News | Willkommenskultur, Ausgrenzung, Abschieberegime. Flüchtlingspolitik in Baden-Württemberg

VERANSTALTUNGSBERICHT

Bild: Mixy Lorenzo, flickr / CC BY-NC-SA 2.0

Das Jahr 2015 stand in ganz Europa und in Deutschland im Zeichen der großen Flucht- und Migrationsbewegungen und des gesellschaftlichen Umgangs mit den hieraus resultierenden Herausforderungen. Während die Politik der großen Koalition zwischen dem freundlichen Gesicht eines «humanitären Imperativs» des «Wir schaffen das» und der kalten Realität der Ausweisung weiterer «sicherer Herkunftsländern» und der Verschärfung asyl- und aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen schwankte, zeigte die Zivilgesellschaft, wozu die Menschen in Deutschland auch in der Lage sind: hunderttausendfache, ja millionenfache Hilfs- und Unterstützungsbereitschaft für Menschen, die durch Kriege, Naturzerstörung und wirtschaftliche Not gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen und in einem der reichsten Länder der Welt um Aufnahme ersuchten.

In Baden-Württemberg besitzen knapp 3 Millionen der 10,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner einen Migrationshintergrund. Prozentual ist Stuttgart mit einem Anteil von fast 40 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund nach Frankfurt/Main die Großstadt in Deutschland, in der dieser Anteil am höchsten liegt. Nichts lag also näher als in Stuttgart eine Tagung durchzuführen, die sich unter dem Titel «Willkommenskultur, Ausgrenzung, Abschieberegime“ zum Ziel setzte, die Flüchtlingspolitik in Deutschland und Baden-Württemberg einer Analyse und Kritik zu unterziehen und die Akteurinnen und Akteure in diesem Politikfeld zu vernetzen. Wichtig war uns dabei, den Fokus auf die kommunale Ebene zu legen und zu fragen, was dort in der konkreten Praxis und in der Zusammenarbeit der verschiedenen Akteurinnen und Akteure getan werden kann, um Geflüchtete zu unterstützen und der Spaltung der Gesellschaft entgegen zu wirken. In gemeinsamen Diskussionen und Arbeitsgruppen tauschten sich die rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer darüber aus, wie das Zusammenleben auf kommunaler Ebene sinnvoll und sozial gestaltet werden kann. Wie können Kommunen mit der knappen Wohnraumfrage umgehen? Wie können die Kinder von Flüchtlingen in ihrem Lerneifer unterstützt werden, so dass auch sie gute Chance für Beruf und Zukunft haben? Was tun wir, damit benachteiligte Gruppen in der Gesellschaft auf Wohnungsmarkt und dem Arbeitsmarkt nicht noch stärker in Konkurrenz getrieben werden? Der Austausch über diese Fragen und die weitere Vernetzung aller im Feld der Flüchtlings- und Migrationspolitik Tätigen werden auch in Zukunft wichtige Aufgabenfelder in der politischen Bildungsarbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg sein.

VERANSTALTUNGSANKÜNDIGUNG

Bis zu 100.000 Flüchtlinge könnten es 2015 in Baden- Württemberg werden. Das ist nicht einmal ein Prozent der heutigen Bevölkerung. Medial und auch vor Ort werden die steigenden Zahlen aber durchaus wahrgenommen. Praktisch jede Gemeinde ist mit dem Thema konfrontiert. Letztes Jahr waren es etwas mehr als 25.000 Flüchtlinge in Baden-Württemberg und die Jahre davor, nach dem sogenannten Asylkompromiss 1992/93, deutlich weniger. Dabei sind unsere Zahlen noch bescheiden, denn weltweit sind über 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Nur vier Prozent davon kommen nach Europa, einem der reichsten Kontinente der Erde. Lokal erleben die Menschen in den Kommunen nach Jahren des neoliberalen Sozialabbaus nun zusätzliche Herausforderungen. Dabei war bereits bisher der soziale Wohnungsbau z. B. völlig unzureichend. Als die Bankenkrise ausbrach mobilisierten Politiker*innen, die heute von «Überforderung» sprechen, in kürzester Zeit über 200 Milliarden Euro. Die Schwierigkeiten bei der Unterbringung, der Wohnungsnot oder dem Personalmangel bei der Versorgung sind keine Flüchtlingskrise, sondern eine der sozialen Gerechtigkeit!

Gemeinsam sind wir vor die große Anforderung gestellt die hiesigen Verhältnisse konstruktiv zu ändern. Wie aber kann unser Zusammenleben auf kommunaler Ebene sinnvoll und sozial gestaltet werden? Wie sollen Kommunen mit der knappen Wohnraumfrage umgehen? Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge sind unter 18Jahren. Wie können die Kinder von Flüchtlingen in ihrem Lerneifer unterstützt werden, so dass auch sie gute Chance für Beruf und Zukunft haben? Was tun wir, damit benachteiligte Gruppen in der Gesellschaft auf Wohnungsmarkt und dem Arbeitsmarkt nicht noch stärker in Konkurrenz getrieben werden? Wie also verhindern wir die Spaltung unserer Gesellschaft z. B. in «Deutsche« und «Flüchtlinge» oder in »nützliche Migrant*innen» und «falsche Asylsuchende»?

Der Bildungs- und Informationstag im Rathaus, der von der Fraktionsgemeinschaft SÖS LINKE PluS und der Rosa Luxemburg Stiftung Baden-Württemberg veranstaltet wird, ist öffentlich, soll aber auch gezielt Mitglieder aus Stadt- und Gemeinde-, und Kreisräten, sowie Aktiven und Aktivist*innen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik ansprechen. Mehrere Workshops sollen den Teilnehmer*innen helfen, sich in der insbesondere kommunalen Flüchtlingspolitik Baden-Württembergs, sachlich, kritisch und juristisch zu orientieren. Die Veranstaltung soll besonders praktische Fragen aufwerfen und dazu beitragen, miteinander solidarische Handlungsrahmen zu entwickeln und konstruktive Lösungswege aufzusuchen.

Programm

10:00 Begrüßung
Hannes Rockenbauch, Stadtrat Fraktionsgemeinschaft SÖS LINKE PluS (Stuttgart)
Erhard Korn, Vorsitzender Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg

10:15 Vor Ort - Bruchstellen und Erfolge
Welche konkreten Erfahrungen, Probleme, lokalen Erfolge und Initiativen können benannt werden. Ein lebendiger Problemaufriss

  • Tom Adler, Stadtrat Fraktionsgemeinschaft SÖS LINKE PluS (Stuttgart)
  • Jessica Tatti, DIE LINKE, Reutlingen
  • Wilhelm Soldner, Sprecher AK Asyl Stuttgart
  • Gökay Akbulut, Stadträtin DIE LINKE Mannheim

11:45 Die Situation und die Maßnahmen der Landesregierung
Wie sieht die kommunale und landespolitische Situation aus? Was hat die Landesregierung bisher gemacht, wo müsste nachjustiert werden? Was brauchen die Kommunen? Was läuft besser als anderswo?
Andreas Linder, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

12:30 Mittagspause

13:30 Arbeitsgruppenphase (2 Phasen à 1 Stunde)

AG 1: Die Unterbringung der Flüchtlingen
Stichworte: örtlicher Versorgungsdruck, sprunghafter Anstieg aller Unterkünfte, Formen der «Willkommenskultur», Baunutzungsverordnung
Mit: Tom Adler, Stadtrat Fraktionsgemeinschaft SÖS LINKE PluS (Stuttgart)
Grand Hotel Cosmopolis (angefragt)

AG 2: Schule und Ausbildung – ungenützte Potentiale
Was geschieht im Bereich der Bildung? Was bringen die Vorbereitungsklassen; verhindert die Isolierung von «deutschen» Eltern Solidarität? Die Mühen der Sprache und wie wirkt sich der Personalmangel aus?
Mit: Gökay Akbulut, Stadträtin DIE LINKE Mannheim

AG 3: Arbeitsintegration und Selbstorganisation der Flüchtlinge
Unter welchen Umständen dürfen Flüchtlinge arbeiten? Die Sicht der Betroffenen (Bleiberechtsregelung). Was wollen die Flüchtlinge selbst? Gibt es Kommunen mit Vorreiterrolle?
Mit: Rex Osa (The Voice, Refugee Forum Germany, Stuttgart)

AG 4: Abschiebepolitik & Spaltung der Gesellschaft
Die «Klassifi zierung» von Flüchtlingsgruppen und der Umgang mit Minderheiten (z. B. Roma), Unruhe am rechten Rand der Bevölkerung
Mit: Andreas Linder, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

15:40 Fluchtursachen bekämpfen statt Flüchtlinge
Heike Hänsel (MdB, Tübingen)

16:30 Abschluss