News | Erinnerungspolitik / Antifaschismus - Kultur / Medien - Kampf gegen Rechts Andreas Dresen: «In Liebe, Eure Hilde»

Ein Gespräch über Menschen, die in schwierigen Zeiten das Richtige tun

Information

Hauptdarsteller Johannes Hegemann und Liv Lisa Fries mit Regisseur Andreas Dresen auf der Berlinale 2024
Hauptdarsteller Johannes Hegemann und Liv Lisa Fries mit Regisseur Andreas Dresen auf der Berlinale 2024 Foto: Richard Huebner

Im Juli 2024 eröffnete in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand eine Ausstellung über einige Hundert von mehr als bislang 5.000 namentlich bekannten «Frauen im Widerstand» gegen Nationalsozialismus. Sie alle – so heißt es in der Ankündigung – «nutzten jene Möglichkeiten, die es unter den Bedingungen der Diktatur für Mitmenschlichkeit und politisches Handeln noch gab.» Durch eine Beschäftigung mit ihren Lebensbildern würde «deutlich, mit welcher Härte das NS-Regime gegen die Widerstandskämpferinnen vorgegangen ist.» Hilde Coppi, geb. 1909, ist eine der bekanntesten unter ihnen. Als vermeintliches Mitglied des von den Nazis als «Rote Kapelle» konstruierten Widerstandsnetzwerkes wurde sie im September 1942 verhaftet. Im Frauengefängnis Barnimstraße konnte sie noch ihren Sohn auf die Welt bringen, bis am 5. August 1943 auch gegen sie das wegen «Vorbereitung zum Hochverrat» verhängte Todesurteil vollstreckt wurde.

Mit in «In Liebe, Eure Hilde» kommt nun ein Film über Hilde Coppi in die Kinos. Er zeigt Helden als Menschen, um sie auf diese Weise zu ehren. Uwe Sonnenberg, Referent für Zeitgeschichte und Geschichtspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, hat mit dem Regisseur Andreas Dresen gesprochen.
 

Uwe Sonnenberg: Herr Dresen, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Gespräch genommen haben. Wer war Hilde Coppi?

Andreas Dresen: Das in kurzen Sätzen zu sagen, ist schwer, weil sie ja eine sehr komplexe Persönlichkeit war. Wenn man, wie ich, im Osten groß geworden ist, dann kannte man natürlich die Namen von Hilde und Hans Coppi, es waren ja Straßen, Schulen, Kindergärten nach ihnen benannt. Aber ihre Lebensgeschichte oder das, was ihnen wirklich widerfahren ist, habe ich eigentlich erst viel später genauer kennengelernt, weil sich immer ein verklärendes Bild von so antifaschistischen Superhelden vor die reale Lebensgeschichte geschoben hatte. Für mich ist Hilde Coppi vor allen Dingen eine stille, tiefe, bescheidene und am Ende auch wirklich sehr standhafte Person. Die aber gar nicht dem gängigen Widerstandskämpfer-Klischee entspricht, wo man sich vorstellt, dass jemand das Kommunistische Manifest gelesen hat und dann mit erhobener Faust loszieht, um Attentate zu machen – so war sie nun halt gar nicht. Mir hat von Anfang an gut gefallen, dass sie aus einem menschlichen, empathischen, ethischen Anspruch heraus in den Widerstand hineinrutscht, indem sie einfach das tut, was ihr Herz ihr sagt. Sie hat aus wahrhaft menschlicher Intuition heraus in sehr schwierigen Zeiten das Richtige getan.

Was hat sie denn getan?

Sie hat – damals verbotener Weise – zum Beispiel die «Heimatpost»-Sendung bei Radio Moskau abgehört und den Angehörigen deutscher Kriegsgefangener dann Nachrichten geschickt, dass ihre Söhne noch leben. Sie hat 1942 Flugblätter geklebt gegen die Propaganda-Ausstellung der Nazis über «Das Sowjetparadies», sie hat ein Funkgerät transportiert und versucht, ihrem Mann dabei zu helfen, Funksprüche mit militärischen Informationen in die Sowjetunion abzusetzen – was ja aus westlicher Perspektive dazu geführt hat, dass nicht nur Hilde und Hans Coppi, sondern im Prinzip die gesamte sogenannte Rote Kapelle als Vaterlandsverräter eingestuft wurden. Bis 2009 endlich der Deutsche Bundestag die damals gefällten Urteile annulliert hat. Es ist ja interessant, dass die sogenannte Rote Kapelle im Westen kaum bekannt gewesen ist. Manfred Roeder, der als Staatsanwalt die Todesurteile gegen die Gruppe mit zu verantworten hatte, war noch in den 1960er Jahren Kommunalpolitiker in Hessen. Seit damals hat sich schon sehr viel bewegt.

Aber wieso machen Sie dann jetzt einen Film gerade über Hilde Coppi?

Das war ein Vorschlag der Drehbuchautorin Laila Stieler. Sie hatte sich mit Frauen im Widerstand beschäftigt, was ja auch das von ihnen angesprochene Thema der neuen Ausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand ist. Wir kennen natürlich Sophie Scholl, aber es hat eben noch viele andere tapfere Frauen gegeben. Laila hat dann ein Drehbuch über Hilde Coppi entwickelt und ich habe mich sofort in diesen Charakter verliebt.

Sie haben die für Ost und West verschiedene Rezeption der sogenannten Roten Kapelle angesprochen. Aber in Ihrem Film taucht das Wort «Rote Kapelle» gar nicht auf?

Weil ich nicht wollte, dass dieser Begriff, den die Nazis geprägt haben, in den Film Einzug hält. Auch war er zu der Zeit, in der der Film spielt, nicht in der Öffentlichkeit. Vielleicht kannten ihn einzelne Leute von denen, die verhaftet waren, aber ich weiß zum Beispiel nicht, ob Hilde ihn jemals erfahren hat. Ich war immer der Meinung: Leute, die sich für Geschichte interessieren, die werden sich danach sowieso im Internet informieren. Ein Film hat ja auch in keinerlei Hinsicht Anspruch auf Vollständigkeit; wir zeigen einen kleinen Teil dieser sehr großen Geschichte. Als die Mitglieder der sogenannten Roten Kapelle verhaftet worden sind, waren das über 100 Frauen und Männer – was für Lebensgeschichten man da alles erzählen könnte! Wir erzählen eine einzelne, von einer tapferen Frau. Es ist unsere höchst subjektive Sicht auf diesen Teil deutscher Geschichte. Und wir haben versucht, für die Gegenwart zu erzählen, weil im Schicksal von Hilde eine Nachricht an uns alle steckt, besonders in diesen Zeiten.

Sie wollten diese Geschichte «enthistorisieren», wie Sie einmal sagten. Dabei fühlte ich mich sofort bei meiner Ehre als Historiker herausgefordert, Position einzunehmen und Grenzen dessen zu bestimmen, die historischen Kontexte oder den Zeitkern der Geschichte zu beachten. Dann aber bemerkte ich: Für die politische Bildungsarbeit, wie sie zum Beispiel auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung betreibt, könnte genau dieses «Enthistorisieren» spannend werden. Was meinen Sie damit, eine höchst subjektive Sicht auf die deutsche Geschichte in die Gegenwart holen wollen?

Das heißt, dass wir kein «Nazi-Museum» errichten wollten. Es gibt ja fast eine Art Kanon, wie Spielfilme über die Nazizeit auszusehen haben: wehende schwarz-rot-weiße Flaggen, blankpolierte Stiefel, eingeworfene Schaufenster, brüllende Nazihorden – und das alles getaucht in Sepiafarben und mit dramatischer Musik unterlegt. Nichts davon wollten wir machen. Wir wollten diese Geschichte so erzählen, dass ein heutiger Zuschauer den Figuren, die da unterwegs sind, möglichst nahekommt.

Und wie haben Sie das gemacht?

Wir hätten natürlich sagen können: Okay, wir drehen einfach in Berlin auf den jetzigen Straßen, da fahren im Hintergrund moderne Autos, solche Versuche gab es ja schon. Wenn ich so etwas gesehen habe, hat es mich als Zuschauer aber oft stark irritiert. Das wollten wir genauso wenig, wie eine Zeitkapsel, in der man die ganze Zeit den Eindruck hat: Das ist vor 80 Jahren gewesen, mit mir hat das nichts zu tun.

Wir haben dann versucht, die jungen Leute im Zentrum der Erzählung so modern wie möglich zu erzählen, was sowohl ihre Sprache als auch die Klamotten betrifft, die sie tragen. Die Kostüme haben wir zum Teil in Berliner Second-Hand-Läden gekauft und nicht aus dem Fundus geholt. Auch die Frisuren sind in gewisser Weise zeitlos. Und wir haben versucht, auch die Zuträger des Regimes so zu zeigen, dass es nicht so einfach ist, sich von ihnen zu distanzieren.

Klar, gegenüber einem brüllenden oder prügelnden SA-Mann fällt es einfach, sich in Distanz zu begeben.

Ja, aber wenn Ihnen ein jovialer Kriminalbeamter freundlich eine Leberwurststulle über den Tisch reicht, wird es schon schwieriger. Es ging um Ambivalenzen. Selbst der Richter ist kein schreiender Freisler-Verschnitt, er könnte auch im Sozialgericht arbeiten – trotzdem verfügt er am Ende das Todesurteil. Dass die Leute sich freundlich verhalten, macht die Sache ja nicht besser.

Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Diktatur nicht allein von den Lauten getragen wird. Sondern vor allem von den Leuten, die einfach nur nichts sagen. Die vielleicht sogar eine Distanz empfinden und dies oder jenes nicht in Ordnung finden. Aber sich aus persönlicher Angst, vielleicht auch aus Angst um ihre Familien, einfach zurückhalten und feige sind. Deswegen funktioniert sowas. Diktaturen stehen auf den Schultern der breiten Masse der Opportunisten. Und man kann sich da natürlich auch sehr schnell mit den eigenen Ängsten wiederfinden. Ich kenne das ja noch aus DDR-Zeiten oder aus der Umbruchzeit. Das ist, finde ich, eine hilfreiche Erfahrung, sich in Situationen wie diesen zu erleben, wie man dann so agiert, wo man mutig ist oder an anderer Stelle auch feige. Wo man darüber nachdenkt: Sage ich das jetzt oder sage ich das nicht, was hat das für Konsequenzen? Wir möchten gerne, dass die Menschen sich beim Anschauen des Films diese Fragen stellen. Das sind moderne Fragen.

Die immerwährende Frage: «Wie hätte ich mich verhalten?» Ist es das, was Sie sich wünschen, womit die Kinobesucher aus «In Liebe, Eure Hilde» rausgehen sollten?

Ja. Sie sollten auf sich wirken lassen, was Menschen wie Hilde geleistet haben, was sie für ein Schicksal hatten. Im Kino ist eigentlich immer das Schönste, wenn man sich abgleicht. Man kann mit der Titanic untergehen und trotzdem trockene Füße behalten. Und man kann darüber nachdenken: Wie hätte ich mich in der Situation des Untergangs verhalten, wo wäre ich da gewesen? Diesen Abgleich von Verhaltensmustern, den finde ich auch bei historischen Filmen interessant. Man macht die ja nicht, um eine Zeit zu rekonstruieren, und darum habe ich vorhin gesagt, dass das in jedem Fall eine höchst subjektive Darstellung ist. Wir haben am Set alle miteinander Entscheidungen getroffen, was wir zeigen, aber auch, was wir nicht zeigen. Also ist das ein ganz subjektiver Blick auf die Welt, unabhängig davon, ob sie nun vergangen oder eine gegenwärtige ist. Dessen sollte man sich immer bewusst sein, wenn man ein Kunstwerk anschaut.

Der Film ist ja auch eine Entscheidung für eine bestimmte Erzählweise. Sie haben sich dafür entschieden, mit der Verhaftung Hilde Coppis einzusetzen und die zehn Monate, die Hilde Coppi noch zu leben hatte, nach vorne zu erzählen. Reingeschnitten – und dann rückwärts erzählt – sind die Erinnerungen an den langen Sommer einer kurzen und innigen Liebe zwischen den beiden Coppis, mithin jene Akte des Widerstands, für die sie zum Tode verurteilt werden, nur, dass das Todesurteil gegen Hilde Coppi noch nicht vollzogen ist, weil ihr Kind noch gestillt werden durfte. Erst dann schlägt die Gnadenlosigkeit des Systems zu. Wobei die Brutalität nicht in die Figuren hineingeschrieben ist, die Brutalität liegt in dieser Unausweichlichkeit der Umstände. Das ist, glaube ich, auch das, was wirklich schwer zu ertragen ist, wenn man sich Ihren Film anschaut.

Das ist schwer zu ertragen. Das war für uns beim Machen auch schwer zu ertragen. Weil man weiß, dass das, was wir gerade filmen, die Situation, die wir gerade darstellen, nicht die Idee einer Drehbuchautorin ist – das ist real, das gab es, man kann sich die Orte anschauen. Man kann nach Plötzensee gehen und sich die Gedenkstätte anschauen, wo Hilde Coppi hingerichtet worden ist und viele andere mutige Menschen. Das tut noch einmal auf eine ganz andere Art weh, finde ich.

«In Liebe, Eure Hilde» ist ein berührender Film, ein leiser Film. Liv Lisa Fries beeindruckt als Hilde Coppi, während Lisa Wagner als die Wärterin im Hintergrund einen langsamen, aber deutlichen Wandel vollzieht. Könnten Sie uns noch etwas mehr zu dieser Figur sagen?

Anneliese Kühn, die von Lisa Wagner gespielt wird, ist eine historisch belegte Figur. Sie war in Wirklichkeit viel hilfreicher als die Anneliese Kühn, die wir im Film zeigen. Die tatsächliche Anneliese Kühn war im Prinzip so, wie unsere Figur zu Ende des Films ist. Laila Stieler hat zwei verschiedene historisch belegte Wärterinnen zusammengefügt und daraus eine Entwicklungsgeschichte gebaut. Sie hat eine Figur entwickelt, die sich am Anfang immer auf die Vorschriften beruft, sich dann aber nach und nach öffnet. Das mochte ich sehr, dass man einerseits den Konsens mit dem System merkt, und auf der anderen Seite aber spürt, wie er nach und nach zerbricht. Spätestens, wenn sie sagt, «wenigstens bei dir hätte der Führer doch ein Einsehen haben müssen», geht sie ja dann doch weiter. Menschlichkeit lässt sich letztendlich nicht durch ein System einhegen, irgendwann bricht sie sich selbst bei einer Anneliese Kühn Bahn. Und wie Lisa Wagner das darstellt, ist ganz großartig; sie hat ja eigentlich nicht viel Raum in dem Film, aber eine hohe Präsenz.

Wir hatten ihn ja bereits erwähnt, Hans Coppi jr., der im November 1942 im Gefängnis geboren wird. Er ist so etwas wie die leibgewordene Verbindung zur Gegenwart und er spricht auch die Schlusssequenz im Film. Wie war Ihre Zusammenarbeit, wie hat er auf diesen Film geschaut?

Hans Coppi hat den Film die ganze Zeit begleitet, von Anfang an, er war die wichtigste Informationsquelle und auch der wichtigste Mensch, der uns bei der Arbeit geholfen hat. Er hat für uns nicht nur sein Archiv geöffnet, sondern vor allem sein Herz, das kann ich ganz klar sagen. Für mich war eigentlich das Schönste, ihn zu erleben. Er ist ja so ein zarter, fragiler, sensibler, feiner Mensch, und ich habe ihn immer gesehen und gedacht: Näher kannst du seiner Mutter nicht kommen. Ich habe immer auch Hilde in ihm gesehen, das hat mich sehr berührt. Und er hat sich so sehr gewünscht, dass wir seine Eltern als Menschen zeigen, das hat er oft gesagt – er wollte, dass mit dem Film den ganzen ideologischen Vereinnahmungen seiner Eltern ein anderes Bild entgegengestellt wird. Er hat ihn dann gesehen, da war der Film noch nicht ganz fertig, aber weitestgehend, das war eine sehr bewegende Vorführung. Weil er natürlich mit einer Phase seines Lebens konfrontiert war, die er zwar erlebt hat, aber nicht erinnert. Und plötzlich sah er sich selbst als Baby und seine Eltern da auf der Leinwand. Das hat ihn natürlich sehr gerührt.

Der allerschönste Moment war für mich aber auf der Berlinale, als der Film seine Uraufführung hatte. Ich habe Hans Coppi nach den Schauspielern als Letzten auf die Bühne gebeten und 1.800 Leute haben ihm Standing Ovations gegeben. Er hat die Faust in den Kinohimmel gereckt – ich denke, das war für ihn ein später Moment der Gerechtigkeit. Für seine Eltern und auch für sein eigenes Leben, was ja auf traumatische Art durch das Schicksal seiner Eltern beeinflusst worden ist. Da schossen mir Tränen in die Augen, für solche Momente mache ich Filme.
 

Transkription: Lutz Kirschner