Nachricht | Arbeit / Gewerkschaften - Portal International - Globalisierung Mit dem Lieferkettengesetz zu globaler Gerechtigkeit?

Wie Gesetze im Globalen Norden die Arbeiter*innen im Globalen Süden stärken können

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Textilarbeiterinnen demonstrieren in Dhaka, Bangladesh, gegen eine Massenkündigung. Sie wurden entlassen, weil sie sich in Gewerkschaften organisiert hatten. (21.1.2024) Foto: IMAGO / aal.photo

Im vergangenen Jahr trat das deutsche «Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz» (LkSG) in Kraft, das deutsche Unternehmen zur Einhaltung internationaler Arbeits-, Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten verpflichtet. Das Gesetz soll Probleme in globalen Lieferketten angehen, in denen große Unternehmen die Produktion und Risiken an ausländische Zulieferer auslagern und dabei ihr Beschäftigungsverhältnis mit den Arbeiter*innen vor Ort verschleiern.

Mit der Schaffung eines verbindlichen Rahmens, der verhindern soll, dass sich Markenunternehmen ihrer Verantwortung gegenüber den Beschäftigten in der Produktion entziehen, bekräftigt das LkSG, dass überhaupt ein Beschäftigungsverhältnis besteht. Aber wird die Anerkennung dieses Verhältnisses allein ausreichen, um etwas zu bewirken?

Wiranta Ginting ist stellvertretende internationale Koordinatorin der Asia Floor Wage Alliance. 

Ashley Saxby ist Regionalkoordinatorin für Asien der Asia Floor Wage Alliance.

Die Gewerkschaftsbewegung kämpft seit Jahren für eine globale Regulierung der Lieferketten, insbesondere in der Bekleidungsindustrie, um den Schutz der Beschäftigten vor Ausbeutung zu verbessern. Wie dringend solche Maßnahmen sind, zeigte sich besonders während der Coronakrise. Damals hatten Modemarken eine weithin sichtbare und vermeidbare humanitäre Katastrophe ausgelöst, als sie bereits vereinbarte Aufträge stornierten. Dieser Schritt führte zu Massenentlassungen, Fabrikschließungen und Kündigungen, von denen Millionen von Arbeiter*innen im Bekleidungssektor betroffen waren.

Das LkSG stellt eine positive Entwicklung dar, da es die verfügbaren Mechanismen erweitert, mittels deren multinationale Konzerne zur Rechenschaft gezogen werden können. Im vorliegenden Artikel untersuchen wir Herausforderungen und Chancen des LkSG aus der Perspektive der Arbeiter*innenbewegung in der Bekleidungsindustrie in Asien. Wir wollen untersuchen, wie es die Macht der Beschäftigten in den Produktionsländern, insbesondere im Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN), stärken und eine enge Zusammenarbeit zwischen progressiven Bewegungen weltweit fördern kann.

Die Entwicklung globaler Lieferketten

Das Lieferkettengesetz ist eine gesetzgeberische Antwort auf Probleme, die in der gegenwärtigen Phase der kapitalistischen Entwicklung durch die Gestaltung globaler Lieferketten entstehen. Dabei werden arbeitsintensive Tätigkeiten mit geringer Wertschöpfung in Entwicklungsländer ausgelagert, um einen maximalen Mehrwert bei minimalem Risiko zu erzielen. Tätigkeiten mit hoher Wertschöpfung – und damit der Löwenanteil der erzielten Gewinne – verbleiben in den Industrieländern, wo die größten Konzerne ihre Zentralen haben.

In der postkolonialen Ära, die Mitte des 20. Jahrhunderts begann, strebten die Länder des Globalen Südens eine Entwicklung durch exportorientierte Industrialisierung an. Zugleich waren die Industrienationen des Globalen Nordens bestrebt, ihre Wettbewerbsvorteile zu bewahren. Unterstützt wurden sie dabei von globalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), die den Entwicklungsländern unter der Führung (und mit dem Kapital) der Länder des Nordens seit den 1980er Jahren eine neoliberale Politik der Marktöffnung und Deregulierung sowie entsprechende Strukturanpassungsprogramme aufzwangen.

Dieser Wandel veränderte die Bedingungen für Entwicklung und Wachstum radikal, da Unternehmen aus dem Norden nun damit beginnen konnten, die Produktion in Länder mit billigeren Arbeitskräften auszulagern. Asien entwickelte sich in der Folge zu einem globalisierten Produktionszentrum, wobei die Bekleidungsindustrie eine Schlüsselrolle spielte. Das neue Modell schien den ostasiatischen und später auch den südost- und südasiatischen Ländern einen Weg zur Industrialisierung zu eröffnen.

Während bis dahin existenzsichernde Löhne und das Wohlergehen der Arbeiter*innen (zumindest theoretisch) als nationale Prioritäten behandelt wurden, betrachtet das neue, gewinnorientierte Entwicklungsmodell diese beiden Faktoren lediglich als wirtschaftliche Kosten, die möglichst gering zu halten sind. Dass das Wirtschaftswachstum von einer Verarmung vieler Menschen in diesen Ländern begleitet wird, spielt in diesen Erwägungen keine Rolle. Es handelt sich im Wesentlichen um ein schuldenfinanziertes Wachstumsmodell, bei dem die Löhne und die Lohnquote einen neuen Tiefstand und die Ungleichheit einen neuen Höchststand erreichten. Von den Millionen Arbeiter*innen, die in diese neue industrialisierte Welt eintraten, erlebte die überwältigende Mehrheit lediglich Verarmung und Verschuldung.

Die Unternehmen aus dem Norden hingegen konnten enorme Gewinne einfahren und die Produktionsbedingungen fast nach Belieben festlegen. Auf diese Weise sicherten sie sich niedrige Preise und kurbelten den heimischen Konsum an. Die in der Fertigung tätigen Arbeiter*innen (und ihre Gewerkschaften) im Globalen Süden wiederum waren weit entfernt von den Konzernchefs und Aktionär*innen, die die Arbeitsbedingungen in den Fabriken diktierten. Jegliche Haftung für Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen konnte leicht umgangen werden, da die Beziehung zwischen Lieferanten und Arbeiter*innen auf der einen und den Markenkonzernen auf der anderen Seite durch deren formalen Status als bloße «Käufer» von Waren verschleiert wurde.

Die fehlende Rechenschaftspflicht der Unternehmen wurde durch die politische Unterdrückung von Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen begünstigt, die das wichtigste Gegengewicht zu den profitorientierten Kräften darstellen. Das LkSG stellt einen verspäteten, aber entscheidenden Versuch dar, die Produktionsarbeiter*innen vor der extremen Ausbeutung zu schützen, die aus ihrer Stellung in der globalen Lieferkette resultiert.

Ein langer und steiniger Weg

Gewerkschafter*innen (vor allem aus den Produktionsländern) und Verbraucherschützer*innen drängen seit langem auf eine neue Regulierung globaler Lieferketten, da der veraltete nationalstaatliche Regulierungsrahmen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und freiwillige Mechanismen sich als unzureichend erwiesen haben. Das LkSG ist Ergebnis eines jahrzehntelangen Kampfes der Arbeiter*innen im Globalen Süden und ihrer Verbündeten im Norden. Auf dem Weg dorthin mussten sie tief verwurzelte Machtungleichgewichte überwinden und sich immer wieder verwässerter «Lösungen» des Privatsektors erwehren, die von internationalen Gremien unterstützt wurden.

Mit der zunehmenden Verlagerung der Produktion in die Länder des Südens entstand eine neue, unorganisierte Arbeiter*innenklasse. Die Gewerkschaften in den Industrieländern neigten eher dazu, die Interessen der Arbeiter*innen im Norden zu sichern, als sich mit den Arbeiter*innen im Süden zu verbünden.

An die Stelle der in dieser Hinsicht versagenden internationalen Gewerkschaftsbewegung traten in den 1990er Jahren Kampagnen von Verbraucher*innen in Europa und den USA. Sie zielten darauf ab, Solidarität mit den Textilarbeiter*innen in den Entwicklungsländern aufzubauen. Verbraucher*innen im Norden, denen an einem ethischen Konsumverhalten gelegen war, begannen, menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu fordern. Zwar zeigten diese globalen Kampagnen bemerkenswerte Erfolge, doch es gelang zunächst nicht, die Macht der Gewerkschaften von Produktionsarbeiter*innen dauerhaft zu stärken. Dennoch bleibt eine solche Einflussnahme elementar.

Angesichts des von den Kampagnen ausgehenden Risikos für ihre Reputation führten Modemarken Anfang der 2000er Jahre freiwillige Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer sozialen Verantwortung (Corporate Social Responsibility, CSR) ein. Die beiden wichtigsten Instrumente sind der Code of Conduct (CoC) – ein Verhaltenskodex – und «Sozial-Audits». Diese Instrumente verdrängten jedoch zunehmend die Gewerkschaften als effektive Arbeiter*innenvertretung. Sozial-Audits sind inzwischen zu einem milliardenschweren Wirtschaftszweig geworden und weithin in Verruf geraten, da sie multinationale Konzerne nicht daran hindern, die Preise für Arbeitskräfte zu drücken.

Die Vereinten Nationen setzten indes auf marktbasierte freiwillige Lösungen. Im Jahr 2011 verabschiedete der UN-Menschenrechtsrat (UNHRC) die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs) und den UN Global Compact, die gemeinsam mit den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen den Rahmen bilden. Diese Instrumente erkennen zwar die Verantwortung von Unternehmen an, eine menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung (Human Rights Due Diligence) durchzuführen; sie sind jedoch lediglich freiwillige, unverbindliche Empfehlungen mit begrenzten unabhängigen Überwachungs- und Beschwerdemechanismen. Gewerkschaften in Asien haben zudem auf die erheblichen Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Anforderungen und auf die langwierigen Verfahren dieser Mechanismen hingewiesen, die allesamt zu unbefriedigenden Ergebnissen führten.

Die sogenannten Lösungen, die von Markenunternehmen vorgeschlagen und von internationalen Gremien befürwortet wurden, scheiterten nicht nur an ihrer Freiwilligkeit, sondern auch daran, dass sie ein großes Problem globaler Lieferketten außer Acht ließen: Marken können sich in ihrer Position als «Käufer» nämlich schlicht aus der Verantwortung stehlen, da kein direktes Beschäftigungsverhältnis zwischen ihnen und den Arbeitskräften in der Produktion besteht.

Was wir brauchen, ist ein Modell, das Beschäftigte und Gewerkschaften in den Produktionsländern befähigt, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Die Wirksamkeit des LkSG wird also davon abhängen, ob es die kollektive Verhandlungsmacht der Arbeiter*innen in den Produktionsländern stärken und progressive Bewegungen im Globalen Norden und Süden zusammenführen kann.

Strukturelle Zwänge und potenzielle Fallstricke

Modemarken sind die treibenden Kräfte der globalen Lieferketten im Bekleidungssektor. Ihre Einkaufspraktiken diktieren den Lieferanten Preise, Lieferzeiten und Qualitätsanforderungen. Die Folgen für die Beschäftigten sind niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und Verstöße gegen lokale Arbeitsgesetze und international anerkannte Arbeitsnormen.

Obgleich Modemarken einen beträchtlichen Einfluss auf die Hersteller ausüben, ist ihre Macht nicht absolut. Eine umfassende Untersuchung der Machtverhältnisse könnte Aufschluss darüber geben, welchen Herausforderungen Arbeitnehmer*innen und Gewerkschaften gegenüberstehen werden, wenn sie sich auf das LkSG berufen. Dabei sind die wachsende Kapitalmobilität innerhalb Asiens und die komplexen regionalen Produktionsnetzwerke zu berücksichtigen, die transnationale Unternehmen in Ostasien aufgebaut haben.

Das rasante Wirtschaftswachstum Asiens und die exportorientierte Produktion haben neue, mächtige Eliten hervorgebracht, darunter Eigentümer*innen von Zulieferwerken in Japan, Südkorea, Taiwan und China. Der Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) wurde als Wirtschaftsblock einkommensschwacher Länder gegründet, um die Liberalisierung voranzutreiben und den Kapitalfluss in der Region zu erleichtern. Auf diese Weise wollen die beteiligten Länder zu einem Produktionszentrum für transnationales Kapital werden. Mit dem Aufschwung der ostasiatischen Volkswirtschaften in den 1980er Jahren stieg in den ASEAN-Ländern auch die Zahl an Arbeiter*innen in den Bekleidungsfabriken, die sich in den Händen ostasiatischer Investor*innen befanden. 

Strategien, die sich auf Akteure aus dem Norden konzentrieren, gehen von der Annahme aus, dass Markenunternehmen die Arbeitspraktiken der Hersteller kontrollieren. Aufgrund des transnationalen Kapitals in der Branche müssen zur Einhaltung der Gesetze allerdings weitere Akteure herangezogen werden, denn die Ausbeutung von Fabrikarbeiter*innen in einem ASEAN-Land wird auch von den Interessen ostasiatischer Fabrikbesitzer*innen beeinflusst. Sowohl die Konzerne als auch die Zulieferer streben nach Gewinnmaximierung. Angesichts der wachsenden Kapitalströme im Fertigungsbereich und der Kapitalmobilität in den ASEAN-Ländern – sowie von Asiens Aufstieg zu einem bedeutenden Verbrauchermarkt – ist es wichtig, die jeweilige Vormachtstellung, konkurrierenden Interessen und strukturellen Schwächen der unterschiedlichen Akteure bei der Auslegung des LkSG zu berücksichtigen. Dazu gehören:

  1. Regulierungslücken zwischen dem LkSG und den ASEAN-Ländern: Bislang hatten die Rahmenbedingungen zur menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfung kaum Auswirkungen auf die Arbeits- und Menschenrechtsstandards in den ASEAN-Ländern. Die Staaten tragen mit ihrer exportorientierten Industrialisierungspolitik zur Nichtdurchsetzung von Arbeitsstandards und zur Erleichterung ausbeuterischer Geschäftsaktivitäten bei. Demzufolge besteht eine Regulierungslücke zwischen dem LkSG und den entsprechenden Bestimmungen in den Produktionsregionen. ASEAN tut sich schwer damit, die Menschenrechte ernst zu nehmen. So findet die menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung in den Leitlinien zur Förderung inklusiver Unternehmen keinerlei Erwähnung und bleibt in ihrer Definition «inklusiver Unternehmen» unklar. Die zwischenstaatliche Menschenrechtskommission des ASEAN (AIHRC) gilt weithin als unbedeutend. Der institutionelle Wandel in Südostasien stößt auf den starken Widerstand lokaler Eliten und soziopolitischer Kräfte, die von der Missachtung international anerkannter Arbeitsnormen und -rechte profitieren.
  2. Unzureichende Einhaltung, wenn Preismechanismen nicht kostendeckend angepasst werden: Umfassende Marktreformen könnten zu einer oberflächlichen Einhaltung der Vorschriften führen, da die mächtigen Eliten in Asien ihre Verbindungen dazu nutzen können, eine strengere Regulierung zu umgehen. Dies gilt vor allem dann, wenn die Preisgestaltung der Markenunternehmen nicht an die mit der Einhaltung der Vorschriften verbundenen Kosten angepasst wird. Die Zulieferer sind an wettbewerbsfähige Preismodelle gebunden, die die Kosten auf das von der nationalen Gesetzgebung geforderte Mindestniveau begrenzen. Die Möglichkeit der Hersteller, Mitarbeiter*innen nach Bedarf einzustellen und zu entlassen, exzessive Überstunden und Zielvorgaben durchzusetzen und niedrige Löhne zu zahlen, ist für die niedrigen Gewinnspannen und das wettbewerbsintensive Umfeld in markengesteuerten Lieferketten unerlässlich. Untersuchungen zeigen, dass die Preismodelle von Markenunternehmen oft nicht einmal den lokalen Standards entsprechen. Ohne eine sinnvolle Überarbeitung der Preisgestaltung ist eine Einhaltung der Standards unwahrscheinlich.
  3. Verlagerung der Produktion aufgrund hoher Kosten für die Einhaltung der Standards: Standortverlagerungen könnten zu einer bevorzugten Option für Lieferanten werden, die versuchen, die Kosten für die Einhaltung der Vorschriften durch eine Maximierung der Wertschöpfung auszugleichen. Dies ist bereits ein weit verbreitetes Phänomen in der Region, könnte sich aber unter den strengeren Vorgaben des LkSG und der zunehmenden regionalen Integration und Kapitalmobilität in den ASEAN-Ländern noch verschärfen. Wenn Lieferanten aufgrund der derzeitigen Preismodelle nicht in der Lage sind oder sich weigern, die strengeren Compliance-Vorschriften zu erfüllen (das heißt die Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen zu gewährleisten), könnten die Markenunternehmen sich gezwungen sehen, die Lieferantenbeziehung zu beenden. In beiden Fällen würde dies den Verlust Tausender Arbeitsplätze in einer bestimmten Zulieferfabrik bedeuten.
  4. Kostspielige Compliance könnte Lieferanten zu asiatischen Markenunternehmen drängen: Während Deutschland derzeit ein wichtiger Handelspartner der ASEAN-Länder ist, gibt es eine bemerkenswerte – wenn auch ungleichmäßige – Beschleunigung der transnationalen Mobilisierung von Kapital unter den südostasiatischen Ländern. Die zunehmende Regionalisierung von Produktions- und Finanzierungskreisläufen hat das Entstehen von Initiativen wie ASEAN Plus Three (ASEAN-Länder plus China, Japan und Südkorea) sowie die Regionale umfassende Wirtschaftspartnerschaft (RCEP) und Chinas Belt and Road Initiative («Neue Seidenstraße») gefördert. Das deutet darauf hin, dass dem Handelskapital aus asiatischen Ländern künftig eine größere Bedeutung in der Region zukommen wird. Als beispielsweise mehrere europäische Markenunternehmen aufgrund des Militärputsches ihre Geschäftstätigkeit in Myanmar einstellten, traten asiatische Marken auf den Plan und setzten sich unverhohlen über Arbeitsstandards hinweg. Geschäfte mit asiatischen Markenkonzernen, die keine kostspieligen Compliance-Maßnahmen verlangen, könnten daher für Lieferanten attraktiver werden.
  5. Begrenzte Überwachungskapazitäten seitens der lokalen Akteure: Markenunternehmen haben es in der Vergangenheit vorgezogen, die Prüfung der Einhaltung der Vorschriften an Sozial-Audits oder externe Nichtregierungsorganisationen (NGOs) auszulagern, um sich nicht mit Gewerkschaften auseinandersetzen zu müssen. Zusätzlich zu den zahllosen Fällen von Korruption und geheimen Absprachen zwischen Prüfer*innen und der Unternehmensleitung haben selbst gutwillige externe Prüfer*innen keine Ressourcen, um reale Verbesserungen anzustoßen. Ohne eine sinnvolle Beteiligung der Gewerkschaften und angemessene Mittel für Initiativen, die tatsächlich von Arbeiter*innen geführt werden (siehe abschließender Abschnitt), besteht beim LkSG erneut die Gefahr einer unzureichenden Compliance.
  6. Unterdrückung von Gewerkschaften, Vereinigungsfreiheit und Demokratie: Gewerkschaften und Zivilgesellschaft sind für die Demokratie von grundlegender Bedeutung, da sie profitorientierten Kräften entgegenwirken, die von kleinen Gruppen mächtiger Eliten geführt werden. Dieselben Führungseliten haben es versäumt, einen echten Dialog mit den Betroffenen aufzunehmen, der die bestehende Machtdynamik infrage stellen würde. Einige sehen die allmähliche Einbindung ausgewählter zivilgesellschaftlicher Gruppen in «hochrangige» ASEAN-Plattformen und des Gewerkschaftsrats der ASEAN-Länder als eine Abkehr von der traditionellen regionalen Ausrichtung des ASEAN, die auch als «ASEAN-Weg» bezeichnet wird und autoritären Werten den Vorrang gibt. Andere wiederum verstehen die vorsichtigen Versuche von Ländern wie Kambodscha, Laos und Thailand, die Militärjunta in Myanmar zu «normalisieren», als Zeichen eines «business as usual». Die Region hat mit Blick auf den Aufbau demokratischer Institutionen und die Einbeziehung der Arbeiter*innenbewegung noch einen langen Weg vor sich.

Das Lieferkettengesetz als nützliches Werkzeug für Arbeitnehmer*innen in den ASEAN-Ländern

Die Wirksamkeit des LkSG wird letztlich davon abhängen, ob die strengeren Vorgaben zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht mit der Ausweitung von Tarifverhandlungen der Arbeiter*innen im Globalen Süden verbunden werden können.

Erstens ist eine starke, geeinte Arbeiter*innenbewegung in den asiatischen Produktionsländern von entscheidender Bedeutung, um die bestehende Machtdynamik herauszufordern. Denn die Marken streben danach, regionale Durchschnittskosten zu minimieren, indem sie ein Land gegen ein anderes ausspielen, um die Produktionskosten in einem nicht enden wollenden Wettlauf nach unten zu drücken.

2007 wurde die Asia Floor Wage Alliance (AFWA) gegründet, die der Beschaffungsstrategie der Markenunternehmen die Tarifverhandlungsmacht der Arbeiter*innen entgegensetzen will. Dieses Bündnis vereint etablierte und neue Gewerkschaften in ganz Asien und wird von Arbeits- und Menschenrechtsorganisationen unterstützt. Die AFWA-Strategien beziehen sich konzeptionell auf die Funktionsweisen der globalen Lieferkette. Sie setzen sich zum Ziel, das verschleierte Beschäftigungsverhältnis zwischen den Modemarken und den Arbeiter*innen in der Produktion aufzudecken und die Arbeiterschaft in Asien solidarisch zusammenzuführen.

In einer globalisierten Welt müssen nationale Gewerkschaftsbewegungen auch auf globaler Ebene agieren. Gleichzeitig ist für den strategischen Sprung von der nationalen zur globalen Ebene eine regionale Einheit der Akteure erforderlich. Angesichts der widersprüchlichen transnationalen Kräfte und Motivationen, die in den ASEAN-Ländern wirken, können Arbeiter*innen in asiatischen Produktionsländern die Macht des ostasiatischen Produktionskapitals in Tarifverhandlungen herausfordern und grenzüberschreitende Solidarität fördern. Das LkSG kann für diesen Zweck genutzt werden, denn die Markenkonzerne in Deutschland haben ein Interesse an der Einhaltung der Vorschriften durch Monitoring unter Beteiligung von lokalen Initiativen und Arbeiter*innen. Die Beteiligung von Gewerkschaften – unterstützt von zivilgesellschaftlichen Organisationen – muss dabei im Mittelpunkt stehen.

Zweitens: Zur Förderung der Zusammenarbeit dürfen die progressiven Akteure im Globalen Süden nicht in eine Nebenrolle gedrängt werden. Mit anderen Worten: Das LkSG muss eine Abkehr vom Dienstleistungsmodell der Akteure des Nordens markieren und zu einem Instrument für den Machtaufbau der Arbeiter*innenklasse werden.

Dementsprechend hat die AFWA im Jahr 2021 – als Reaktion auf das fahrlässige Verhalten der Modemarken während der Corona-Pandemie und die Unfähigkeit der Zulieferer, den Arbeiter*innen aufgrund ihrer Abhängigkeit von den Marken Löhne zu zahlen – Gewerkschaften und juristische Netzwerke in sechs Ländern mobilisiert, um gemeinsam eine neue Strategie zur gemeinsamen Arbeitgeberhaftung zu entwickeln. Diese Strategie sollte die Rolle der Markenkonzerne neu definieren, und zwar als gemeinsame Arbeitgeber und nicht als bloße «Käufer» von Kleidungsstücken. Beschwerden und Petitionen, die in Indien, Indonesien, Pakistan und Sri Lanka über verschiedene staatliche Rechtsmechanismen eingereicht wurden, haben zu einer wichtigen Diskussion über die Stärkung nationaler Gerichte und Institutionen beigetragen.

Mit dieser Strategie zielt die AFWA darauf ab, ein direktes Beschäftigungsverhältnis zwischen den Markenkonzernen und den Produktionsarbeiter*innen zu schaffen. Das LkSG kann an diese Bemühungen anknüpfen, indem es auf Grundlage der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht die Risikoabschätzung in den Verantwortungsbereich der Unternehmen rückt und die Arbeiter*innen einbezieht. Auf diese Weise hat das LkSG das Potenzial, eine enge Zusammenarbeit zwischen progressiven Bewegungen im Süden und im Norden zu fördern und das Kräfteverhältnis neu zu justieren.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass ein Beschäftigungsverhältnis zwischen Markenkonzernen und Arbeiter*innen nur dann etabliert werden kann, wenn die Konzerne ihre Zulieferer offenlegen. Es fehlt grundsätzlich an Transparenz und Sichtbarkeit der unterschiedlichen Stationen der Lieferkette, vor allem in den untergeordneten Einheiten und Zulieferbetrieben. Dies stellt eine große Hürde dar, eine angemessene Offenlegung ist daher unerlässlich.

Drittens können Beschwerden über Arbeitsrechtsverletzungen ohne den Aufbau institutioneller Kapazitäten und eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Globalen Norden und Süden nicht angemessen bearbeitet werden. Deutschland ist zwar ein wichtiger Markt, aber ein Land allein kann nicht viel bewirken. Die Directive on Corporate Sustainability Due Diligence (die Richtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit, CSDDD), die für die EU und für dort tätige Nicht-EU-Unternehmen gilt, ist ein positiver Schritt in Richtung einer allgemeineren Einführung von Gesetzen zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht.

Der Präzedenzfall, den das LkSG in Bezug auf Effizienz und Wirksamkeit schafft, bevor die CSDDD in Kraft tritt, wird über ihren Erfolg entscheiden. Es wird jedoch mit einem Mangel an Vertrauen in die institutionellen Prozesse und die Umsetzung seiner Vorgänger zu kämpfen haben. Gewerkschaften in Asien haben auf die Komplexität der Prozesse, die mangelnde Transparenz, die schwierigen Beweisanforderungen und die unbefriedigenden Ergebnisse bei der Anwendung der bereits bestehenden Mechanismen hingewiesen. Anekdotische Hinweise deuten darauf hin, dass das LkSG bisher nicht von diesem Muster abgewichen ist.

Institutionen, die die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht umsetzen, müssen Vertrauen aufbauen, und an beiden Enden der Lieferkette sollten institutionelle Kapazitäten entstehen, um die aufwändigen Prozessanforderungen zu erfüllen. Fortschrittliche Akteure in Deutschland und anderen Ländern des Nordens können die Umsetzung des LkSG weiter unterstützen, indem sie die entsprechenden Institutionen zur Rechenschaft ziehen und Verbindungen und Zugang zu Ressourcen schaffen, um Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft im Globalen Süden zu stärken. Dazu gehören eine aktive Zusammenarbeit und ein Informationsaustausch, damit Organisationen im Süden Zugang zu den LkSG-Bestimmungen haben und diese effektiv nutzen können.

Schließlich muss die Umsetzung und Überwachung des LkSG in Fabriken in den ASEAN-Ländern die Selbstbestimmung der Arbeiter*innen fördern, etwa indem ihr Recht auf gewerkschaftliche Organisierung und Tarifverhandlungen gefestigt wird. Die Macht der Fabrikeigentümer*innen und des Managements zur Festlegung von Arbeitsbedingungen ist nie absolut und kann durch die Belegschaften infrage gestellt werden. Lösungen wie «Safe Circles» am Arbeitsplatz und Tarifverhandlungen können durch die schrittweise Beseitigung von geschlechtsspezifischer Gewalt und Belästigung in von Arbeiter*innen geführten und überwachten Beschwerdemechanismen ergänzt werden.

Von den Rechten zur Macht der Arbeiter*innen

Ein direktes Beispiel dafür, wie das LkSG die Selbstbestimmung von Arbeitnehmer*innen fördern kann, ist die Risikoanalyse, zu der die Markenunternehmen verpflichtet sind. Die Unternehmen sollten mit den Gewerkschaften auf betrieblicher, lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene zusammenarbeiten, um Risikofaktoren im Zusammenhang mit ihren Einkaufspraktiken zu ermitteln. Der soziale Dialog und die Einbeziehung von Gewerkschaften und Belegschaften sind unerlässlich, wenn man sicherstellen will, dass die Erfahrungen der Arbeiter*innen in die Risikoanalyse einfließen, dass die Maßnahmen zur Risikominderung gegenüber den Arbeiter*innen verantwortet werden und dass es im Falle von Repressalien Möglichkeiten der Streitbeilegung gibt. Eine Risikoanalyse, die die Rolle von Gewerkschaften und Belegschaften ausklammert, kann für ein sinnvolles Risikomanagementsystem nicht ausreichen. Hierzu gehört auch die Möglichkeit, die Vereinigungsfreiheit auszuüben und in Verhandlungen zu treten, um Probleme am Arbeitsplatz durch Tarifverhandlungen und verbindliche Vereinbarungen zu lösen.

Das Dindigul-Abkommen zeigt exemplarisch, wie ein rechtsverbindlicher Mechanismus die Vereinigungsfreiheit von Arbeiter*innen schützen und gleichzeitig für eine wirksame Prävention und Verhinderung von geschlechtsspezifischer Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz sorgen kann. Es unterstreicht, dass ein sinnvoller sozialer Dialog nur mit Beteiligung der Gewerkschaften möglich ist. Da es sich um zwei ineinandergreifende und sich gegenseitig verstärkende Vereinbarungen handelt – eine zwischen Markenunternehmen und Arbeitervertreter*innen und eine Tarifvereinbarung zwischen Zulieferern und Gewerkschaften –, zeigt dieses Modell auch, wie Top-down- und Bottom-up-Prozesse zusammengeführt werden können. Das Dindigul-Abkommen muss als bewährtes Verfahren betrachtet und im Rahmen des LkSG gefördert sowie von der globalen Gewerkschaftsbewegung grenzüberschreitend angewendet werden. Entscheidend ist, dass verbindliche Mechanismen wie das LkSG nicht dem Muster freiwilliger Marktlösungen folgen, indem sie Gewerkschaften an der Interessenvertretung hindern.

Gewerkschaften und andere Arbeiter*innenorganisationen sind entscheidende Bestandteile demokratischer Regierungsführung, da sie die Fähigkeit besitzen, die Anliegen der arbeitenden Menschen und Familien – die Mehrheit der Bevölkerung – zu organisieren, zu artikulieren und zu vertreten. Sollte es in den ASEAN-Ländern zu institutionellen Veränderungen kommen, während die zugrundeliegenden Machtverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit unverändert bleiben, dürfte die Wirksamkeit solcher Reformen voraussichtlich massiv beeinträchtigt werden.

Die Arbeiter*innenbewegung ist seit jeher eine Kraft der Demokratie und des gesellschaftlichen Fortschritts und spielt eine entscheidende Rolle. Mechanismen wie das Lieferkettengesetz sollten daher genutzt werden, um die Bewegung grenzüberschreitend auszuweiten und zu stärken mit dem Ziel, bestehende Machtverhältnisse infrage zu stellen und eine globale Dynamik für ein alternatives Entwicklungsparadigma zu schaffen.

Übersetzung von Cornelia Gritzner und Camilla Elle für Gegensatz Translation Collective.