Nachricht | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Portal International - Globalisierung - Ernährungssouveränität Welternährungstag: Wie teure Lebensmittel zur Umverteilung nach oben beitragen

Der Anstieg der Nahrungsmittelpreise erfordert mehr Regulierung. Vorschläge von Jan Urhahn

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Jan Urhahn,

Verpackungsbetrieb für Früchte in Ceres, Südafrika
Verpackungsbetrieb für Früchte in Ceres, Südafrika Foto: Jan Urhahn

Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO leiden bis zu 757 Millionen Menschen an chronischem Hunger. Fast 30 Prozent der Menschheit – 2,22 Milliarden – sind von mittlerer bis schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen und rund 2,8 Milliarden Menschen haben nicht genug Geld, um sich gesundes Essen zu kaufen. In vielen armen Ländern des globalen Südens sind das bis zu 70 Prozent der gesamten Bevölkerung. Viele Menschen hungern, weil sie zu arm sind, um sich ausreichend Essen zu kaufen, es gäbe genug.

Die Ursachen von Hunger sind komplex und vielfältig. Viel hat mit ungleichen Machtverhältnissen, schlimmer Armut, der Verschuldung vieler Staaten und der massiven Ungleichheit beim Zugang zu Ackerflächen, Wasser und Saatgut zu tun. Dabei ist die globale Ernährungskrise Teil einer umfassenderen Polykrise, in der sich die Folgen des Klimawandels und der Covid-19-Pandemie, von Wirtschafts- und Schuldenkrisen sowie von Kriegen und Konflikten gegenseitig verstärken. Dies drückte sich zwischen 2020 und 2023 in einer weltweiten Nahrungsmittelpreiskrise aus, die die von Profitsteigerungen getriebene Inflation beförderte. Absicherungs- und Spekulationsgeschäfte ließen bereits hohe Preise für Nahrungsmittel weiter ansteigen.

Jan Urhahn leitet das Programm Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Sitz in Johannesburg, Südafrika.

Die Preisentwicklung wird unter anderem durch starke Konzentrationstendenzen auf den Getreidemärkten beeinflusst. Fünf Agrarunternehmen, die sogenannten ABCCDs (Archer Daniels, Bunge, COFCO, Cargill, und Louis Dreyfuss), kontrollieren 70 bis 90 Prozent des weltweiten Getreidehandels und sie haben damit großen Einfluss auf die Preisbildung. 2022 haben sich die Gewinne der ABCCDs im Vergleich zum Zeitraum 2016-2020 verdreifacht; zusammen erzielten sie 2022 einen Reingewinn von mehr als 17 Milliarden US-Dollar.

Seit der COVID-19-Pandemie zeigt sich deutlich, dass Preisspitzen bei Rohstoffen, Energie und Transport zu Preiserhöhungen führen, weil nachgelagerte Unternehmen versuchen mit diesen ihre Gewinnspannen zu wahren. Es ist dieses Preisverhalten der Verkäufer (man spricht in den Wirtschaftswissenschaften hier von «Verkäuferinflation»), das lokale Schocks in eine allgemeine Inflation umwandelt, die zum größten Teil auf Unternehmensgewinne zurückzuführen ist. Die Europäische Zentralbank machte im Zeitraum 2022 bis 2023 Profitsteigerungen der Unternehmen für mehr als die Hälfte der Preissteigerung für die Verbraucher*innen verantwortlich.

Lebensmittelpreisinflation mit Höchstwerten

Aufgeschlüsselt nach Einkommenskategorien haben Länder mit niedrigem Einkommen eine deutlich höhere Lebensmittelpreisinflation als Länder mit mittlerem oder hohem Einkommen. Im Durchschnitt wiesen Länder mit niedrigem Einkommen im Jahr 2023 eine Inflationsrate der Lebensmittelpreise von etwa 30 Prozent auf. Der weltweite Durchschnitt lag bei 6,5 Prozent. Die Bedingungen in den einzelnen Ländern des Globalen Südens sind sehr unterschiedlich. Zwischen 2022 und 2023 verzeichnete Simbabwe eine extreme jährliche Lebensmittelpreisinflation von 285 Prozent und ist damit von allen Ländern am stärksten betroffen. In Venezuela lag die Inflation bei 158 Prozent und im Libanon bei 143 Prozent. Im Sudan bei über 60 Prozent und in Ägypten, Haiti, Kuba oder Malawi bei mindestens 30 Prozent oder darüber.

Die Inflation verringert die Realeinkommen in der Bevölkerung und erhöht damit soziale Ungleichheit. Mit jedem Prozentpunkt, um den die Lebensmittelpreise steigen, werden zehn Millionen Menschen in extreme Armut getrieben. In den Jahren 2022 und 2023 waren arme Haushalte doppelt bis dreifach so stark belastet wie wohlhabendere Haushalte. In den USA gaben die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2022 31,2 Prozent, die obersten hingegen nur 8 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Auch in Deutschland leiden Haushalte mit geringen Einkommen besonders unter der hohen Inflation. Haushalte mit niedrigem Einkommen müssen 23 Prozent für Lebensmittel ausgeben. Im Durchschnitt sind es 11 Prozent. Ein starker Anstieg der Lebensmittelpreise hat demnach einen unmittelbaren Umverteilungseffekt nach oben.

Mehr Regulierung notwendig

Die Realität zeigt, dass die Ernährungssysteme sehr anfällig für Krisen und Nahrungsmittelpreisschwankungen sind, extreme Folgen haben und einer strikten Regulierung bedürfen. Regierungen weltweit müssen nicht nur die Nahrungsmittelpreise stabilisieren, sondern auch massive Ausschläge der Preise nach oben begrenzen. Der Aufbau von nationalen, regionalen und globalen öffentlichen Nahrungsmittelspeichern kann zur Preisstabilisierung auf den globalen Agrarmärkten und zur Begrenzung der Inflation beitragen, analysiert die renommierte Ökonomin Isabella Weber zusammen mit Merle Schulken in einer im Juni 2024 veröffentlichten Studie, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung und TMG Research in Auftrag gegeben wurde. Zudem stellen Nahrungsmittelspeicher die Verfügbarkeit von Grundnahrungsmitteln sicher und die Gefahr einer Verknappung wird vermindert. Speicher zum Zweck der Ernährungssicherung können kurzfristige Preis- und Mengenschwankungen sowohl für Erzeuger*innen als auch Verbraucher*innen abdämpfen und Preisspitzen begrenzen.

Wie sich die Preise für Nahrungsmittel exakt zusammensetzen und wer am Ende wieviel Gewinn einstreicht, ist allerdings oft unklar und ein weiteres Problem. Mit der Einrichtung von Preisbeobachtungsstellen auf nationaler und regionaler Ebene, ließen sich die Nettomargen nach Marken und Herstellern aufschlüsseln und zum Zweck der Preisstabilisierung eng mit möglichen Einrichtungen der öffentlichen Nahrungsmittelspeicherung verknüpfen. Die Preisbeobachtungsstellen könnten unter anderem ein gesetzliches Verbot des Einkaufs unter Produktionskosten, wie es etwa in Spanien seit 2021 in Kraft ist, umsetzen. So könnte der Lebensmitteleinzelhandel für Preisdumping zur Erhöhung der Gewinnmargen bestraft werden. Damit ein solches Verbot funktioniert, muss die Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorgaben ausreichend hoch sanktioniert werden. Das würde dazu führen, dass Bäuerinnen und Bauern bessere Preise für ihre Erzeugnisse erhalten, während Verbraucher*innen vor extremen Preisausschlägen geschützt werden. In Situationen, in denen die Preise stark explodieren, müssen außerdem Instrumente zur Festlegung von Preisobergrenzen geschaffen werden, um damit die Lebensmittelpreise zu deckeln und sicherzustellen, dass sich Menschen ausreichend Essen leisten können. So lange Konzerne Übergewinne erwirtschaften, sollten diese über Steuern abgeschöpft werden und zur Finanzierung von Programmen zur Transformation der Ernährungssysteme genutzt werden. 

Die Finanzialisierung der Märkte für lebenswichtige Rohstoffe, also die Nutzung von Ackerland und Agrarrohstoffen als Kapitalanlagen, sowie die Spekulation mit diesen Rohstoffen muss zudem beendet werden. Dafür sollten unter anderem die Positionslimits an den Warenterminmärkten, also die Menge an Terminkontrakten, die ein Händler oder Investor zu einem bestimmten Zeitpunkt halten und handeln darf, verschärft werden. Außerdem sollte bestimmten Akteuren, die nichts mit dem Agrarsektor zu tun haben (zum Beispiel Pensionsfonds oder reine Investmentfonds) der Handel an den Warenterminmärkten komplett verboten werden. Darüber hinaus braucht es auch mehr Transparenz beim Handel mit Agrarrohstoffen, um die Informationsvorteile von Akteuren wie den fünf stärksten Agrarhandelsunternehmen, den ABCCDs, und somit deren Macht bei Finanztransaktionen an den Warenterminmärkten, aber auch bei anderen Transkationen, wie dem physischen Handel mit Agrarrohstoffen, zu begrenzen. Dazu müssen alle Unternehmen und Staaten verpflichtet werden über ihre Lagerbestände zu berichten und diese offen zu legen.

Um die Marktmacht weniger Akteure in einzelnen Bereichen entlang der gesamten Lieferkette einzuschränken, sollte das Kartellrecht zudem verschärft werden und dessen Anwendung die benötigte politische Unterstützung erfahren. Um die weitere Monopol- und Oligopolbildung zu beenden, müssen Hürden für die missbrauchsunabhängige Entflechtung von Unternehmen weiter gesenkt und bislang vorhandene gesetzliche Rahmen dafür genutzt werden.