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Bericht von Arnold Schölzel über eine Veranstaltung in Wuppertal zu Medienmacht und Widerspruchserfahrung

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October 2006

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 Von Arnold Schölzel


Alle reden von Medien, fast keiner mag sie. Vielleicht erklärt das die relativ geringe Besucherresonanz, die eine beachtenswerte Veranstaltung von Rosa-Luxemburg-Stiftung Nordrhein-Westfalen und Marx-Engels-Stiftung Wuppertal über Medien und Manipulationsmöglichkeiten am vergangenen Wochenende hatte. Etwa 30 Interessenten kamen in die Alte Feuerwache in der Wuppertaler Gathe, einer zentralen, vorwiegend von Migranten bewohnten Straße Elberfelds. Direkt neben dem Tagungsgebäude befindet sich eine Mietskaserne neusten Stils, ein Monument jenes Parteispendenverfahrens, in dem der frühere SPD-Oberbürgermeister Wuppertals Hans Kremendahl im Frühjahr diesen Jahres freigesprochen wurde, nachdem er 2004 sein Amt verloren hatte. Der langgestreckte Betonklotz mitten in einem Altbaugebiet gehört zu den Großprojekten jenes Bauunternehmers, der 1999 sozusagen parallel zur Baugenehmigung Kremendahl für Wahlkampfzwecke 500000 DM zukommen ließ.

Dinge dieser Art spielen in Medien kurzzeitig eine Rolle, bevor sie ihrem »kollektiven Alzheimer« (Wiglaf Droste) zum Opfer fallen. Die Funktion der Medien geht jedoch, wie die Medienwissenschaftlerin Brigitta Huhnke (Hamburg) im einleitenden Beitrag demonstrierte, über Vergessenmachen hinaus. Nach 1989 habe sich, formulierte sie unter Berufung auf den französischen Philosophen Jacques Derrida, das »Wahnhafte« in ihnen verstärkt, sie seien »Promotoren der Zerstörung« geworden. Medien dienten heute ausschließlich dem Profit, transportierten die neoliberale »Sprache einer internationalen Diktatur«, seien der Gewerbezweig, in dem es tatsächlich eine »Globalisierung« gegeben habe. Huhnke verwies darauf, daß wenige Konzerne, darunter an führender Stelle Bertelsmann, in den letzten 15 Jahren die Welt unter sich aufgeteilt haben und mit den ihnen eigenen Herrschaftstechniken gleichförmig agierten. Aus ihrer Sicht sollte aber die Vielfalt und Einflußmöglichkeit der medialen Gegenöffentlichkeit nicht unterschätzt werden.
Pseudokonkretheit
Der Philosoph Werner Seppmann (Gelsenkirchen), Vorsitzender der Marx-Engels-Stiftung, lehnte ausdrücklich die These Derridas und der Postmoderne ab, daß Medien das Bewußtsein ihrer Konsumenten total beherrschten, daß die Lebenswirklichkeit durch Fernsehen, Funk, Internet oder Druckerzeugnisse konstituiert werde. Zwar gleiche sich die Verbreitung von Information der Unterhaltung an, werde eine Pseudokonkretheit geliefert, gebe es eine »Krise der Erfahrung«, wie sie Walter Benjamin schon vor Jahrzehnten konstatiert habe, aber es sei falsch zu behaupten, die mediale Manipulation sei die treibende Kraft der Desorientierung. Seppmanns Gegenthese lautete: »Die zur Verfügung stehenden Verarbeitungsmuster verhindern, daß die Menschen sich einen Reim auf ihre Lebenswirklichkeit machen können.« Aber es gebe keine universelle Auslieferung der Köpfe. Vom Zeitbudget her präge immer noch die Arbeit die entscheidenden Bilder. Widerspruchserfahrungen würden allerdings erst wirksam im Zusammenhang mit der Bildung von Klassenbewußtsein und mit praktischen Veränderungserfahrungen.

Wie schwer es alternative Medien in diesem Kontext haben, machten die Beiträge von Mag Wompel (Bochum), Redaktionsmitglied von Labournet, und von Hans-Dieter Hey (Köln), Autor bei Arbeiterfotografie und der Neuen Rheinischen Zeitung, deutlich.
Ästhetisierung
Den Mechanismen der Manipulation war der zweite Tag gewidmet. jW-Autorin Karin Leukefeld (Bonn) berichtete über ihre Erfahrungen als Journalistin im Nahostkonflikt und im Irak-Krieg. Generelle Tendenz sei, die Medien in die jeweilige Politik zu integrieren. Statt von »eingebetteten« sei von »eingepflanzten« Journalisten zu sprechen. Unabhängige Berichterstattung sei faktisch ausgeschlossen. Im jüngsten Libanon-Krieg habe das israelische Militär faktisch komplett die Berichterstattung beherrscht. Viele hätten sich daran gewöhnt.

In einem umfassenden Vortrag befaßte sich der Theologe und Medienwissenschaftler Peter Krüger (Düsseldorf) vor allem mit dem Zusammenspiel von Rüstungsindustrie, Kriegsministerien und Filmindustrie. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war ein Satz Walter Benjamins: »Die Ästhetisierung der Politik gipfelt im Krieg.« Beispiele waren für ihn die Symbiose von Pentagon und Hollywood, die Kooperation von französischem Verteidigungsministerium und der französischen Filmindustrie, die z.B. den Film »Les chevaliers du ciel« hervorgebracht habe. In Deutschland gehe es vorläufig vor allem um Fernsehproduktionen. Krüger nannte als Inhalte dieser Filme u.a. die »massenkulturelle Herstellung von Menschen- und Weltbildern«, die Kontrolle des Geschichtsgedächtnisses wie im »Untergang«, die »Ästhetik des schönen Krieges«, die im Neoliberalismus wie im Faschismus gepflegt werde. Bis jetzt habe die Linke keine Antworten auf das »massenkulturelle totalitäre System«, das über dieses »Militainment« in der Militarisierung des Alltags münde.

Zu den Vorträgen, in denen auch über Erfahrungen mit Manipulation im Medienalltag berichtet wurde, entwickelte sich eine lebhafte Diskussion u.a. über die Möglichkeiten, Gegenmedien aufzubauen und zu gestalten. Die Beiträge der Tagung werden in einem Sammelband 2007 veröffentlicht

Der Artikel ist erschienen in Junge Welt 27.10.2006, Feuilleton, Seite 13