Nachricht | Soziale Bewegungen / Organisierung - Globalisierung - Andenregion - Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit Lithium und die trügerische Hoffnung auf ein gutes Leben

In Chile hat die Nachfrage nach Elektroautos zu einer Verdreifachung des Lithium-Abbaus geführt – mit weitreichenden Folgen für die Umwelt und die Gesellschaft

Information

Ausblick auf eine Straße und einen grüngefärbten See, der durch den Lithiumabbau entstanden ist
Foto: Nina Schlosser

Um die Klimakrise einzudämmen, sind auch im Verkehrssektor weitreichende Veränderungen nötig. Derzeit findet aber statt einer wirklichen Verkehrswende vor allem eine Antriebswende statt: Das bisherige Modell der Mobilität wird fortgesetzt, nur dass fossil betriebene Autos durch Elektroautos ersetzt werden. Das hat zu einer steigenden Nachfrage nach den Rohstoffen geführt, die insbesondere für die Herstellung der Batterien nötig sind – mit weitreichenden Auswirkungen weltweit. Ein Gespräch mit der Wissenschaftlerin Nina Schlosser über die Folgen des Lithium-Abbaus in Chile und die Schwierigkeiten, ein alternatives Entwicklungsmodell zu verfolgen.

Diese Woche rufen Aktivist*innen zu Aktionstagen in Grünheide in Brandenburg auf. Dort führt die Produktion von Elektroautos der Tesla Gigafactory zu Wasserverschmutzung und Wasserknappheit. Aber der Boom von Elektroautos hat auch anderswo Auswirkungen – etwa in Chile, das die weltweit größten Lithiumreserven besitzt, einem wichtigen Bestandteil der Batterie.

Nina Schlosser ist politische Ökonomin, RLS-Stipendiatin und Aktivistin. Nina forscht an der HWR Berlin sowie der Uni Wien zum Lithiumextraktivismus in Chile und ist Mitglied im Graduiertenkolleg «Krise und sozial-ökologische Transformation» der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie ist in der Linken organisiert und kämpft im Kollektiv für einen radikalen Systemwandel. Das Interview mit ihr führte Juliane Schumacher.

Tesla selbst ist bisher nicht in Chile aktiv, aber Elon Musk kann sich vorstellen, ins Lithium-Geschäft einzusteigen. 2022 hat er gesagt, Lithiumabbau sei die Lizenz zum Gelddrucken. Das ist nicht verwunderlich: Im selben Jahr war der Preis für eine Tonne Lithiumkarbonat auf 68.100 US-Dollar gestiegen. Zwei Jahre zuvor lag er noch bei 8.400 US-Dollar. Im selben Zeitraum hat sich die Anzahl von Elektroautos verdoppelt – das ist es, die Nachfrage nach Lithium aus Chile heute maßgeblich bestimmt. Chile war bis 2016 der größte Lithium-Exporteur der Welt, jetzt ist es der zweitgrößte nach Australien, danach kommen China und Argentinien. Vor dem Hintergrund der gesteigerten Nachfrage hat Chile seine Produktionskapazitäten in den letzten Jahren verdreifacht. Und dort lässt sich bereits heute beobachten, welche Auswirkungen die Ausweitung dieser extraktivistischen Grenzen hat: ökologisch, sozial, wirtschaftlich und auch kulturell.

Welche Folgen hat der Lithium-Abbau in Chile für die dortigen Ökosysteme?

Das Lithium in Chile stammt aus dem Salar de Atacama, einem ausgetrockneten Salzsee im Norden des Landes. Er liegt in der Atacamawüste, der trockensten Wüste der Welt. Kritiker*innen bezeichnen den Lithium-Extraktivismus auch als Wasserextraktivismus, weil der Lithium-Abbau sehr viel Wasser verbraucht. Täglich werden mehrere Millionen Liter lithium- und wasserhaltige Sole aus dem Boden gezogen. Dadurch sinkt der Grundwasserspiegel ab, die Böden trocknen aus und versalzen noch mehr. Das hat auch soziale und kulturelle Folgen: Denn die bis jetzt relativ autonome, selbstbestimmte Lebens- und Produktionsweise der indigenen Menschen dort wird erschwert oder unmöglich gemacht. Sie leben seit mehr als 10.000 Jahren mit den extremen Bedingungen: Das Gebiet liegt auf 2.300 Metern Höhe über dem Meeresspiegel, tagsüber kann es extrem heiß werden, nachts sehr kalt. Trotzdem ist es ihnen bisher gelungen, überwiegend von der Landwirtschaft und Wanderweidewirtschaft zu leben: So bauen sie zum Beispiel Quinoa und Mais an, sie halten Alpakas, Lamas und Schafe.

Diese Lebensweise können sie jetzt nicht mehr fortsetzen?

Sie benötigen Wasser für die Landwirtschaft und um die Tiere zu tränken, und wenn der Grundwasserspiegel absinkt, kommen sie an dieses nicht mehr heran. Also müssen sie jetzt Wasser kaufen, eine öffentliche Wasserversorgung gibt es nicht. Wasser ist in Chile fast zu 100 Prozent privatisiert, und knapp drei Viertel der Konzessionen in der Abbauregion halten die Bergbaukonzerne. Die ökologischen Folgen des Lithiumabbaus haben aber auch eine politische Dimension. In Chile agieren zwei große Konzerne, die das Lithium abbauen: der US-amerikanische Konzern Albemarle und der chilenische Konzern SQM, dessen Anteile auch von kanadischen und chinesischen Unternehmen erworben wurden. Einer der Anteilseigner von SQM ist aber auch Julio Ponce Lerou, der ehemalige Schwiegersohn von Augusto Pinochet, dem früheren Diktator Chiles. Lerou gehört heute zu den reichsten Menschen in Chile und steht der politischen Rechten nahe. Über den Lithium-Abbau wurden und werden also auch rechte und faschistische Strukturen gestärkt.

Vom 8. bis 12. Mai 2024 lädt das Bündnis «Tesla den Hahn abdrehen – Bündnis für Wasserschutz und Mobilitätswende» zu Camp- und Protesttagen nach Grünheide in Brandenburg, um gegen die Gigafactory Tesla zu protestieren. Obwohl in einem Wasserschutzgebiet und einem der trockendsten Regionen Deutschlands gelegen, plant der Autokonzern, seine Fabrik in Grünheide zu erweitern und künftig mindestens 1 Million Autos pro Jahr dort zu produzieren. Dafür sollen bis zu 100 Hektar Wald zusätzlich gerodet werden. Das Bündnis setzte sich für den Schutz des Wassers und des Waldes in Grünheide und weltweit ein – und für eine echte Verkehrswende jenseits von privaten Luxus-SUVs. Mehr zum Bündnis und den Aktionstagen: https://t-den-hahn-abdrehen.org/wasser-wald-gerechtigkeit/

Wann begann der Lithium-Boom in Chile?

Lithium wird im Salar de Atacama schon seit mehreren Jahrzehnten abgebaut. Es wird in der Glas- und Keramikindustrie verwendet, teils auch für Medikamente. Der aktuelle Boom begann um 2016, als die Nachfrage stark zunahm. In dieser Zeit haben SQM und Albermale neue Verträge mit den Gemeinden in der Region geschlossen.

Die Gemeinden in der Region haben die Hoheit über die Rohstoffe in ihrem Gebiet?

Eigentlich ist es ein staatliches Gebiet, aber in diesem liegen 18 indigene Gemeinden, die bei Entscheidungen, die sie betreffen, einbezogen werden müssten. Die Konzessionen für den Abbau von Lithium haben die Unternehmen allerdings schon früher bekommen, schon während der Diktatur in den 1980er Jahren. In dieser Zeit wurde in Chile alles, was möglich war, privatisiert. José Piñera, der Bruder des ehemaligen rechtskonservativen Präsidenten Sebastián Piñera und einer der neoliberalen Chicago Boys, hat damals das Bergbaugesetz geschrieben, und die Bergbaukonzerne haben auf dieser Grundlage die Konzessionen auf Lebenszeit erhalten. 2018 hat SQM mit dem Staat die Erhöhung der Produktion ausgehandelt, 2016 Albermale. Albermale hat den Vertrag auch direkt mit den Gemeinden abgeschlossen.

Wohin geht das Lithium aus Chile?

Vor allem nach China, Südkorea und Japan, da werden die meisten Batterien produziert. Dorthin gehen rund 80 Prozent des Lithiums aus Chile. China liefert auch die Batterien für Tesla. Das chinesische Unternehmen CATL, der heute weltweit größte Batteriehersteller, ist Teslas wichtigster Batterielieferant. Dann geht ein Teil des chilenischen Lithiums in die Vereinigten Staaten. In die EU exportiert Chile zwar nur 4 Prozent, aber umgekehrt ist die EU mit 84 Prozent ihrer Lithiumimporte aus Chile wirtschaftlich ausgesprochen abhängig.

Gab es Proteste von Seiten der Gemeinden im Gebiet gegen diese Erweiterung der Produktion?

Um 2016 kam es zu Protesten, weil die indigenen Gemeinden bei den Vertragsverhandlungen nicht berücksichtigt wurden und ihr Recht auf Free, Prior and Informed Consent, auf freie, vorherige und informierte Zustimmung, verletzt wurde. Um die Konflikte einzuhegen und die Zustimmung der indigenen und lokalen Gruppen zu erhalten, haben die Bergbaukonzerne begonnen, direkt mit ihnen zu verhandeln und eigene Verträge mit ihnen zu schließen.

Was sehen diese Verträge vor? Werden die Gemeinden finanziell an den Gewinnen aus dem Lithium-Abbau beteiligt oder wurden ihnen Arbeitsplätze versprochen?

Beides. Tatsächlich bekommen sie jetzt Geldzahlungen in Höhe von mehreren Millionen US-Dollar pro Jahr. Die werden verteilt über ein Organ der indigenen Selbstverwaltung, den Consejo de Pueblos Atacameños. Dieser verteilt sie gleichmäßig über die 18 betroffenen Gemeinden. Das Problem ist aber, dass nicht alle Menschen, die von den Folgen der Lithium-Extraktion betroffen sind, auch Gelder zur Kompensation erhalten. Zahlungen bekommt nur, wer nachweisen kann, einem gesetzlich anerkannten indigenen Volk anzugehören. In Atacama sind das gerade mal 28 Prozent der indigenen Bevölkerung. Denn in Chile ist man nicht von Geburt an indigen, man muss die Indigenität gesetzlich anerkennen lassen. Nicht alle machen das: zum einen, weil das ein sehr langwieriger bürokratischer Prozess ist. Zum anderen, weil die chilenische Gesellschaft zutiefst rassistisch ist, und wer offiziell als indigen anerkannt ist, zwar Geld erhält, dafür auf andere Weise rassistische diskriminiert wird.

Wie hoch sind diese Zahlungen?

Etwa 1000 Euro pro Monat – so die offiziellen Angaben. Allerdings habe ich mit Menschen vor Ort gesprochen, die von anderen Beträgen sprechen. Es gibt zwar Aufzeichnung darüber, und man kann auch die Verträge der Konzerne einsehen, in denen geregelt ist, wieviel sie an die Gemeinden zahlen. Aber es gibt wohl auch informelle Zahlungen, und wie die verteilt werden, ist nicht transparent. Es gibt Korruptionsvorwürfe, aber die Präsidentschaft des Consejos schweigt sich dazu aus. Sie beruft sich auf die ILO-Norm 169 zu den Rechten indigener Völker, wonach sie in dieser Sache nicht alles offenlegen müssen.

Diejenigen Menschen im Gebiet, die keine Zahlungen erhalten, profitieren also nicht vom Lithium-Abbau?

Doch, schon. Nachdem es Widerstand gegen die Ausweitung der Förderung und Forderungen nach mehr Beteiligung gab, haben die Konzerne ihre Strategie verändert.  Sie leisten nicht nur die Geldzahlungen. Ein Manager von SQM hat einmal gesagt: «Wir wollen mehr tun, als nur Geld geben, wir wollen den Menschen vor Ort etwas zurückgeben.» Seither setzen sie sogenannte Entwicklungsprojekte in der Region um. Sie kümmern sich um die Infrastruktur, die Jahrzehnte lang komplett vernachlässigt wurde. Denn der Staat war, seitdem Pinochet gegen den sozialistischen Präsidenten Allende geputscht hatte, in Atacama komplett abwesend. Das war im Süden des Landes anders – da war der repressive Staat sehr präsent, er hat die Indigenen offen bekämpft, tut es bis heute. Aber im Norden galt das Gegenteil, der Staat hat sich seit Allende komplett aus der Region zurückgezogen, nicht mehr investiert. Die Bürgermeister, die Lokalregierungen, die hatten und haben aufgrund der staatlichen Zentralisierung kaum Mittel, um die notwendige Infrastruktur zu finanzieren.

Da springen jetzt die Konzerne ein.

Genau. Sie füllen das Vakuum, das der Staat hinterlassen hat – so hat es Elmar Altvater einmal genannt. In der Region um den Salar de Atacama bauen sie Straßen, bauten ein Recyclingsystem, stellen Mülleimer im öffentlichen Raum auf. In Toconao, einer kleinen Gemeinde, in der das Büro von SQM liegt, hat der Konzern eine Schule gebaut – auch wenn die bisher gar nicht geöffnet werden kann, weil es kein fließendes Wasser gibt. Die Konzerne finanzieren auch kulturelle Feste, Gemeindeaktivitäten, da ist immer etwas los. Jetzt plant SQM die Errichtung eines Krankenhauses.  

Wird diese Strategie der Konzerne vor Ort kritisiert?

Kaum, in Atacama zumindest nicht öffentlich. Die Strategie der Konzerne scheint in diesem Sinn aufzugehen – dass sie in die Infrastruktur investieren, «Fortschritt» und «Entwicklung» gewährleisten, verschafft ihnen Anerkennung. Und Akzeptanz – Akzeptanz des Extraktivismus. Die Leute bekommen das, was sie seit Jahren einfordern. Sie haben das Gefühl, dass sie zum ersten Mal auch profitieren, tatsächlich etwas zurückbekommen, dass man ihnen zuhört. Die Konzerne tun das und passen ihre Strategien in der Region an.

Vor Ort gibt es also kaum Kritik an der Ausweitung der Lithium-Extraktion. Wie wird das Thema in Chile insgesamt diskutiert? Oder ist das kein Thema, das auf der nationalen Ebene interessiert?

Doch, das ist auch auf nationaler Ebene ein großes Thema. Aber grundsätzliche Kritik am extraktivistischen Modell gibt es kaum. Was dominiert, ist die Sicht, dass Lithium eine doppelte Chance biete: Zum einen, zur Entwicklung des Landes beizutragen, zum anderen zur Bekämpfung des Klimawandels. Die Mehrheitsgesellschaft in Chile sieht den Lithium-Abbau vermutlich als Möglichkeit, zum Wohlstand im Land beizutragen, mit dem Geld, das darüber hereinkommt, etwa Straßen zu bauen und Schulen. Das verspricht jedenfalls die Mitte-Links-Regierung von Gabriel Boric – sie plant, die Profite aus dem Lithium-Abbau zukünftig stärker umzuverteilen und möchte dadurch für mehr soziale Gleichheit im Land sorgen. Das knüpft natürlich an eine jahrhundertealte Erzählung an:  dass der Abbau von Rohstoffen die einzige Möglichkeit für Entwicklung und Wohlstand sei. Und diese wird jetzt durch ein ökologisches Argument erweitert: mit Lithium aus Chile könne die Weltwirtschaft begrünt und der Klimawandel eingedämmt werden.

Die Menschen können sich gar keine alternativen Entwicklungspfade vorstellen?

Ich würde sagen, mit Eduardo Gudynas gesprochen, dass es da einen extraktivistischen Alltagsverstand gibt. Das Verständnis, der Abbau und Export von Rohstoffen könnten materiellen Wohlstand ermöglichen, ist so tief verankert, sodass weite Bevölkerungsteile keine andere Möglichkeit erkennen, als den Salar und andere Naturräume auszubeuten, noch mehr Lithium abzubauen. Und in der Tat hat sich das Versprechen nach der Jahrtausendwende, als der Rohstoff-Boom einsetzte, für einige Klassenfraktionen erfüllt. Wer davon ausgeschlossen ist, sieht in den Medien, wie er leben könnte. Das größte und einflussreichste Pressehaus Chiles, das die Medienlandschaft fast vollständig dominiert, wirbt heute im ganzen Land für den Lithiumabbau. Und dasselbe gilt für das Privatfernsehen. Ich saß einmal im nördlichen Copiapó, einer ehemaligen Silberbergbauregion, in einem Café, und dort hing ein riesengroßer Fernseher, auf dem Werbung für die Lithiumunternehmen lief. Und in dieser sieht das natürlich alles ganz toll aus: Diese riesengroßen Verdunstungsbecken, in denen die Salzlösung lagert, türkisblau in der Sonne, das sieht aus wie in der Karibik. Da würde man gleich reinspringen wollen.

Du würdest also sagen, dass es in Chile eine weitgehende Zustimmung zum Lithium-Abbau gibt, weil die Menschen nicht ausreichend informiert werden? Weil sie zum Beispiel nicht davon wissen, dass der Lithium-Abbau zum Absinken des Grundwasserspiegels führt?

Die Leute in der Region wissen das. Die Bäuerinnen und Bauern, die Menschen, die dort leben, die erfahren ja am eigenen Leib, dass sie nicht mehr genug Wasser in ihren Brunnen haben. Aber dafür können sie sich das Wasser nun von den Kompensationszahlungen kaufen und die sozialen Leistungen der Unternehmen und die neuen Infrastrukturen in Anspruch nehmen. Kurzfristig scheint das überzeugend. Ich würde nicht sagen, dass das daran liegt, dass sie falsch oder unvollständig informiert werden. Es geht dabei eher um das Verständnis von Wohlstand, um die Annahme, dass der Extraktivismus der einzige Weg wäre, ein gutes Leben zu ermöglichen. Und gutes Leben ist dabei nicht gemeint im Sinne von Buen Vivir, also einer alternativen Vorstellung von einem guten Leben, im Einklang mit der Natur, solidarisch mit der Gemeinschaft. Sondern in einem sehr westlich geprägten, materialistischen Sinn: Konsumieren zu können, einen Fernseher zu haben, ein Auto. Sich industriell hergestellte Lebensmittel kaufen zu können und sie nicht mehr selbst herstellen zu müssen.

Das bedeutet aber schon, dass viele der Indigenen in der Region, die früher sehr arm waren, vom Lithium-Abbau profitiert haben und heute einen höheren Lebensstandard haben.

Die 28 Prozent der Bevölkerung in den Gemeinden, die wirklich Zahlungen von den Konzernen erhalten, die haben davon materiell profitiert. Sie führen den seit Jahrzehnten versprochenen American Way of Life. Einige von ihren fahren jetzt selbst große SUVs, mit Allradantrieb und Kühlern höher als meine Nasenspitze. Das ist natürlich auch ein Statussymbol. Einige wohnen in anderen Häusern. Früher haben sie Hütten aus Adobe gebaut, ein Lehm-Stroh-Gemenge, das gut isoliert. Jetzt kaufen sie von dem Geld moderne Baumaterialien. Sie tragen teilweise auch andere Kleidung, nicht mehr die traditionelle aus Alpaka-Wolle, sondern Kleidung nordamerikanischer Marken. Für diese Gruppe hat die Beteiligung am Lithium-Abbau materiell zu Verbesserungen geführt, die können sich jetzt auch Geräte wie Waschmaschinen kaufen, die das alltägliche Leben in der Wüste erleichtern. Andere, zum Beispiel chilenische Menschen, die von den Zahlungen qua Gesetz ausgeschlossen sind, sind teilweise gezwungen wegzuziehen, weil die Preise in Bergbauregionen deutlich höher sind als anderswo.

Es gibt also verschiedene Gruppen, die ganz unterschiedlich profitieren und auch unterschiedliche Einstellungen zum Lithium-Abbau haben.

Ja, es gibt die Gruppen Indigener, die stark profitieren und erstmal dafür sind, dass der Lithium-Abbau fortgesetzt wird. Aber sie sagen auch, dass die Natur nicht geschädigt werden darf. Dann gibt es die Mehrheitsgesellschaft, die dort lebt, und sich einen Zugang zu all diesen Dingen und Leistungen erhofft, sie wollen auch einbezogen werden und hoffen, dass sie bei der nächsten Verhandlung auch berücksichtigt werden. Und dann gibt es einige ganz wenige, die grundsätzlich gegen den Lithium-Abbau sind, die die ökologischen Folgen sehen, die kulturellen Folgen erkennen. Etwa eine kleine kritische feministische Gruppe in Atacama, die sagt: Ohne Wasser kein Feminismus. Kleine Kulturverbände, Bauern und Bäuerinnen, denen das Wasser abgegraben wird. Wobei auch das widersprüchlich ist, denn viele von diesen erhalten selbst Zahlungen von den Konzernen, mittels derer sie ihre wichtige und kritische Arbeit finanzieren können. Es ist sehr schwierig, in der Region tatsächlich gegen die großen Konzerne zu agieren.

Wie stehen die sozialen Bewegungen im Land dazu? Diese haben ja die Revolte 2019 getragen und zu einem Politikwechsel im Land geführt.

Die sozialen Bewegungen sind weiterhin sehr aktiv. Allerdings überraschte mich zum Beispiel, als ich im Zuge meiner Forschung in Chile war, dass ich lediglich vereinzelt auf anti-extraktivistische Äußerungen gestoßen bin. Höchstens hier oder da mal ein Graffito oder ein Sticker. Doch die Bewegungen sind insgesamt sehr systemkritisch, aber den Bogen zu einer grundsätzlichen Kritik am Extraktivismus schlagen nur vereinzelte Teile. Kritik äußern zum Beispiel Umweltverbände wie OLCA, die sich mit Rohstoffkonflikten auseinandersetzen oder der gewerkschaftsnahe Thinktank Fundación Sol. Die sind sehr kritisch und machen eine tolle Arbeit, sie schaffen ein Problembewusstsein in der Zivilgesellschaft. Die Wasserbewegung und feministische Gruppen sind sehr stark. Und es gibt einige kritische Intellektuelle, Forschende an den Universitäten, die die Fixierung auf den Rohstoffabbau kritisieren. Aber das ist keine Mehrheitsmeinung, würde ich sagen.

Es gibt in Chile ja auch eine lange linke Tradition, die stark mit dem Bergbau verknüpft ist, insbesondere auch mit der Idee, den Rohstoffabbau zu verstaatlichen, um ihn und die Verteilung der Profite daraus besser kontrollieren zu können. Wird darauf in der jetzigen Debatte Bezug genommen? Gibt es solche Vorschläge auch für das Lithium?

Ja, die gibt es, und teils werden sie auch bereits umgesetzt. Tatsächlich haben linke Parteien in Chile eine Geschichte, die stark mit dem Bergbau verbunden ist. Die Arbeiterbewegung hat sich im Norden des Landes gebildet, in Antofagasta, wo Lithium und Kupfer abgebaut werden. Dort gab es die ersten Arbeiteraufstände, die linke Parteien maßgeblich gestärkt haben und später, mit der Wahl Salvador Allendes 1970, die Regierung bildeten. Die Debatte um Nationalisierung wurde damals ganz anders geführt, viel radikaler. Allende hat sie dann 1971 einfach umgesetzt und die Kupferminen, damals vollständig in US-imperialistischen Händen, entschädigungslos verstaatlicht. Das würde Boric heute niemals wagen.

Weil Allende einen ganz anderen Rückhalt im Land hatte?

Es war eine ganz andere Situation. Auch vor dem Hintergrund, dass das sozialistische Projekt, der Aufbau eines neuen Chile, damals so brutal durch den Putsch beendet wurde, agiert die Regierung heute viel vorsichtiger. Und tatsächlich war die Forderung nach Verstaatlichung damals nicht auf die Linke beschränkt. Tatsächlich hatte schon Allendes Vorgänger Eduardo Frei, ein Christdemokrat, die Nationalisierung von Kupfer einzuleiten begonnen. Allende hat sie nur zu Ende geführt, jedoch ohne Kompensationszahlungen. Mit der nationalen Lithium-Strategie, die die chilenische Regierung letztes Jahr verabschiedet hat, versucht Boric jetzt einen Kompromiss in Form einer öffentlich-privaten Kooperation. Denn die Regierung sagt, dass der Staat selbst habe weder das Kapital noch das Know-How hat, das Lithium selbst auszubeuten. Chile hat jetzt ein nationales Lithium-Unternehmen gegründet, mit dem SQM künftig zusammenarbeiten soll, und der Staat soll 51 Prozent an den Unternehmen halten. Die Konzerne haben in diesem Bereich eine große Macht aufgebaut. Der Staat will einen Teil seiner Hoheit zurückerobern und wieder mehr Kontrolle über die extraktivistischen Aktivitäten gewinnen.

Was trotzdem das extraktivistische Modell fortsetzt.

Ja. Solange sich die wirtschaftlichen Strukturen nicht radikal ändern, wird das so bleiben. 60 Prozent der Exporte Chiles sind unverarbeitete oder gering verarbeitete Rohstoffe: Kupfer, Lithium, Agrarprodukte wie Lachs, Avocados oder Holz. Das schafft eine extreme Abhängigkeit vom Weltmarkt. Das Land konzentriert sich auf wenige Exportprodukte, und in dem Moment, in dem die Nachfrage einbricht, sind keine Alternativen zur Hand. Wenn Chile jetzt derart stark auf Lithium setzt, läuft es Gefahr, dass etwas Ähnliches passiert wie im 19. Jahrhundert. Damals war Chile der größte Salpeter-Exporteur der Welt, extrem wichtig als Düngemittel und für die Herstellung von Schwarzpulver – bis das Haber-Bosch-Verfahren 1916 entwickelt wurde und Salpeter plötzlich nicht mehr gebraucht wurde, was Chile in eine schwere Wirtschaftskrise stürzte. Heute arbeiten Ingenieur*innen weltweit intensiv an neuen Batterien, die kein Lithium mehr benötigen. Die Nachfrage könnte also einbrechen, wenn Lithium nicht mehr in dem Maß gebraucht oder endlich vernünftig recycelt wird. Das wäre ein Problem für Chile – aber vielleicht auch die Chance, endlich strukturelle Veränderungen einzuleiten. Und Alternativen zum Extraktivismus zu entwickeln, für die viele Menschen in Chile kämpfen.