75 Jahre Gründung der DDR

Beiträge aus der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu keinem Staatsakt

Im Zuge der «doppelten deutschen Staatsgründung» vor 75 Jahren entstand am 7. Oktober 1949 die Deutsche Demokratische Republik. Ein Arbeiter- und Bauernstaat, der sie gerne sein wollte, ein sozialistischer Staat, der sie gerne werden wollte, ein Staat, der schließlich fast auf den Tag genau 41 Jahre existierte und der mit Sicherheit keine Fußnote der Geschichte war. Jedenfalls nicht für die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS); im letzten Jahr der DDR liegen auch Ursprünge für ihre Gründung.

Diskussion sozialistischer Alternativen

«Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System» formulierte Michael Schumann am 16. Dezember 1989 auf dem Sonderparteitag der SED/PDS. Er markierte damit einen antistalinistischen Grundkonsens, auf dessen Grundlage auch in der RLS die historische Aufarbeitung einer Kommunismusgeschichte begann, die zu großen Teilen noch selbst in der DDR erlebbar wurde. Es lohnt zurückzublicken auf die nicht zuletzt daraus resultierende «Diskussion sozialistischer Alternativen», wie der Untertitel der im September 1990 gegründeten utopie kreativ lautete. Die bis zur Einstellung der Zeitschrift im Jahre 2008 publizierten 218 Ausgaben der Monatsschrift sind online abrufbar. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang ebenso die seit 1992 von der Hellen Panke, der Berliner Landesstiftung der RLS, herausgegebenen mittlerweile über 150 Ausgaben der «hefte zur ddr-geschichte». Daneben enthält der Katalog lieferbarer Titel des Karl Dietz Verlages Arbeiten, die die Gründung der DDR in längere Linien deutscher Geschichte einordnen («Freiheiten ohne Freiheit») oder für die – in den Beständen des Archivs Demokratischer Sozialismus – Protokolle und Dokumente jener Nachtsitzung der Zentralen Schiedskommission der SED/PDS im Januar 1990 rekonstruiert wurden, in der ein Großteil des vormaligen Politbüros aus der Partei ausgeschlossen wurden («Das Politbüro vor dem Parteigericht»).

Diese Werke haben genauso wenig ihre Gültigkeit verloren, wie viele weitere Publikationen, Standpunktpapiere oder auch Dokumentationen großer Konferenzen, die auf der Webseite der RLS zu finden sind. So ist vor vier Jahren ein Materialienheft erschienen, das einige Überlieferungslücken zur Geschichte der Initiative für eine Vereinigte Linke (VL) («Sozialistische Alternative DDR 1989») zu schließen versucht.

Weltrevolution in der DDR

Details

Nördlich von Berlin, versteckt im Wald, am Bogensee bei Wandlitz lag bis 1989/90 die Jugendhochschule «Wilhelm Pieck». Sie diente der Ausbildung von FDJ-Funktionären. Seit Ende der 1950er Jahre wurden in einem eigenen Jahreslehrgang aber auch zahlreiche Delegationen aus der ganzen Welt im Marxismus geschult. Die Jugendhochschule wurde zu einer Drehscheibe des internationalen Kommunismus und zu einer Schnittstelle alternativer Globalisierung. Wie sah der propagierte und dann vor Ort gelebte Internationalismus aus, welche Konflikte galt es im Alltag zu überwinden?

Und, so politisiert wie das Private war: Wie stand es um Liebe und Sexualität über die Grenzen hinweg? Das unter Denkmalschutz stehende, großzügig geschnittene Areal verfällt heute zusehends. Die Türen des imposanten, im Zuckerbäckerstil entworfenen Gebäudeensemble sind verriegelt. Natur erobert sich langsam das Gelände zurück. Verwunschen und verschwiegen. Welche neuen Konzepte zur zeithistorischen Erschließung des Areals liegen vor?

Über all das möchten wir uns unterhalten mit:

- Prof. Dr. Detlef Siegfried (Universität Kopenhagen), Autor des jüngst im Göttinger Wallstein Verlag veröffentlichten Buches «Bogensee. Weltrevolution in der DDR 1961-1989»

- Dr. Dagmar Enkelmann, Vorstandsvorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung und frühere Dozentin an der Jugendhochschule

- Dr. Jürgen Danyel (Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam), Co-Leiter des Forschungs- und Ausstellungsprojekts: Die ehemalige Jugendhochschule der FDJ und die Goebbels-Villa am Bogensee.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung seit ihrer Gründung immer auch Forschungsprojekte unterstützt und sich damit am wissenschaftlichen Diskurs beteiligt, vgl. zum Beispiel das «Handbuch Deutsche Zeitgeschichte 1945-2000» oder Gerd Dietrichs monumentale dreibändige «Kulturgeschichte der DDR». Unzählige Vortrags- und Kulturabende wie auch Bildungsreisen zur Geschichte der DDR bildeten einen zentralen Baustein in der politisch-historischen Bildungsarbeit – insbesondere in den Landestiftungen der RLS im Osten der Bundesrepublik.

Vertane Chancen?

Das diesjährige Detlef-Nakath-Kolloquium zur Zeitgeschichte widmet sich am 9. Oktober der DDR-Geschichte mit Streiflichtern und Positionen unter anderem von der Autorin Grit Lemke (Hoyerswerda/Berlin) sowie den Historiker*innen Sonia Combe (Paris) und Martin Sabrow (Berlin). Dabei werden ebenso «vertane Chancen» angesprochen für eine grundlegende Demokratisierung der Gesellschaft in Ost wie West. Der «Literatursalon» der RLS kreist im zweiten Halbjahr 2024 ebenfalls auf verschiedenen Bahnen um die Geschichte der DDR und ihr Erbe. Wenn Regina Scheer am 1. Oktober aus ihrem preisgekrönten Buch «Bittere Brunnen» liest, wird sie zum Beispiel die Frage beantworten, warum sich Hertha Gordon-Walcher (1894-1990) zusammen mit ihrem Mann Jacob (1887-1970) nach ihrer Zeit des Exils für ein Leben in der DDR entschieden. Am 15. Oktober stellen Anett Gröschner, Peggy Mädler und Wenke Seemann ihr Buch vor, für das sie sich als drei ostdeutsche Frauen «betranken» und in der Folge den «idealen Staat» begründeten. Einen Monat später präsentiert der Literaturwissenschaftler Carsten Gansel erstmals veröffentlichte Erzählungen von Brigitte Reimann über Frauen und mit Christoph Heins neuem Buch «Unterm Staub der Zeit» tauchen wir am 5. Dezember tiefer hinein in ein Aufwachsen inmitten der deutsch-deutschen Geschichte.

Mischung aus Repression und Toleranz

Wer sich für länger schon gegebene Antworten zur Entstehung der DDR und aber auch – in Erweiterung der historischen Perspektive – für diesbezüglich neue Fragen interessiert, kann bei Mario Keßler nachlesen. In den Mittelpunkt seiner – beim diesjährigen Chemnitzer «Kantinenfestival» zur Analyse und Kritik der DDR – präsentierten Überlegungen stellt Keßler ein Herrschaftssystem, das auf eine «Mischung aus Repression und Toleranz» setzte, zunehmend aber auf gebrochene Loyalitäten traf. In diesem Zusammenhang sei explizit auf ein weiteres Materialienheft verwiesen, das Bernd Gehrke, Renate Hürtgen und Thomas Klein 2019 über «Repression gegen linke und emanzipatorische Bewegungen in der DDR» herausgaben.

Auch für den kürzlich veröffentlichten vierten Band der RLS-Reihe «Jüdinnen und Juden in der internationalen Linken» wurde der Schwerpunkt Jüdische Leben in der DDR gewählt. Vorgestellt wird er am 10. Oktober im Jüdischen Museum Frankfurt (Main) und am 7. November in der Bibliothek der RLS in Berlin. Der Band enthält auch ein Kurzportrait von Leo Zuckermann (1908-1985), einem der «Väter» der DDR-Verfassung, 1949 erster Leiter der Staatskanzlei von Präsident Wilhelm Pieck und schon drei Jahre später einer der zuvor ranghöchsten, die aus dem Land flüchteten, das sie einst aufzubauen halfen. Seine kürzlich entdeckten Zeugnisse aus den Jahren des vorhergehenden «antifaschistischen Exils» von 1933 bis 1947 veröffentlicht die RLS im November in Zusammenarbeit mit den renommierten Nationalinstitut für Historische Studien der Revolutionen Mexikos.

Dieser Überblick bietet einen kleinen Ausschnitt einer dennoch langanhaltenden wie andauernden, einer so vielfältigen wie auch kritischen Beschäftigung mit der Geschichte der DDR. Eine Auseinandersetzung, die in die Gegenwart reicht und darüber hinaus – so wie auch die Diskussionen um sozialistische Alternativen.

Kontakt

Rolle Persondetails
Referent für Zeitgeschichte und GeschichtspolitikDr. Uwe Sonnenberg
E-Mail: uwe.sonnenberg@rosalux.org
Telefon: +49 30 44310 425