News | Work in Progress IV. Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie.

Wir begleiten die Autorin Veronika Kracher bei der Entstehung ihres Buches über Incels.

Das Set von Sheldons und Leonards Wohnzimmer in »Big Bang Theory« (Foto: NASA Blueshift / CC BY creativecommons.org/licenses/by/2.0) commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Big_Bang_Theory,_Apartment_4A_(5029599593).jpg

Work in Progress: An dieser Stelle begleiten wir Veronika Kracher Woche für Woche bei der Entstehung ihres Buches und präsentieren Interviews und Textauszüge. 

Die Frankfurter Journalistin und Autorin Veronika Kracher arbeitet derzeit an einem Buch über Incels – unfreiwillig im Zölibat Lebende (»Involuntary Celibates«). Incels, so Kracher,  sind  Ausdruck einer Gesellschaft, in der die Abwertung des Weiblichen an der Tagesordnung ist. Sie treffen sich in Onlineforen und auf Imageboards und lamentieren darüber, keinen Sex zu haben, obwohl dieser ein natur- gegebenes männliches Grundrecht sei. Obwohl Incels schon zahlreiche Gewalt- und Terrorakte begangen haben, wurde das Phänomen gerade im deutschsprachigen Raum bisher nur sehr oberflächlich analysiert. Mit ihrem Buch, das die Geschichte der Bewegung nachzeichnet, die Memes und Sprache der Incels erklärt, ihre Ideologie analysiert und eine sozialpsychologische Auseinandersetzung mit diesem Online-Kult anstrebt, will Veronika Kracher diese Lücke füllen. 

Nachdem wir sie in der vergangenen Woche nach dem theoretischen Hintergrund ihrer Arbeit befragt haben, wollen wir in dieser Woche das Verhältnis von Incel-Ideologie und Alt-Right ein wenig vertiefen. 

Zwei Aspekte würde ich gerne etwas vertiefen. Du sprichst zum einen davon, dass die Kampagne gegen die Kulturwissenschaftlerin Anita Sarkeesian als Ursprung der Alt-Right gelten kann, also eine durch und durch antifeministische Kampagne. Vielleicht kannst du anhand dessen noch einmal erklären, wo die Verbindungslinien und Überschneidungen zwischen Incel-Szene und Alt-Right liegen, welche Bezugspunkte sie teilen und wo es vielleicht auch personelle Überschneidungen gibt. 

Während Antifeminismus in Online-Communities von 4chan bis 9gag schon immer irgendwie dazu gehörte – einerseits weil er gesamtgesellschaftlich dazugehört, andererseits aufgrund eines grundlegenden Missverständnis von Konzepten wie »Satire« oder »schwarzer Humor«, oder weil man bewusst moralische Grenzübertritte begehen will – hat »Gamer Gate« ihn auf eine unbekannte und brutale Spitze getrieben. Wortführer der Alt-Right wie Milo Yiannopolous oder Steve Bannon waren aktiv an Hasskampagnen gegen Frauen in der Videospielbranche beteiligt und sprachen von einem »Kulturkrieg«, der ausgefochten wurde um eine feministische und männerfeindliche Agenda zu verbreiten.

Incels teilen sich zahlreiche ideologische Parallelen mit der Alt-Right, die in einem opferkultischen Verschwörungsdenken kulminieren, das besagt, dass der Feminismus – und die dahinter steckenden Juden der Frankfurter Schule – eine politische und kulturelle Hegemonie darstellt und der heterosexuelle weiße Cis-Mann, sobald er dagegen aufmuckt, direkt von der Political-Correctness-Polizei ins Feminismus-Gulag geschickt wird. Der glühende Antifeminismus der Alt-Right, der immer wieder in Shitstorms und Angriffe umschlägt, und stellenweise sogar in Verschwörungsideologien wie dem »Pizzagte« mündet, welche dazu führte, dass ein bewaffneter Mann in einer Pizzeria um sich schoss, die einen von Hillary Clinton geleiteten Kinderporno-Ring beherbergen sollte (!) stieß bei ohnehin schon latent misoygnen und von dem Mangel an Dating-Erfolg frustrierten jungen Männern natürlich auf fruchtbaren Boden.

Die Alt-Right artikuliert sich antifeministisch, LGBTQ-feindlich, antisemitisch, rassistisch und gibt sich stellenweise inzwischen keine Mühe mehr, ihr faschistisches Denken zu verstecken. Das trifft auch auf den vor allem auf incels.co versammelten, radikaleren Flügel der Incels zu. Auf dem gemäßigten Forum »Incels without hate« teilt man zwar keine antisemitischen Verschwörungstheorien, aber auch dort wird eine maskulinistische Männerrechtsposition vertreten; man fühlt sich als Opfer von Feminismus und einer Gesellschaft, die die Bedürfnisse von Männern zu lange ignoriert hat. Ein weiterer Bezugspunkt ist die geteilte Meme Culture: Incels verwenden die klassischen Memes der Alt-Right wie »Pepe the Frog«; die Incel-Version nennt sich »Honkler«, trägt eine Clownsperücke und soll noch stärker die Sinnlosigkeit des Incel-Daseins unterstreichen. Sich als intellektueller wähnende Incels empfehlen in Threads zu Literatur auch hin und wieder Ideengeber der Alt-Right wie Nick Land oder Mencius Moldbug, Vertreter des sogenannten »Neoreactionary Movement«.

Der bedeutende Unterschied ist jedoch: während die Alt-Right, wie auch organisierte Neonazis wie die Atomwaffen Division, aktiv eine Veränderung der Gesellschaft – entweder durch das Durchsetzen einer politischen und kulturellen Hegemonie wie die Alt-Right, oder rechten Terror wie akzelerationistische Gruppen – vorantreiben und sich alle Mühe geben, einer faschistisch-männlichen Soldatenrolle zu entsprechen, suhlen sich die meisten Incels lieber in ihrem imaginierten Elend und sind wesentlich depressiver und lethargischer. Zumindest, bis sie den »Elliot Rodger« machen, also sich zu einem Attentat entscheiden. Der Großteil der Alt-Right, wie auch deutsche Affiliierte wie die Identitäre Bewegung, haben für die eher weniger kämpferischen Incels übrigens größtenteils Verachtung übrig; deshalb gibt es recht wenige persönliche Überschneidungen. Herauszuheben ist jedoch Nathan Larson: Er ist White Supremacist, war Teil der von einigen Teilen der Alt-Right gewählten Libertarian Party, und forderte in seinem Wahlprogramm die Legalisierung von Inzest, Pädosexualität und Vergewaltigung. Er betrieb mehrere inzwischen geschlossene Incel-Foren, das letzte trug den Namen »Raping Girls is fun«. Aus dem incels.co-Forum wurde er übrigens verbannt; nicht weil er Vergewaltigung als naturgegebenes Recht postulierte, sondern weil er schon mal Geschlechtsverkehr hatte.

 Zum zweiten hast du mit »Big Bang Theory« eine der erfolgreichsten Sitcoms der letzten Jahre ins Spiel gebracht, die ja genau mit dem Motiv eines Mannes spielt, der aufgrund seiner Nerdhaftigkeit bei seiner Idealfrau – die selbstverständlich blond ist und auch sonst allerlei Projektionen entspricht – zunächst nicht landen kann, sich ihr dann aber so lange aufdrängt, bis sie schließlich nachgibt. Was zeigt das für eine Entwicklung? Sind Incels gesellschafts- oder zumindest serienfähig geworden? Oder sind Fragen, die vorher nur auf Incel-Foren diskutiert wurden, Themen eines größeren Publikums, das nun als Zielgruppe in den Blick genommen wird?

Ich würde sagen, »Jein«. Positionen wie »Frauen stehen nur auf attraktive Arschlöcher und nicht auf hässliche Nerds wie mich« sind ja leider wesentlich weiter verbreitet als in der Incel-Szene. Deren Reaktion, Frauen für ihre »Hypergamie« bestrafen zu wollen, ist leider auch nicht nur auf diese Szene beschränkt. Ich würde viel mehr sagen, dass eine abgeschwächte Form von Incel-Positionen, nämlich das Anspruchsdenken, einem stünde eine Frau zu und man müsse sie nur so lange zermürben, bis sie mit einem ausgeht, um dann doch festzustellen, dass dieser übergriffige Nerd ihr Traummann ist, integraler Bestandteil einer patriarchalen Gesellschaft und Sozialisation sind. Da ist für mich gar keine Entwicklung dahinter, es ist nur die moderne kulturindustrielle Ausprägung von »Mir steht eine Frau zu, und ich weiß besser als diese Frau, was sie will«. Ich denke auch, dass eine nicht explizit feministische Beschäftigung mit Incels diese oft als Einzeltäter, schwarze Schafe, ganz anders als den normalen Durchschnittsmann darstellt, um zu verdrängen, dass man doch mehr gemein hat als einem lieb ist. Ich bezweifle, dass jeder der Männer, die auf meine Ablehnung mit wüsten misogynen Beschimpfungen, die bis zur Vergewaltigungsandrohung gingen, ein Incel war.

Für welche gesellschaftliche Entwicklung steht diese Feststellung insgesamt? Für einen antifeministischen Backlash?

Hedwig Dohm schrieb ihr Buch über Antifeministen vor mehr als hundert Jahren, und es ist erschreckend aktuell. Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhundert begann sich ja die Frauenbewegung zu organisieren; Frauen forderten gleichen Lohn, Wahlrecht, das Recht auf Abtreibung, den Schutz vor sexueller Gewalt, die Möglichkeit zu besserer Ausbildung – Punkte, für die wir immer noch streiten müssen! Da ein patriarchal strukturierter Kapitalismus einerseits auf der Ausbeutung von Frauen in der Reproduktionssphäre und als schlechter bezahlte Kräfte in der Produktionssphäre, andererseits auf die konstante Abwertung alles weiblich konnotierten (sowohl im Privaten, als auch im Beruf; Care-Arbeit wird ja so schlecht bezahlt weil es weiblich konnotierte Arbeit ist) basiert, ist ein Infragestellen oder gar aktives Angreifen dieser Strukturen aktiv unterbunden worden. Wir haben ja schon über Misogynie als Mittel gesprochen, um Frauen in die Schranken zu weisen, Antifeminismus trägt das auf eine politische Ebene. Feministische Bestrebungen wurden schon immer aktiv bekämpft, da Cis-Männer um den Verlust ihrer Hegemonie fürchten. Ich würde also nicht sagen, dass es sich um einen Backlash handelt, sondern um Ausdruck einer reaktionären Politik, die so alt ist wie die Frauenemanzipation selbst. Es ist und war der Kampf gegen die „Bedrohung“, Frauen nicht mehr beherrschen zu können, also sich nicht mehr aufgrund des Mannseins über Frauen oder queere Menschen erheben zu können. Das einzige, was Otto Weinigers Behauptung, dass Frauen alle irrationale Gören sind, die nicht denken können und dass der Jude hinter dem Feminismus steckt, davon unterscheidet, dass ein Reddit-User „feminism_is_cancer“ schreibt und dass der Kulturmarxismus Frauen zum Feminismus verführe, obwohl die besser hinter dem Herd aufgehoben sind, sind 115 Jahre. Inhaltlich ist es der immergleiche Rotz.

Trotz aller realen Brutalität sind Incels ja vor allem ein Internetphänomen, man tauscht sich in Foren aus über die Ungerechtigkeit, die einen gefühlt widerfährt und sucht Bestätigung für die eigenen Gewaltphantasien. Wie ist das denn historisch einzuordnen, sind Incels erst durch den Austausch übers Netz möglich geworden, oder sind sie dadurch einfach sichtbarer, während sie vor 40 Jahren andere Formen der Kommunikation hatten?

Ich mache ja gerne den Witz, dass die Figur des Pygmalion aus den Ovid-Sagen der Ur-Incel sei. Pygmalion war ein Frauenhasser allerersten Gütegrades, und schuf sich, da er keine Frau um sich haben wollte, eine Marmorstatue seines idealen Weibes, die irgendwann von Venus dann in eine reale Frau verwandelt wurde. Das erinnert schon sehr an Incels, die sagen: „Ich wünschte, meine Waifu [ein idealisierter weiblicher Charakter aus einem Anime] wäre real!“.

Aber Spaß beiseite. Meines Erachtens sind Incels das Resultat dreier Faktoren: der Krise der Männlichkeit, Neoliberalismus, und durchaus auch das Internet. Die Krise der Männlichkeit resultiert aus einer Gesellschaft, in der das Bild traditioneller Männlichkeit zunehmend hinterfragt oder sogar obsolet wird. Anstatt diese Entwicklung zu begrüßen, wünscht man sich diese hegemoniale Männlichkeit zurück, obwohl die Männern selbst ja auch unglaublich toxisch und gewaltförmig gegenüber ist. Incels betrachten sich allerdings, aufgrund ihres Aussehens, schon von vornherein von der hegemonialen Männlichkeit ausgeschlossen, ich würde jedoch ausgehend von der Geschlechterforscherin Raewyn Connell sagen, dass sie zu den „komplizenhaften Männlichkeiten“ zählen; also Männer die Steigbügelhalter des Patriarchats sind; dieses affirmieren sie ja in ihrem Frauenhass (Incels sollten meines Erachtens generell mal Connell lesen um zu realisieren, dass sie viel besser dran wären patriarchale Zurichtung von Jungen und Männern zu kritisieren, anstatt Frauen zu hassen). Jedenfalls artikuliert sich die regressive Antwort auf die „Krise der Männlichkeit“ darin, dass man sich nach einer Gesellschaft sehnt, in der einem das Eheweib wieder klaglos das Essen auf den Tisch stellt und ihre sexuellen Pflichten verrichtet, anstatt auf so dumme Ideen zu kommen, wie über ihren eigenen Körper bestimmen zu wollen.

Dann ist da der Neoliberalismus und eine daraus resultierende Kränkung durch den eigenen Narzissmus: dies bedeutet im Großen und Ganzen, im Alltag der kapitalistischen Verwertungsgesellschaft permanent damit konfrontiert zu sein, die eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken und sich selbst so begeistert wie möglich der ideologisch vermittelten Selbstoptimierung zu verschreiben. Scheitert man jedoch daran, diesem narzisstischen Idealbild (hier: dem Chad) zu entsprechen, so kann als Kurzschlussreaktion dazu übergegangen werden, das individuelle Selbst gänzlich aufzugeben und an dessen Stelle eine äußere Autorität treten zu lassen. Hier greifen wieder die massenpsychologischen Momente, sich selbst einer realen oder imaginierten Gemeinschaft einzuverleiben, welche einen Ausweg aus der eigenen unbedeutenden Existenz im kapitalistischen verspricht. Theodor W. Adorno schreibt in den „Bemerkungen über Politik und Neurose“: „Die auf den Kastrationskomplex zurückweisende Ich-Schwäche [...] sucht Kompensation in einem allgegenwärtigen, aufgeblähten und dabei doch dem eigenen schwachen Ich tief ähnlichen Kollektivgebilde“; also in unserem Falle die Incel-Community. Während klassische Männerbünde wie Burschenschaften oder die Armee oder die faschistische und maskulinistische Organisation der Proud Boys eine Ermächtigung gegen die permanente Erniedrigung, nur ein unbedeutendes Rädchen im kapitalistischen Getriebe zu sein, versprechen, bietet der Männerbund Incels diese nur ambivalent. Einerseits suhlt man sich masochistisch in der Vorstellung, von allen gehasst und verachtet zu werden, weil man nicht wie Chris Evans aussieht, andererseits behauptet man permanent, zu den wenigen Aufgeklärten zu zählen, und die Welt in all ihrer Bösartigkeit durchschaut zu haben. Aber sich als Teil dieses verschworenen Bundes zu fühlen, ist durchaus eine Reaktion auf das Scheitern an den Ansprüchen des Neoliberalismus; und das Kokettieren mit dem Versagerstatus kann durchaus als trotziger Mittelfinger interpretiert werden: „Ich bin kein erfolgreicher Chad, sondern ein hässlicher NEET („Not in employment, education, or Training“), aber dafür weiß ich im Gegensatz zu euch Normies, wie der Hase läuft und verachte euch für eure Ignoranz!“

Und während solche Männer, die in dieser neoliberalen Gesellschaft dann tragischerweise vereinzelt und somit alleine gelassen über ihren Neurosen brüten anstatt ein solidarisches und kritisches Umfeld zu haben, das ihnen vor Augen hält wie toxisch und infantil ihre Ideologie ist, früher dann doch eher alleine blieben, bietet ihnen das Internet jetzt einen Ort, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Bei Incels ist das dann eine toxische Echokammer, in die verunsicherte Jungen hinein rutschen und sich diese zerstörerische Ideologie aneignen, in der sich die User selbst immer wieder bestätigen. Ein ehemaliger Incel schreibt in einem Aussteigerforum konkret davon, dass diese Foren wie eine Droge auf ihn gewirkt haben, er süchtig nach dieser negativen Selbstbestätigung in der Form von „Du bist hässlich, Frauen werden dich nie lieben, deshalb musst Du sie hassen“ war. Und wer diese Online-Echokammer hat, braucht ja auch kein real existentes Umfeld mehr. Es ist so wichtig, dass Incels lernen, Menschen, und vor allem Frauen, nicht als Projektionsflächen zu betrachten sondern als Subjekte; und das kann nur passieren, wenn sie diese Foren verlassen.