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Hitzewellen erzeugen in Griechenland neue soziale Konflikte. Strategien gegen die Folgen der Klimaerwärmung muss die Linke allerdings erst entwickeln.

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Waldbrand bei Keratea, südöstlich von Athen, am 30. Juni 2024. Seit Beginn der Waldbrandsaison Anfang Mai werden die Feuerwehren jeden Tag zu Dutzenden von Waldbränden im ganzen Land gerufen. Mit den Hitzewellen steigt die Gefahr von Waldbränden sowie der Erosion und Verwüstung entwaldeter Landstriche. Foto: IMAGO / Xinhua

Nach der extremen Hitzewelle, die in diesem Sommer über Südosteuropa hereinbrach, waren die offiziellen Zahlen keine Überraschung: Der Juli 2024 war der heißeste Juli, seitdem in Griechenland Wetterdaten erhoben werden. Um 2,9 Grad Celsius wurden die Durchschnittstemperaturen der drei Jahrzehnte zwischen 1991 und 2020 übertroffen. In drei der vergangenen vier Jahre wurde im Juli ein neuer Temperatur-Rekord aufgestellt, berichtete Anfang August der Meteorologische Service der staatlichen Forschungseinrichtung National Observatory of Athens (NOA).

Boris Kanzleiter leitet das Griechenland-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Athen.

Die Daten bestätigen einmal mehr, was die Klimawissenschaft seit Jahren konstatiert. Griechenland und die umliegende Region ist ein «Hotspot» der weltweiten Erderwärmung. Wissenschaftler*innen der von der zypriotischen Regierung geförderten Initiative for Coordinating Climate Change Action in the Eastern Mediterranean and Middle East stellen in ihren Analysen und Modellrechnungen fest, dass die Erderwärmung in der Region rund um das Östliche Mittelmeer fast doppelt so schnell verläuft wie im globalen Durchschnitt.

Die Auswirkungen auf Mensch und Natur sind drastisch. Die Modelle gehen von einer Zunahme von dauerhaften Hitzewellen sowie Dürren, Staubstürmen, Starkregenereignissen und Überschwemmungen aus. Damit steigt die Gefahr weiterer verheerender Waldbrände sowie der Erosion und Verwüstung entwaldeter Landstriche. Es wird auch mit einer erheblichen «Übersterblichkeit» aufgrund von steigenden Herzkreislaufkrankheiten sowie anderen klimabezogenen Erkrankungen gerechnet. Nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch der Fischfang und andere wirtschaftliche Bereiche werden existenzgefährdend geschädigt. In einem Papier warnen die Wissenschaftler*innen auf der Grundlage der Auswertung des Forschungsstandes vor «potentiell disruptiven gesellschaftlichen Auswirkungen».

Neue Arbeitskämpfe gegen die Hitze

Tatsächlich deutet sich in diesem Sommer erstmals an, dass mit der Klimaerhitzung auch soziale Konflikte zunehmen. Vor allem die Lieferdienst- und Kurierfahrer*innen protestieren. Ihre Basisgewerkschaft S.V.E.O.D. – im Jahr 2007 gegründet im Kampf gegen prekarisierte Arbeitsbedingungen und neoliberale Strukturreformen – forderte im Juli das Arbeitsministerium auf, Maßnahmen zum Schutz der Rider zu ergreifen. Sie leiden besonders unter der Hitze, weil sie der Sonne direkt ausgesetzt sind und Schutzhelme tragen müssen. In einer Erklärung schreibt die Gewerkschaft «Wir arbeiten ohne Pause wie Kamele in der Wüste. Aber wir sind keine Kamele, sondern verfügen über Vernunft und Verstand.»

Das Ministerium der konservativen Regierung des Premierministers Kyriakos Mitsotakis von der Partei Neue Demokratie (ND) reagierte abwehrend. An lediglich drei besonders heißen Tagen vom 17. bis 19. Juli hatte es das Arbeiten außerhalb von Büro- und Geschäftsräumen verboten, nicht aber für die ebenfalls sehr heißen Tage vom 19. bis 23. Juli. Die Gewerkschaft reagierte entsprechend empört. Sie forderte ein generelles Arbeitsverbot bei Fortzahlung von Löhnen und Versicherungen, wenn die Temperaturen über 38 Grad Celsius steigen, sowie weitere Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen, etwa gekühlte Pausenräume und kostenloses kaltes Trinkwasser.

Der Konflikt zwischen Ridern und Arbeitsministerium zeigt, wie der Klimawandel in Zukunft auch die Arbeitswelt verändert und damit auch zu einer Herausforderung für Gewerkschaften wird. Dies bestätigt die Untersuchung von Andreas Flouris von der Universität Thessalien im zentralgriechischen Volos für die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Flouris stellt fest, dass die globale Erwärmung vor allem die ohnehin verletzbarsten und am schlechtesten bezahlten Arbeiter*innen betrifft. Es handelt sich dabei weltweit um etwa 2,5 Milliarden Menschen, die in der Landwirtschaft, im Bausektor, im Tourismus, für Lieferdienste sowie bei der Müllentsorgung arbeiten. Diese Arbeiter*innen können ihre äußeren Arbeitsbedingungen kaum verändern. Sie können nicht in kühlere Räumlichkeiten wechseln oder zu einer kühleren Tageszeit arbeiten. Gleichzeitig sind sie oft nicht durch funktionierende öffentliche Gesundheitssysteme geschützt und damit ohnehin besonders gefährdet.

Nach Erhebungen von Flouris ist Hitze bereits heute weltweit für Millionen von Arbeitsunfällen und tausenden von arbeitsbedingten Todesfällen verantwortlich. Allein in Griechenland sterben nach seinen Schätzungen etwa 1.500 Menschen jährlich aufgrund der Hitzebelastung durch Erwerbsarbeit. Ein Problem bei der Erhebung von Daten ist allerdings, dass Todesfälle, die durch den Hitzestress auf Arbeit verursacht sind, aber außerhalb der Arbeitszeit stattfinden, nicht als Arbeitsunfälle registriert werden.

Hurrikans im Mittelmeer

Aber nicht nur in der Arbeitswelt hat die Klimaerwärmung im Hotspot Östliches Mittelmeer weitreichende soziale Auswirkungen. Dies zeigen die Folgen des Wirbelsturms «Daniel», der im September vergangenen Jahres über Griechenland, Bulgarien und die Türkei zog und schließlich in Libyen wieder auf Land traf. In Griechenland setzten Starkregenfälle die Region Thessalien – eine der Kornkammern des Landes – weitgehend unter Wasser. Fluten zerstörten Häuser, Infrastruktur sowie landwirtschaftliche Flächen und Viehbestände. Die Schäden werden auf etwa zwei Milliarden Euro beziffert. Noch schlimmer wütete der Sturm in Libyen. In dem durch einen Krieg zwischen rivalisierenden Machtstrukturen zerrissenen Land kamen nach Schätzungen um die 6.000 Menschen in den Fluten um, die von Starkregen ausgelösten wurden. Die Schäden an der ohnehin lückenhaften Infrastruktur waren enorm.

«Daniel» wird in der Fachwissenschaft als « Medicane» (Mediterranean Hurricane) bezeichnet. Es handelt sich dabei um Wirbelstürme, wie sie normalerweise in tropischen Regionen mit hohen Wassertemperaturen auftreten, beispielsweise in der Karibik. «Daniel» war der bisher stärkste und tödlichste außertropische Wirbelsturm im Mittelmeerraum. Das Wetterphänomen der «Medicanes» wurde erst in den 1980er auf Satellitenbildern evidentiert. Die neuartigen Wirbelstürme im Mittelmeerraum stehen offenbar im Kontext mit den steigenden Temperaturen.

Eine Mehrheit macht die Regierung verantwortlich

Für die Politik in Griechenland waren die Klimaveränderungen bisher kein entscheidendes Thema. Die schweren ökonomischen, sozialen und politischen Verwerfungen in Folge der Eurokrise ab 2009/2010 stehen für das politische Leben und den beschwerlichen Alltag der Bürger*innen weiterhin im Vordergrund. Ein erstes Klimagesetz, das die konservative Regierung Mitsotakis im Mai 2022 erlassen hat, sieht lediglich die Umsetzung der globalen Klimaziele der Vereinten Nationen und der Politik der Europäischen Union vor. Klimaschädliche Emissionen sollen schrittweise abgebaut und regenerative Energiequellen gefördert werden, damit das Land bis 2050 «klimaneutral» wird. Die laufenden Klimaveränderungen werden dadurch im besten Fall eingedämmt, in keinem Fall aber verhindert.

Auch die Strategien zum Umgang mit Klimafolgeschäden in der Stadtentwicklung, Landwirtschaft oder der Infrastrukturentwicklung sind nicht ausreichend. Denn um die absehbaren Folgen der Klimaveränderungen für die Menschen und auch für die Wirtschaft zu lindern, müssten im großen Maßstab Gebäude energetisch saniert, Flächen entsiegelt, Wälder aufgeforstet, Abwassersysteme ausgebaut und die landwirtschaftliche Produktion geschützt werden. Solche Maßnahmen sind unter den Bedingungen der drastischen Kürzung öffentlicher Ausgaben und der brutalen Umsetzung neoliberaler Strukturreformen, wie sie in Griechenland seit der Eurokrise herrschen, allerdings kaum denkbar, denn sie würden umfangreiche öffentliche Investitionen erfordern.

Entsprechend betont Giorgos Velegrakis, dass die Klimakrise eine «eminent politische Frage» sei, die bisher nicht genügend Raum im öffentlichen Diskurs einnehme. Der Wissenschaftler an der Athener Kapodistrias-Universität arbeitet derzeit im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung an einer Studie zu linken Strategien sozial-ökologischer Transformation in Griechenland. Umfragen zufolge mache eine Mehrheit der Bevölkerung die Regierung dafür verantwortlich, dass zu wenig gegen die Klimakrise und ihre Auswirkungen getan werde. Velegrakis erklärt, dass die notwendige Aufmerksamkeit für sozial-ökologische Fragen nicht aus einem «sozialen Konsens» heraus entstehen würden, sondern von «Praktiken des Dissens.» In diesem Sinne sind die Aktionen der Rider-Gewerkschaft in Athen vielleicht ein Beginn.