Suche, Skepsis und Ratlosigkeit

Die Währungsumstellung am 1. Juli 1990 war der entscheidende Schritt beim Umbau der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in Ostdeutschland.

Vermerk über eine Kontenanmeldung im DDR-Ausweis anlässlich der Währungsumstellung.

Nach einigen Tagen leerer Regale in den Geschäften in den Tagen vor der D-Mark-Einführung stellte sich schnell die neue Normalität ein. Nur wie diese sich entwickeln würde, wusste niemand genau. Die Reaktionen, die das Neue Deutschland am Vorabend der Währungsreform einfängt, sind skeptisch. Reinhold Kowalski vom Institut für Internationale Politik und Wirtschaft in Berlin/DDR schreibt:

«Vollbeschäftigung, Einkommenssteigerung und expansive Wirtschaftsstrukturen werden uns nicht beschert werden. Im Gegenteil – der Wirtschaft der DDR steht eine Roßkur bevor, die Chancen und Risiken gleichermaßen birgt und Zeit erfordert.»[1]

Was die Chancen seien, blieb er uns schuldig. Sie liegen eher auf der Ebene des Individuellen, derjenigen, die meinen, sich in den Konkurrenzkämpfen der nächsten Monate durchsetzen zu können. Mit einer humanen Gesellschaft, die ein Jahr zuvor eingefordert wurde, hat das alles nichts mehr zu tun.

Die Zeitschrift, in der der Beitrag erscheint, kostete nun 6,50 DM, im Juni waren es noch 2,50 Mark der DDR. Die WirtschaftsWoche vom 21.09.1990 (S.12) berichtete, dass im Juli in der DDR die Preise für Nahrungsmittel um 18,5%, Bekleidung um 11,2% und für Gesundheitspflege um 34,9% gestiegen und für Möbel und Haushaltsgeräte um 12,1% gesunken seien. So oder musste man sich nun mit den neuen Gegebenheiten arrangieren. Da die Konditionen des Umtausches rechtzeitig bekannt waren, verlief der Prozess auch weitgehend reibungslos.

Derweilen bereitete das ersehnte ausländische Kapital die «Besetzung der Kommandohöhen» vor. Pläne, die Energiewirtschaft den großen westdeutschen Konzernen zu überlassen stießen schon im Juni auf lautstarke Kritik. Auf der 19. Volkskammertagung kommt es zu einer kontroversen Debatte. Die Staatliche Versicherung fällt an die Allianz. Die Medien- und Kulturlandschaft erlebt wegen der sich ankündigenden Massenentlassungen eine Protestwelle. Die Lage wird dadurch noch weiter kompliziert, dass die DDR-Unternehmen in Zahlungsprobleme geraten. Für Banken sind sie unsichere Kunden – werden sie von der Treuhand privatisiert oder abgewickelt, oder reprivatisiert? Wolfram Engels, einer der Köpfe der aufsteigenden neoliberalen Strömung stellte am 10. August fest:

«Die Bundesrepublik saugt die DDR-Liquidität … in zweifacher Form ab – als Käufe der DDR [also die Einnahmen westdeutscher Produzenten] und als Anlagen von DDR-Ersparnissen im Westen [weil viele DDR-BürgerInnen ihr Geld von den Sparkassen in westdeutsche Banken transferiert haben].»[2]

In einer Information der Kommission Wirtschafts-, Landwirtschafts- und Sozialpolitik Fakten zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in der DDR werden folgende Zahlen genannt: Im Juli 1990 stammten nur noch 40% des Fleisch- und 30% des Angebotes an Milcherzeugnissen aus DDR-Produktion. Die industrielle Warenproduktion fiel im gleichen Monat gegenüber dem Juli 1989 um 42,4%, die Zahl der Arbeitslosen stieg im Verlaufe des Jahres von 7.440 (Januar) auf 361.186 (August 1990), die Zahl der Kurzarbeiter erreichte die Marke von 1,439 Mio.

Die Presse dieser Wochen berichtet von Vorstößen verschiedener westdeutscher Funktionäre, die sich gegen jeglichen Schutz des Marktes der DDR wenden: der DIHT positioniert sich gegen die in der DDR erweiterten Kurzarbeiterregelungen und «investitionshemmende Bestimmungen», sein Präsident lehnt die Festschreibung des Rechts auf Arbeit als Staatsziel ab, die BDA fordert vorerst den Ausschluss von DDR-BürgerInnen beim Erwerb von Anteilen am Kapital der DDR-Betriebe, BDA-Präsident Murrmann wendet sich prinzipiell gegen die Übernahme von Elementen des DDR-Arbeitsrechts in das neue bundesdeutsche Recht und der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit beruhigt mit dem Verweis, dass Massenarbeitslosigkeit doch etwas ganz normales sei. Dies ist nun alles nicht verwunderlich. Nimmt man noch die aggressive, von der Treuhandgründung befeuerte Privatisierungsrhetorik dazu, so zeichnen sich die Konturen der Entwicklungen hin zur Agenda 2010 schon deutlich ab.

Die Einführung der D-Mark erfolgte im Zusammenhang mit der Realisierung des Vertrages zur Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990. Dieses Gesetz sah vor, welchen Grundsätzen die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialpolitik der DDR nun zu folgen hätten und welche Gesetze in beiden Staaten zu übernehmen, zu ändern bzw. abzuschaffen wären. Die Volkskammer hatte vor dem 1.Juli weit über 100 Gesetze zu bearbeiten. Dieser Vertrag wurde von der Volkskammer am 21. Juni bestätigt. Nun ging es um einen Vertrag, der die staatliche Einheit fixieren sollte, den Einigungsvertrag. Er wurde am 31. August, zwei Monate nach der D-Mark-Einführung, unterzeichnet. Seine Erarbeitung ging schon vor der Währungsunion in die heiße Phase. Die Materie war nicht weniger komplex und der Zeitdruck genauso hoch. Kaum ein Abgeordneter der Volkskammer oder des Bundestages waren in der Lage, bei diesem Tempo die Folgen der Entscheidungen zu überblicken. Von einer öffentlichen Diskussion konnte keine Rede sein.

«Als ‚Putsch der Regierung gegen das Volk‘ hat der Obmann der Bundestagsfraktion der Grünen im Ausschuß Deutsche Einheit, Gerald Häfner, die im zweiten Staatsvertrag mit der DDR geplante Streichung der Möglichkeit einer vom Volk durch Volksabstimmung legitimierten Verfassung bezeichnet. Die Bundesregierung bereite den zweiten Staatsvertrag mit der ‚Methode der Geheimdiplomatie‘ vor

Das konnte nicht durchgesetzt werden, aber die Intervention Häfners ist Spiegelbild des Prozesses der Vertragserarbeitung überhaupt.

Für die PDS, die Vereinigte Linke, Bündnis 90 und andere ehemalige BürgerrechtlerInnen stellte sich gleichzeitig zum Widerstand gegen die Art des Einigungsprozesses die Frage nach ihrer Stellung, ihrem politischen und ideologischen Profil im künftigen Deutschland. Im Umfeld des 1. Juli traf sich die VL zu einer programmatischen Diskussion und die PDS führte am 8. Juli eine Konferenz zum Demokratischen Sozialismus durch.

War die Währungsunion nun eine «eine überstürzte Entscheidung» wie gerade Daniela Dahn wieder im Anschluss an Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl kolportiert? Im gesamten Beitrittsprozess 1990 ging es nie um abstrakte Vernunft, es ging selbstverständlich um Macht. Als überstürzt kann sie nur betrachtet werden, wenn man die Interessen der handelnden Akteure nicht ernst nimmt. Die Währungsunion mit ihren Konditionen klärte die Machtfrage endgültig. Damit begann auch die neue Spaltung der ostdeutschen Gesellschaft.

(Mit freundlicher Unterstützung der Tageszeitung neues deutschland und ihres online-Archivs)


[1] Kowalski, Reinhold (1990). Wie wettbewerbsfähig ist die Wirtschaft der DDR? in: IPW-Berichte, Vol. 19(7), 7–10, S. 7.

[2] Engels, Wolfram (1990). Liquiditätskollaps, in: WirtschaftsWoche Heft 33 vom 10.08.1990, S. 126.