News | Parteien / Wahlanalysen - Mexiko / Mittelamerika / Kuba Wer ist Claudia Sheinbaum?

Die linke Bürgermeisterin der Hauptstadt wird zukünftig Mexiko regieren

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Gerold Schmidt,

Die Kandidatin steht auf der Bühne im Konfettiregen und winkt ihrer Anhänger*innen zu.
Claudia Sheinbaum beim Auftakt ihrer Präsidentschaftskampagne im März 2024. Foto: Eneas de Troya

Claudia Sheinbaum hat Geschichte geschrieben. Seit vergangenem Sonntag ist klar, dass sie als erste Frau an der Spitze Mexikos stehen wird. Die Kandidatin der linksgemäßigten Nationalen Erneuerungsbewegung (Movimiento de Renovación Nacional, MORENA) und den zwei Juniorpartnern der Arbeiterpartei (PT) und der mexikanischen Grünen (PVEM) errang bei den Präsidentschaftswahlen am 2. Juni einen deutlichen Wahlsieg. Im stark präsidial geprägten Regierungssystem des Landes bedeutet das einen mehr als soliden Rückhalt für ihren Amtsantritt am 1. Oktober. Sheinbaum hat als Präsidentin und Regierungschefin die Chance, die mexikanische Politik in den kommenden Jahren maßgeblich zu gestalten.

Gerold Schmidt leitet das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Mexiko-Stadt.

Im Wahlkampf kündigte die von ihren Anhänger*innen einfach Claudia genannte Wahlsiegerin mehrfach «die Zeit der Frauen» an. Doch wie links und wie feministisch geprägt wird ihre Politik sein? Dahinter stehen noch viele Fragezeichen. Die stets beherrscht und oft unterkühlt wirkende Sheinbaum hat in den vergangenen Jahren auch mit Blick auf ihre Präsidentschaftskandidatur darauf geachtet, keine Brüche mit ihrem charismatischen Vorgänger Andrés Manuel López Obrador, kurz AMLO, sichtbar werden zu lassen. Dieser konnte mit dezidiert feministischen Positionen nie viel anfangen. Trotzdem sah er in der von ihm protegierten Sheinbaum seine ideale Nachfolgerin.

Von der Wissenschaft zur Politik

Was klar ist: Mit der ausgebildeten Physikerin und anerkannte Energie-Ingenieurin Sheinbaum kommt eine äußerst zielstrebige Person an die Macht. Sie hat die Chance, das von Obrador hinterlassene Vakuum auf ihre Weise auszufüllen und schnell eigene Akzente zu setzen. Vorsichtig hat sie im Wahlkampf eine stärkere Ausrichtung auf erneuerbare Energien und mehr Gewicht auf Wissenschaft und Technologie erkennen lassen. Die Sozialprogramme will sie weiter ausweiten. Beim Thema radikaler gesellschaftlicher Transformationen hat sie eher ausweichend und abwägend reagiert.

Beide Elternteile Sheinbaums entstammen jüdischen Einwandererfamilien und engagierten sich in den 1960er Jahren in der mexikanischen Arbeiter*innen- und Student*innenbewegung, politischer Aktivismus prägte die heute 61jährige Sheinbaum damit von klein auf. Sie selbst hat politisches Engagement und wissenschaftliche Karriere immer miteinander verbunden. An der Autonomen Mexikanischen Nationaluniversität UNAM war sie Ende 1986 Mitbegründerin und führendes Mitglied des im Rückblick legendären Universitären Studentenrates (CEU). Der Rat organisierte damals eine erfolgreiche studentische Massenbewegung gegen eine zunehmend neoliberale Ausrichtung der Universität. Sheinbaum erwarb sich den Ruf einer beinharten und selbstsicheren Verhandlerin gegenüber den UNAM-Autoritäten.

Nur wenige Jahre später gehörte sie zu den ersten Wissenschaftler*innen in Mexiko, die sich intensiver mit dem Klimawandel befassten. Sie arbeitete unter anderem an Messmethoden zur Erfassung der Luftverschmutzung mit.

Aufstieg mit Obrador

Die politische Karriere Sheinbaums begann um die Jahrtausendwende. Der gerade zum Bürgermeister von Mexiko-Stadt gewählte Obrador holte die Forscherin der UNAM in sein Regierungsteam. Er machte Sheinbaum während seiner Amtszeit (2000-2005) zur Umweltministerin der Hauptstadt. Dies war der Grundstein für eine fast 25 Jahre währende Zusammenarbeit zwischen beiden. Sheinbaum begleitete den Präsidentschaftskandidaten Obrador 2006 bei den monatelangen Protesten gegen die mutmaßlich gestohlene Präsidentenwahl. Auch bei Obradors erneuter erfolglosen Kandidatur 2012 gehörte sie zu seinem Team. Zwischendurch kehrte sie mehrfach vorübergehend wieder als Forscherin und Dozentin an die UNAM zurück. Ihre wissenschaftliche Zusammenarbeit mit dem Weltklimarat (IPCC) erhielt 2007 viel Aufmerksamkeit in Mexiko. Es war das Jahr, in dem der Rat den Friedensnobelpreis erhielt.

Politisch startete Sheinbaum 2014 mit dem Aufbau von MORENA noch einmal richtig durch. Die von Obrador betriebene Abspaltung von der heute zur Kleinstpartei verkommenen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) hatte schnell eine große Anhängerschaft. Als registrierte Partei erreichtet MORENA bereits 2016 wichtige Erfolge. Dazu gehörte die Wahl Sheinbaums zu einer der 16 Bezirksbürgermeister*innen in Mexiko-Stadt. Ein Sprungbrett: 2018 kandidierte sie erfolgreich für das Bürgermeister*innenamt der Metropole.

Erfolgreiche Bürgermeisterin in der Hauptstadt

In ihrer Zeit als Chefin der Stadtregierung (2018-2023) musste Sheinbaum auch Rückschläge verkraften. Im Mai 2021 forderte ein schweres durch Bau- und Wartungsmängel verursachtes U-Bahnunglück 27 Tote. Bei den wenige Monate später folgenden Zwischenwahlen für Stadtrat und Stadtbezirke bracht die Unterstützung für MORENA ein. Letztendlich erwies sich Sheinbaum jedoch als recht effiziente Bürgermeisterin. Nach Anlaufschwierigkeiten organisierte ihre Stadtregierung die Impfkampagne während der Covid-Pandemie hervorragend. Die Sicherheitslage in der Stadt verbesserte sich. Die Stadtregierung baute Radwege aus und erweiterte das System emissionsärmerer öffentlicher Transportmittel. Sie legte zudem Stipendien- und Bildungsprogramme für die marginalisierte Bevölkerung auf.

In Erinnerung bleibt auch eine der ersten Amtshandlungen von Sheinbaum als Bürgermeisterin: Sie schuf die verhasste Polizeieinheit der Granaderos in der Hauptstadt ab. Damit erfüllte sie eine Forderung, die bis auf die 1968 mit einem Massaker niedergeschlagene mexikanische Student*innenbewegung zurückging. Immer wieder gingen auch die vorherigen «linken» Stadtregierungen mit dieser repressiven und brutal agierenden Einheit gegen Demonstrationen und Protestbewegungen in der Metropole vor. Als entspannende Maßnahme setzte Sheinbaum verstärkt weibliche und unbewaffnete Polizeikräfte ein, wenn verschiedenste soziale Bewegungen in der Stadt für Proteste mobilisierten.

Nun steht «Claudia» als mexikanische Präsidentin vor ihrer größten politischen Herausforderung. Spannender Nebenschauplatz: Die politisch und wirtschaftlich extrem wichtige Hauptstadt wird wohl weiterhin von MORENA regiert werden. Die gewählte neue Bürgermeisterin Clara Brugada gilt in ihren feministischen und linken Positionen im Vergleich zu Sheinbaum als deutlich radikaler und stützt sich stark auf die popularen urbanen Bewegungen. Das Verhältnis der beiden Frauen gilt nicht als besonders harmonisch. Gelingt ihnen allerdings ein gutes Zusammenspiel, dann gibt es tatsächlich die Aussicht auf eine «Zeit der Frauen» in Mexiko.