protest großer Teile der Bevölkerung aufzugreifen, zu adressieren und neue konzeptionelle Ansätze zu entwickeln. Der Verlust des Fraktionsstatus im Bundestag, schlechte Wahlergebnisse, mangelnder Rückhalt in der Bevölkerung – all dies hat auch Auswirkungen auf die Stiftungsarbeit. Für uns verschlechtern sich die finanziellen Rahmenbedingungen. Die Stiftung wird kleiner werden. Doch wir wollen weiterhin als linke Stiftung politisch wirksam sein. Als Vorstand werden wir alles für den Erhalt der Rosa-Luxemburg-Stiftung als einer wichtigen Plattform für gesellschaftlichen Dialog und linke politische Bildung tun. Denn heute ist es notwendiger denn je, um politische Alternativen zu ringen, die den Aufbau einer demokratischen, sozial gerechten und friedlichen Gesellschaft zum Ziel haben.

Heinz Bierbaum, Vorsitzender des Vorstands

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news-52175 Mon, 10 Jun 2024 08:00:00 +0200 Europawahl in Deutschland am 9. Juni 2024 https://www.rosalux.de/publikation/id/52175 Wahlnachtbericht und erste Deutungen von Moritz Warnke Bei der Europawahl 2024 waren in Deutschland knapp 62 Millionen Bürger*innen zur Wahl aufgerufen. Die Wahlergebnisse sind eine Wahlschlappe für die Koalitionsparteien der Bundesregierung: sie verlieren alle drei und kommen auf weniger als ein Drittel der Stimmen.

Die SPD erreicht mit 13,9% ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis bei einer bundesweiten Wahl, die Grünen stürzen von 20,5% auf 11,9% ab (-8,6%) und verlieren insbesondere bei Jungwähler*innen, die FDP bleibt mit vergleichsweise moderaten Verlusten mit 5,2% (-0,2%) über der psychologisch wichtigen 5%-Marke.

Auch Die Linke verliert massiv an Wählerzuspruch und halbiert ihre Stimmenzahl auf 2,7% (-2,8%). In vier ostdeutschen Bundesländern landet die Partei unter 5% (Mecklenburg-Vorpommern 4,9%, Sachsen 4,9%, Sachsen-Anhalt 4,8% und Brandenburg 4,4%).

Die deutsche Parteienlandschaft bleibt in Bewegung: das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erreicht aus dem Stand 6% und zieht mit sechs Abgeordneten (darunter eine Frau) ins Europaparlament ein.

Die AfD erreicht trotz eines desaströsen Wahlkampfs mit 15,9% (+4,9%) ihr bisher bestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl. In den östlichen Bundesländern wird die AfD überall stärkste Kraft.

Zum Bericht

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news-52072 Thu, 30 May 2024 15:11:00 +0200 Organizing-Handbuch für Mieterinnen und Mieter https://www.rosalux.de/publikation/id/52072 Ein Leitfaden der Mieter*innengewerkschaft Madrid Weltweit bauen Bewegungen von Arbeiter*innen ihre Macht auf, gegenüber Eigentümer*innen, Chef*innen, und das private Kapital. Auch in Spanien organisieren sich Mieter*innen gegen die Eigentümer*innen ihrer Wohnungen. Gemeinsam können sie nun erste Siege feiern, zum Beispiel gegen die Investmentgesellschaft Blackstone – dem größten Immobilienkonzern der Welt. Das Unternehmen verwaltet Millionen von Wohnungen, lässt jedes Jahr Tausende von Mieter*innen zwangsräumen und erhöht die Mieten drastisch, wann immer es möglich ist.

Die Mieter*innengewerkschaft zeigt in diesem Handbuch, wie sie gewinnen konnten, und dass die kollektive Gegenmacht der Mieter*innen es sehr wohl mit dem «who-is-who» des Kapitals aufnehmen kann. In dem vorliegenden Handbuch haben sie ihre gesammelte Erfahrung und Expertise im Organizing gebündelt und für alle Mieter*innen anwendbar gemacht. Neben den inspirierenden Erzählungen ihrer eigenen Kämpfe bieten sie Anleitungen, Hilfestellungen und Materialien für den Aufbau einer Mieter*innenorganisierung, und der Vernetzung über das Mietshaus hinaus.

Mit diesem Handbuch machen sie klar, dass Organizing weit mehr als ein Begriff der betrieblichen Arbeit ist, und auch für widerständige Kämpfe in den Mietshäusern und Nachbarschaften die notwendigen Instrumente bietet, um das Kapital und seine Interessen aus unseren Wohnungen zurückzudrängen.

Zum Original in Spanisch: Manual de Organización Inquilina

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news-52058 Wed, 29 May 2024 14:10:00 +0200 Care-Arbeit vergesellschaften https://www.rosalux.de/publikation/id/52058 Kommunalpolitische Werkzeugkiste für eine «Sorgende Stadt» «Das Leben ins Zentrum stellen!» fordern Bewegungen des feministischen Streiks weltweit. Aber wie kann das gehen, wo doch die Realität völlig anders aussieht: Städtische und öffentliche Einrichtungen der Daseinsvorsorge werden immer weiter abgebaut, der Markt ersetzt sie kaum und wenn, zu hohen Preisen. Immer mehr Aufgaben – insbesondere bei der Kinderbetreuung, Bildung, Pflege, Gesundheitsversorgung und Assistenz – müssen daher privat und in den eigenen vier Wänden übernommen werden. Dieser Raum wird angesichts steigender Mieten außerdem immer enger und unsicherer. Damit können wir uns nicht abfinden.

Was aber lässt sich tun gegen die fortschreitende Inwertsetzung des Lebens? Wie könnte eine Ökonomie aussehen, die das Wohl der Vielen zum Ziel hat und jede Arbeit wertschätzt? Wie müssen Institutionen aussehen, in denen wir demokratisch darüber entscheiden, wie Sorgearbeit jenseits bestehender Geschlechterrollen organisiert werden kann und in denen alle Bedürfnisse zu ihrem Recht kommen? Und wie lassen sich sowohl konkrete Verbesserungen im Alltag erreichen als auch eine grundlegende Gesellschaftsveränderung einleiten?

Eine echte Lösung kann es nur geben, wenn Sorgearbeit umfassend vergesellschaftet und demokratisch organisiert wird. Doch wie kann das gehen?

Jede linke Strategie braucht drei Elemente: eine Analyse und Kritik der Gegenwart, die klare Vision einer besseren Zukunft und konkrete Angebote, um von einem zum anderen zu kommen. Das Konzept der «Sorgenden Städte» leistet genau das: Es gibt Impulse für einen eingreifenden Feminismus auf der lokalen Ebene und darüber hinaus. Die (Sorge-)Bedürfnisse aller Bewohner*innen stehen im Zentrum und werden demokratisch ausgehandelt. Es geht um Einstiegsprojekte einer feministisch-sozialistischen Kommunalpolitik, die dort ansetzen, wo die alltägliche Care-Krise stattfindet und überwunden werden kann. Denn erste Schritte lassen sich am besten lokal erstreiten, dort wo Menschen sorgen und Sorge empfangen. Eine Strategie für das Heute und das Morgen.

Eine «Sorgende Stadt» kann jedoch nicht einfach gefordert, beschlossen und umgesetzt werden. Dafür braucht es die organisierende Kraft der Vielen. Aber sie ist ein konkretes Bild für eine feministisch-sozialistische Zukunft und kann als Kompass für den schrittweisen Umbau der Sorgeverhältnisse dienen. Das bedeutet, dass Forderungen und Projekte daraufhin geprüft werden, ob sie uns einer gerechteren Organisation von Sorgearbeit näherbringen. Etwa, weil sie überhaupt wieder ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es nicht so bleiben muss, wie es ist. Oder weil neue Infrastrukturen uns mehr Zeit und Energie verschaffen, um nächste Schritte überhaupt gehen zu können. Oder aber, weil bestimmte Angebote und Aktivitäten Nachbarschaften stärker zusammenbringen, deren gemeinsame Kraft benötigt wird, um Forderungen durchzusetzen. Es geht also darum, Einstiegsprojekte in eine sozialökologische Transformation, in einen grundlegenden Umbau der Gesellschaft zu entwickeln. In Anlehnung an Rosa Luxemburg wird dafür oft der Begriff der «revolutionären Realpolitik» verwendet.

Im ersten Teil dieser Broschüre werden daher die wichtigsten Bausteine einer «Sorgenden Stadt» dargestellt und konkrete Schritte, wie wir dorthin gelangen können. Im zweiten Teil stellen wir bereits existierende Projekte aus den «Sorgenden Städten» im spanischen Staat vor und gucken genau hin, was an ihnen im genannten Sinne tansformatorisch ist – warum sie also erste Schritte in Richtung einer Vergesellschaftung von Sorgearbeit ganz praktisch ermöglichen. Und wir überlegen, was davon für die hiesige Situation und unsere Kämpfe übertragbar ist.

Im dritten Teil schildert das Kollektiv Raumstation seine Herangehensweise an ein nachbarschafts-bezogenes Sorge-Mapping: die Recherchemethoden, die Analyse und die Art und Weise, wie das gesammelte Wissen performativ zurück in den öffentlichen Raum getragen wurde. Im Anschluss daran sind die Leser*innen dazu eingeladen, die porträtierten Sorgeinstitutionen kennenzulernen.

Abschließend geben wir einen Ausblick auf den Weg zum «Sorgenden Kiez», stellen die Kampagne «Shoppingmalls zu Sorgezentren» aus Berlin-Treptow vor und geben Hinweise wo sich bereits Menschen zu diesen Fragen organisieren.

Inhalt

  • «Sorgende Städte» – Bausteine eines Konzepts
  • Inspirationen und Einstiegsprojekte aus Spanien
  • Ein Mapping «Sorgender Kieze» am Beispiel des Leopoldplatzes in Berlin-Wedding
  • Ausblick: Praktische Schritte auf dem Weg zu einer «Sorgenden Stadt»

Diese Broschüre wurde von Barbara Fried, Hannah Eyssel, Nilo Holdorff, Elisa Otzelberger, Fanni Stolz und Alex Wischnewski verfasst.
Das Kapitel «Ein Mapping Sorgender Kieze» haben Amelie Cassada, Franziska Hollweg und Hannah Müller vom Kollektiv Raumstation geschrieben. Es skizziert das von ihnen durchgeführte Mapping von Sorgestrukturen im Berliner Stadtteil Wedding.
 

Mehr zum Thema «Sorgende Städte»
 

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news-52107 Mon, 27 May 2024 16:18:37 +0200 Die Herstellung der «Zeitenwende» https://www.rosalux.de/publikation/id/52107 Zur gesellschaftspolitischen Rolle des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) Die Debatten zu «Zeitenwende» und «Zeitdiagnose» fordern die linken und insbesondere die sozialistischen Akteure verstärkt heraus, die Analyse ihrer politischen Handlungsbedingungen und -möglichkeiten kritisch zu reflektieren und zu qualifizieren. Dafür gibt Rosa Luxemburg eine entscheidende Orientierung:

«Die erste Bedingung einer erfolgreichen Kampfpolitik ist das Verständnis für die Bewegungen des Gegners. Was gibt uns aber den Schlüssel zum Verständnis der bürgerlichen Politik bis in ihre kleinsten Verzweigungen, bis in die Verschlingungen der Tagespolitik, ein Verständnis, das uns gleichermaßen vor Überraschungen wie vor Illusionen bewahrt? Nichts andres als die Erkenntnis, daß man alle Formen des gesellschaftlichen Bewußtseins, also auch die bürgerliche Politik, in ihrer inneren Zerrissenheit aus den Klassen- und Gruppeninteressen, aus den Widersprüchen des materiellen Lebens und in letzter Instanz ‹aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen› erklären müsse.»

Luxemburg, Rosa: Karl Marx, in: Rosa Luxemburg. Gesammelte Werke, Bd. 1.2, Berlin 2000 [1903], S. 372–373

Das bedeutet politökonomische Analyse, um herauszufinden, a) warum welche bürgerlichen Akteure mit ihren Interessen wie handeln, worauf sie reagieren, welche dynamischen Interessenwidersprüche innerhalb und zwischen den gesellschaftlichen Klassen und sozialen Gruppen ihrem Agieren zugrunde liegen; b) welche politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Wirkungen ihre Handlungen im Moment haben bzw. kurz-, mittel- und langfristig haben können und c) was das für die politischen Handlungsbedingungen und Herausforderungen für die Linken, die Sozialist*innen bedeutet.

Weiterlesen

Inhalt

1 Ende «des Neoliberalismus» in der Regierungspolitik?
2 Zur Rolle des BDI bei der Genesis und Realisierung von «Neoliberalismus» und «Zeitenwende»
2.1 Zur Geschichte des BDI als politischer und wirtschaftlicher Akteur der Bundesrepublik
2.2 Drei bundespolitische Bündnisse bis zur «Zeitenwende»
2.2.1 Die «Konzertierte Aktion» 1967–1977/78
2.2.2 Das «Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit»
2.2.3 Das Bündnis «Zukunft der Industrie» bis zur «Zeitenwende»
2.3 Das Bündnis «Zukunft der Industrie» seit der «Zeitenwende»
3 Fünf kurze Schlussfolgerungen

Autorin

Judith Dellheim ist Politökonomin, war als Referentin am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung tätig und ist Mitglied des Steering Committee EuroMemo Group (Europäische Arbeitsgruppe alternativer Wirtschaftswissenschaftler*innen).

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news-52059 Tue, 21 May 2024 14:32:19 +0200 «Klimaschutz funktioniert am Besten über den Markt» https://www.rosalux.de/publikation/id/52059 Mythen und Fakten zum Klimawandel Starkregen und Überschwemmungen, steigende Energiepreise, Streit um das Tempolimit und die Zukunft von Gasheizungen – sowohl die Folgen der Klimakrise als auch der Klimaschutzmaßnahmen sind bereits deutlich spürbar. Was lange Zeit nur eine abstrakte wissenschaftliche Debatte war, betrifft uns auf einmal selbst. Das ruft starke Gefühle hervor: Ängste bei jenen, die die Folgen fürchten, die eine globale Erwärmung auch für sie künftig haben wird. Und Wut bei jenen, die sich von der Klimapolitik eingeschränkt, bevormundet oder ungerecht belastet fühlen.

Inmitten hitziger Debatten kommen Fragen auf: Ist das denn überhaupt alles nötig? Wer sagt, dass der Klimawandel wirklich so schlimm wird? Oder ist es ohnehin schon zu spät, noch etwas zu tun? Obwohl viele dieser Fragen gut erforscht sind und sich mit großer Klarheit beantworten lassen, gehen diese Erkenntnisse im politischen Streit oft unter. Doch die Mehrheit der Menschen in Deutschland und Europa weiß, dass der Klimawandel ein drängendes Problem ist.

Umstritten hingegen bleibt die Frage, wie auf die Herausforderung des Klimawandels reagiert werden soll. Sie kann nicht mit einem Verweis auf die Wissenschaft beantwortet werden – denn das ist eine politische Frage. Umso hinderlicher ist es, dass sich die Debatte um die Veränderungen, die nötig sind, bisher auf einige wenige Ansatzpunkte beschränkt, wie neue Technologien, Appelle an das individuelle Verhalten oder die Regulierung über den Markt. Aber reicht das aus? Treffen höhere Energiepreise tatsächlich die Verursacher*innen der Krise und helfen sie, die Emissionen zu senken? Wie wirken sich steigende Preise auf die soziale Gerechtigkeit aus? Gefährdet Klimapolitik wirklich unseren Wohlstand und den Standort Deutschland?

Diese Broschüre geht einigen der Behauptungen nach, die in den Diskussionen um die Klimapolitik immer wieder genannt werden, und unterzieht sie einer Überprüfung. Sie zeigt, dass die Faktenlage über den Klimawandel viel eindeutiger ist, als die öffentliche Debatte nahelegt. Sie zeigt auch, dass die derzeitige Klimapolitik in vieler Hinsicht ebenso unzureichend wie ungerecht ist – aber auch, dass das nicht so sein muss: Es gibt eine Vielzahl an Vorschlägen, wie eine gerechte und wirksamere Klimapolitik aussehen kann.

Inhalt

  1. «Die Wissenschaft ist sich gar nicht einig über den Klimawandel» 
  2. «Die Chance, den Klimawandel zu stoppen, ist längst vertan»
  3. «Ich find’s gut, wenn es bei uns in Deutschland wärmer wird»
  4. «Deutschland allein kann beim Klimawandel ohnehin nichts machen»
  5. «Klimaschutz bringt uns Wettbewerbsnachteile, Firmen wandern einfach ab»
  6. «Nur durch Technologieoffenheit können wir den Klimawandel stoppen»
  7. «Jeder kann selbst etwas gegen den Klimawandel tun»
  8. «Klimaschutz funktioniert am besten über den Markt»
  9. «Klimaschutz macht uns alle arm»
  10. «Die Klimabewegung will uns ihren Lebensstil aufzwingen»

Epilog: Eine sozial gerechte Klimapolitik

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news-51985 Mon, 06 May 2024 04:54:00 +0200 Zukunft mit Plan https://www.rosalux.de/publikation/id/51985 LuXemburg 1/2024: Sind neue Modelle der Wirtschaftsplanung eine Alternative zum Krisenkapitalismus? Planwirtschaft ist ein Reizwort, ein rotes Tuch. In der breiten Öffentlichkeit ist sie der Inbegriff für das Scheitern des Realsozialismus: autoritär, ineffizient und weltfremd.

Failing to plan is planning to fail.

Benjamin Franklin

Doch auch die kapitalistische Marktwirtschaft kann ihr Scheitern nicht länger verbergen: Weder gelingt der «unsichtbaren Hand» eine optimale Verteilung der Ressourcen noch befördert sie auf magische Art das Gemeinwohl. Im Gegenteil: Profit und Wachstum um jeden Preis treiben die Welt an den Abgrund. Um der Klimakrise zu begegnen, wäre radikales Umsteuern nötig. Doch das scheint nur gegen die Interessen des Kapitals möglich.

Berlin, 30.5.2024:
Lux Launch: Mit Planwirtschaft gegen die Klimakrise?

Gespräch mit den Autor*innen Raul Zelik, Jakob Heyer und Katalin Gennburg über linke Planung und eine Linke mit Plan

Genau deshalb geht das Gespenst der Planwirtschaft wieder um in linken Debatten: vom Vorschlag einer «ökologischen Kriegswirtschaft» bis zu neuen Ansätzen des Ökosozialismus. Ein gigantischer klimagerechter Umbau erscheint nur machbar, wenn er geplant wird, und zwar entlang der Interessen der Mehrheit. Längst werden in der kritischen Wissenschaft neue Modelle der Planung diskutiert, die die Schwächen der realsozialistischen Kommandowirtschaft überwinden sollen. Zentral ist die Demokratiefrage: Wer entscheidet, was produziert wird? Welche Bedürfnisse zählen? Wie lässt sich autoritäre Erstarrung ebenso verhindern wie endlose zermürbende Aushandlungen?

Die demokratische Planwirtschaft antwortet auf die Fehler des Realsozialismus und wirft neue Fragen auf, die wir uns als Linke heute stellen: Wie entkommen wir dem Wachstumszwang? Würden wir dann alle weniger arbeiten oder eher mehr? Kann man Wohnungsbau und Krankenhäuser von unten planen? Und sind wir bereit für echte Demokratie? Unser Heft blickt auf die neue Debatte um Wirtschaftsplanung und sucht Wege in eine ZUKUNFT MIT PLAN. Es zeigt: Den einen Masterplan gibt es nicht – aber viele gute Ideen.

LUXEMBURG Website

Inhalt

  • RETTET UNS DIE PLANWIRTSCHAFT?
    Über grünes Schrumpfen, Eigentumsfragen und Verzichtdebatten
    Gespräch mit Sabine Nuss, Ulrike Herrmann & Raul Zelik
  • FÜR EINE LINKE MIT PLAN
    Von Rabea Berfelde, Justus Henze, Samia Mohammed & Eva Völpel
  • DEMOKRATISCH PLANEN, ABER WIE?
    Von Christoph Sorg
  • KEIN KINDERSPIEL
    Wen die Planungsdebatte vergisst
    Gespräch mit Heide Lutosch
  • COMEBACK DER PLANUNG?
    Staatsinterventionen für das Kapital
    Von Samuel Decker
  • BAUEN, WOHNEN, MITENTSCHEIDEN?
    Reale Utopien des öffentlichen Wohnungsbaus von Wien bis Belgrad
    Gespräch mit Andrej Holm & Philipp Möller
  • REAL EXISTIERENDE WIDERSPRÜCHE
    Ungelöste Probleme der sozialistischen Planwirtschaft
    Von Lutz Brangsch
  • «IST DOCH ALLES INEFFIZIENT»
    Welche Anreize und Zahlen braucht eine sozialistische Wirtschaft?
    Von Simon Sutterlütti
  • BLICKWINKEL
    In den Sand gesetzt
    Von Markel Redondo
  • SOZIALISTISCHE SCOCKTHERAPIE GEGEN DEN KLIMAKOLLAPS
    Warum wir die Energiewende nicht dem Markt überlassen dürfen
    Von Jakob Heyer
  • FAHRPLAN: ÄNDERUNG
    Wieso wir mit einer gemeinnützigen und demokratischen Bahn besser fahren
    Von Bernhard Knierim
  • DEMOKRATIE AUF DEM TROCKENEN
    Wer entscheidet über knappe Ressourcen?
    Gespräch mit Katalin Gennburg
  • SCHWANKENDE BILANZ
    Wie funktioniert Planung in der Stromwirtschaft?
    Von Uwe Witt
  • VOM LEBEN HER PLANEN
    Wie organisieren wir neue Sorgeverhältnisse?
    Von Barbara Fried & Alex Wischnewski
  • KRANKENHAUSPLANUNG VON UNTEN – (WIE) GEHT DAS?
    Gespräch mit Kalle Kunkel
  • MIT PLANIFICATION AUS DER KRISE
    Wie Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg seine Wirtschaft lenkte
    Von Dominique Plihon
  • VORBILD KRIEGSWIRTSCHAFT?
    Kontroversen um den ökologischen Umbau
    Von Judith Dellheim & Helge Peukert
  • WER ENTSCHEIDET, WAS ICH ARBEITE?
    Demokratische Planung und freie Kooperation
    Von Alex Demirović
  • KONFLIKTE OHNE ENDE?
    Was wir lernen müssen, um demokratisch zu planen
    Von Jenny Stupka
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news-51737 Fri, 03 May 2024 12:08:00 +0200 Wege und Wirkungen https://www.rosalux.de/publikation/id/51737 Buch zu 25 Jahren Studienwerk der Rosa-Luxemburg-Stiftung Im Jahr 2024 begeht das Studienwerk der Rosa-Luxemburg-Stiftung seinen 25. Geburtstag. Das ist wahrlich ein Grund zum Feiern angesichts beachtlicher Erfolge in der Förderung linker Netzwerke und Bildungsbiographien. Mittlerweile weit über 3600 ehemalige und etwa 1000 gegenwärtige Stipendiat*innen in der Studien- und Promotionsförderung sprechen in gewisser Weise für sich. Das gilt umso mehr, wenn man bedenkt, wie vielen von ihnen höhere Bildung nicht in die Wiege gelegt war, weil sie die ersten in der Familie sind, die studieren oder weil sie andere Ausgrenzungserfahrungen machen. Darauf sind wir stolz.

Nach 25 Jahren ist aber auch eine Bestandsaufnahme angemessen. Denn wir begehen das Jubiläum in schwierigen Zeiten. Stiftung und Partei sind in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen gestellt und werden sich behaupten müssen. Umso wichtiger ist es, sich für das Erreichte nicht bloß auf die eigene Schulter zu klopfen, sondern sich kritisch damit auseinander zu setzen, wie man es auch nicht anders von einer linken Stiftung erwartet.

Das Studienwerk und sein Wirkungsfeld mit Stipendiat*innen, Ehemaligen und Vertrauensdozent*innen ist ein Ort, an dem sich große Probleme der Gesellschaft im Kleinen zeigen. Hier treffen sich alle linken Strömungen und Orientierungen, Menschen aus verschiedenen Ländern, mit diversen sozialen Hintergründen und sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Ressourcen. Ihr Zusammenkommen ist produktiv und bereichernd, zugleich aber immer wieder auch fordernd. Wie also agieren und reagieren wir als Stiftung und Studienwerk? Was ist ethisch-politisch geboten, was ist politisch-strategisch effektiv?

Das vorliegende Buch ist der Ort für eine Bestandsaufnahme. Dazu haben wir Kolleg*innen aus der Stiftung und von außerhalb eingeladen, ihre Gedanken, Überlegungen und Empfehlungen beizusteuern.

Abgesehen vom Jubiläum gibt es noch einen weiteren konkreten Anlass und mit diesem viel Material zum Nachdenken: die aktuelle Ehemaligenstudie, deren Ergebnisse im Sommer 2023 in Berichtsform veröffentlicht wurden. Die Erfahrungen mit der Stiftung und die Bewertungen der Arbeit des Studienwerks durch unsere Alumni sind ein reicher Quell von Hinweisen auf das, was unsere Arbeit leistet. Letztlich entscheidet sich an den Biografien unserer (ehemaligen) Stipendiat*innen im Hinblick auf ihr persönliches Vorankommen, ihren beruflichen Erfolg, ihr politisches Engagement und ihr vernetztes gesellschaftliches Wirken, ob wir gute Arbeit machen. Und durch die Brille unserer spezifisch linken Förderziele betrachtet: Welchen tatsächlichen Beitrag leistet unsere Art der Förderung tatsächlich zum Abbau von Benachteiligungen? Und erreichen wir wirklich die Gruppen, die wir avisieren? Und gelingt es, diese Gruppen bei aller Vielfalt und Divergenz miteinander und mit der Stiftung langfristig zu vernetzen und damit auch nachhaltige politische Wirkung zu erzielen?

Kurz: Wie agiert das Studienwerk zwischen seiner rechtlichen Funktion als «linkes BAföG-Amt» und seinem Selbstverständnis als linker, solidarischer und kritischer Bildungsinstitution?

Die meisten Beiträge in diesem Buch sind also zweierlei: ein reflektierender Blick auf das Studienwerk der RLS sowie ein Kommentar zu den Befunden der Ehemaligenstudie. Deswegen wird der vorliegende Band von drei ihrer Autor*innen eingeleitet. Sie fassen wesentliche Ergebnisse zusammen und versuchen sich in konzisen Antworten auf die Kernfragen nach dem Erfolg unserer Förderung, deren Beitrag zum Nachteilsausgleich, zu Engagement und Vernetzung der Ehemaligen und zur Einschätzung der Ehemaligenarbeit. Der folgende zweite Teil von Beiträgen gibt vor allem Ein- und Rückblicke, um die Arbeit des Studienwerks und ihre Grundlagen vorzustellen. Im dritten Teil kommt das intellektuelle (Um-)Feld der Stiftung zu Wort: In ihren Beiträgen wägen unter anderem Vertrauensdozent*innen und Mitglieder der Leitungsgremien (Vorstand, Beirat, Bereichsleitungen) wichtige Einzelfragen ab, die die Richtung und Wirkung der Arbeit des Studienwerks maßgeblich prägen.

Über das Buch verteilt finden sich Porträts ehemaliger Stipendiat*innen, in denen sich all die genannten Aspekte konkret fassen lassen. Sie sind in der ersten Person verfasst, aber von der Journalistin Pia Stendera aufgeschrieben worden. Insofern bietet der vorliegende Band nicht nur viel Stoff zum Nachdenken, sondern auch zum Einfühlen in unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen und gewährt damit einen Blick in die Vergangenheit wie in die Zukunft – für uns als konkret in die Stiftungsarbeit Involvierte, aber auch für eine breitere gesellschaftliche Linke.

Jane Angerjärv, Marcus Hawel und Peter Ullrich (Berlin, 3.5.2024)

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news-51762 Thu, 02 May 2024 11:31:00 +0200 Hält die Brandmauer? https://www.rosalux.de/publikation/id/51762 Studie zu Kooperationen mit der extremen Rechten in ostdeutschen Kommunen In der vorliegenden Studie wird die Kooperation zwischen demokratischen Parteien/Fraktionen und extrem rechten Parteien/Fraktionen auf der kommunalen Ebene in Ostdeutschland untersucht. Die Studie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, es ist vielmehr davon auszugehen, dass es zahlreiche weitere Fälle von Kooperationen gibt.

Im Rahmen dieser Studie konnten 121 konkrete Fälle solcher Kooperationen in Ostdeutschland im Zeitraum Sommer 2019 bis Ende 2023 recherchiert werden. Regional ist Sachsen mit mehr als einem Drittel der Fälle am stärksten vertreten. Bei der extremen Rechten spielt die AfD eine zentrale Rolle, dies spiegelt sowohl ihre Stellung in dieser politischen Strömung als auch ihr gesamtgesellschaftliches Gewicht wider. Laut unseren Ergebnissen kooperiert die CDU am häufigsten mit der extremen Rechten. Danach folgen mit größerem Abstand FDP, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Darüber hinaus finden sich zahlreiche Beispiele von Kooperationen mit kommunalen Wähler*innenvereinigungen.

Die häufigste Form der Kooperation ist das gemeinsame Abstimmungsverhalten. Hier konnten 93 Fälle ausgemacht werden, davon 74 Fälle auf Initiative der AfD. Die verbreitete Erzählung, dass extrem rechten Anträgen nicht zugestimmt wird, ist also empirisch nicht zutreffend. Eine Darstellung verschiedener Beispiele im Rahmen der Studie zeigt die Vielfältigkeit der Kooperationen.

Eine Kooperation mit der extremen Rechten (auf kommunaler Ebene) ist brandgefährlich. Damit wird der Normalisierung extrem rechter Parteien und ihrer Positionen Vorschub geleistet. Was es eigentlich bräuchte, ist eine Brandmauer. Dass dieses Bild einer undurchlässigen Barriere nicht der Realität in allen ostdeutschen Kommunen entspricht, wird mit Blick auf die Studie klar. Daher wollen wir demokratische Parteien mit Handlungsempfehlungen unterstützen, die kommunale Politik ohne die extreme Rechte ermöglicht.

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