Nachricht | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Sozialökologischer Umbau - Koalition ohne Fortschritt - Klimagerechtigkeit Wer bezahlt den Klimaschutz?

Die Dekarbonisierung ist nicht finanzierbar ohne Umverteilung von Vermögen

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Uwe Witt,

Montage des Generators und der Rotoren eines Windrades in Mausdorf Bayern Deutschland. 2014
Baustelle eines Windrades in Bayern Foto: IMAGO / Harry Koerber

Jährlich rund 46 Milliarden Euro Staatsausgaben (entsprechen 1,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BSP) oder 6,3 Prozent der Bruttoinlandinvestitionen) würden reichen, um bis 2045 die Bundesrepublik CO2-frei zu machen. Das klingt nach beinah nichts, angesichts der sich dramatisch verschärfenden Klimakrise. In Hinblick auf das aktuelle Milliarden-Verschieben im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von letztem Dezember, welches auch zu Lasten des Klimaschutzes geht, scheint die Summe dann aber doch mehr zu sein als «Peanuts».

Zunächst: Woher kommen die 46 Milliarden Euro überhaupt, was decken sie ab?

Als Mitarbeiter der Denkfabrik Agora Energiewende trugen die Wissenschaftler Tom Krebs und Janik Steitz bereits 2021 zusammen, welche Schätzungen für jene zusätzlichen Umbaukosten vorliegen, die Bund, Länder und Kommunen bis 2030 stemmen müssten, um Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen. Dabei ging es zum einen um die notwendigen Mittel für Klimaschutz im eigenen Verantwortungsbereich, zum anderen, um jene Gelder, die aufzubringen wären, um private Klimaschutzinvestitionen angemessen mit Fördergeldern unterstützen zu können. Bei den insgesamt ermittelten rund 46 Milliarden Euro pro Jahr geht es somit allein um öffentliche Gelder, nicht um Privatinvestitionen, wie die Gebäudesanierung von Eigenheimen oder den Industrieumbau. Die Verbindung zu letzteren besteht darin, dass beispielsweise staatliche KfW-Programme Klimasanierungen privater Gebäude fördern oder der Staat solange den Einsatz grünen Wasserstoffs in Stahlwerken subventioniert, bis dieser zu wettbewerbsfähigen Preisen beziehbar ist. Das Volumen der für den Umbau notwendigen Privatinvestitionen ist nicht Bestandteil dieser Summe. Es wird ein Vielfaches jener Mittel ausmachen, die der Staat als Zuschuss oder Anreiz bereitstellt, schreiben die Autoren in ihrer Überblicksarbeit.

Uwe Witt ist Referent für sozial-ökologische Transformation der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Da die 46 Milliarden Euro jährlich also öffentliche Gelder sind, wären sie über den Kernhaushalt zu finanzieren oder über entsprechenden Sondertöpfe, wie dem Klima- und Transformationsfonds (KFT) des Bundes. Letzterer ist nicht direkt Bestandteil des Bundesetats, da bei ihm eine Zweckbindung der Einnahmen mit den Ausgaben besteht – im Gegensatz zum normalen Haushalt, wo jede Einnahme für jede Ausgabe verwendet werden kann. Gespeist wird der KTF hauptsächlich aus den Erlösen aus der CO2-Bepreisung. Das sind zum einen jene Gelder, die Deutschland anteilig aus den Versteigerungen von Emissionsberechtigungen im EU-Emissionshandel für Energiewirtschaft und Schwerindustrie zustehen, zum anderen alle Einnahmen aus dem nationalen Emissionshandel für den Gebäude- und Wärmebereich über das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG). In der Vergangenheit, als die CO2-Preise noch niedrig lagen, bezuschusste der Kernhaushalt den KTF allerdings zusätzlich mit einigen Milliarden, damit dieser besser ausgestattet seiner Aufgabe nachkommen kann: der gebündelten Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen.

Besser war aber nicht gut, denn das KTF-Volumen (damals hieß der Topf Energie- und Klimafonds, EKF) war viel zu gering, um auch nur halbwegs ausreichend Mittel für den Umbau zur Verfügung stellen zu können. Die Ampelregierung stockte die Programmausgaben in Folge um etliche Milliarden auf (siehe weiter unten). Dieser Aufwuchs wiederum überstieg trotz inzwischen höherer CO2-Preise die Einnahmen aus dem Emissionshandel deutlich. Die Lücke, so der Plan, sollte diesmal nicht der Kernhaushalt schließen, sondern nicht genutzte Kreditlinien aus einem anderen Sondertopf – dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), geschaffen zur Bewältigung der Corona-Krise. Diesen Plan durchkreuzte nun das Bundesverfassungsgericht.

Die Union als Klägerin gegen die Bundesregierung rieb sich die Hände vielleicht ein wenig zu früh, denn das Urteil setzt auch Maßstäbe, an denen Sonderfonds der Länder (auch CDU- oder CSU-geführter) scheitern könnten, die ähnlich wie KTF bzw. WSF funktioniert haben: Klimaschutzfinanzierungen auf Pump, vorbei an den eigentlichen Länderhaushalten. An diesen Töpfen hängen wiederum Gelder, die über die Kommunen ausgeteilt oder von jenen verwendet werden, um Treibhausgasemissionen im Gemeindegebiet zu senken.

Finanzbedarf: die Summe verschiedener Teile

Jene 46 Milliarden Euro jährlich respektive 460 Milliarden Euro in den zehn Jahren 2021 bis 2030, zu denen die Agora-Studie als voraussichtlicher Bedarf kommt, setzen sich zusammen aus verschiedenen Teilsummen.

  • Erstens sind da die Ausgaben des Bundes für Maßnahmen, mit denen in Bundesliegenschaften der CO2-Ausstoß gemindert werden soll, etwa rund 90 Milliarden Euro bis 2030 werden dafür bei Agora angegeben.
  • Ein zweiter Block umfasst mit 170 Milliarden Euro jene Gelder, die die Kommunen für Klimaschutzmaßnahmen in Städten und Gemeinden verausgaben müssten.
  • Drittens sollten bis Ende des Jahrzehnts 200 Milliarden Euro zur Förderung von privaten Klimaschutzinvestitionen zur Verfügung stehen. Sie werden in der Regel vom Bund ausgegeben, siehe obige Beispiele für Gebäudesanierung von Wohneigentum oder Wasserstoff in der Industrie.

Das Agora-Bild stellt aber noch nicht alle Finanzierungsbedarfe dar. In der Studie selbst wird beispielsweise eingeschätzt, dass der Übertragungs- und Verteilnetzausbau eine überragende Rolle für das Gelingen der Klimawende in der Energiewirtschaft und Industrie spielt. Ein Teil davon wird mit öffentlichen Geldern finanziert werden müssen, sollen die Netzentgelte nicht zu stark ansteigen. Wir hoch der Bedarf sein wird, sei aber aufgrund von regulatorischen Unsicherheiten derzeit nicht bezifferbar.

Keine Abfederung durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds

Die Realität hat die Agora-Studie hier eingeholt: Allein aufgrund von zusätzlichem Aufwand zur Systemstabilisierung während der Energiekrise entstanden den Netzbreibern letztes Jahr auf der Höchstspannungsebene erhebliche Mehrkosten. In Höhe von 5,5 Milliarden Euro sollten sie vom WSF abgefedert werden, was aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nun nichtig ist. Folglich werden die Stromkunden für diese Netzebene in diesem Jahr 6,43 Cent je Kilowattstunde zahlen müssen – mehr als doppelt so viel, wie 2022.

Genau solche Preisschübe wollte die Ampel eigentlich angesichts der Strompreisexplosion in der Energiekrise verhindern. Im Falle der EEG-Umlage beschloss sie letztes Jahr sogar, aktiv gegenzusteuern, und diese Umlage abzuschaffen: Die Zuschüsse für Ökostrombetreiber werden seit Juli letzten Jahres vollständig staatlich finanziert, statt wie bisher über die Stromrechnung von Haushalten und Unternehmen. Das Geld dafür kommt aus dem KTF. Allerdings geht dieser Posten in die Agora-Berechnung lediglich mit dem vergleichsweise geringen Finanzierungsbedarf ein, der für Neuanlagen von 2021 bis 2030 veranschlagt wird, um die Differenzkosten zum Marktpreis für Strom zu decken (zehn Milliarden Euro – entspräche einer Milliarde Euro pro Jahr). Denn zum Zeitpunkt der Studien-Erstellung gab es noch die von den Endkunden zu zahlende EEG-Umlage. Sie stellte den um den Faktor 13 höheren Finanzbedarf für Entgeltzahlung an Wind- und PV-Altanlagen sicher. Da nunmehr das EEG vollständig staatsfinanziert wird, müssen die dafür notwendigen 13 Milliarden Euro pro Jahr dem Bereich der staatlichen Förderung privater Investitionen zugerechnet werden.

Rechnung mit vielen Unbekannten

Technisch geschieht das über den KTF, was trotz Christian Lindners Sparorgie wohl auch so bleiben soll. Aus den jährlich 46 Milliarden Euro eingangs werden also allein aus diesem Posten 59 Milliarden Euro als Finanzbedarf.

Nicht enthalten, das weist die Studie ebenfalls aus, sind aber auch in dieser Summe noch keine Ausgaben für die Umbauförderung in den Bereichen Landwirtschaft, Landnutzung und Abfall – die Mittel seien momentan nicht bezifferbar. Sollte die Bundesregierung die Umrüstung von LKWs auf Wasserstoff und den Aufbau eines Tankstellennetzes für H2-angetriebene PKWs anstreben, kämen auch hier Finanzierungsbedarfe hinzu, die nicht in der Rechnung stehen. Weil Expert*innen in diesen Bereichen jedoch gar keinen Wasserstoff empfehlen (extrem ineffizient und teuer gegenüber einer Elektrifizierung), wird es hier wohl kaum Zusatzausgaben geben. Es sei denn, die FDP setzt auch hier gegen jede wirtschaftliche Vernunft auf Verschwendung.

Eine Leerstelle bei Agora, die dagegen mit Sicherheit zu füllen wäre, ist der Finanzierungsbedarf für künftige Anpassungsmaßnahmen an die Folgen des Klimawandels sowie zusätzliche Schäden. Die Studie benennt die Problematik, hat aber zu wenig belastbare Untersuchungen gefunden, um die dafür aufzubringenden Summen zu beziffern. Klar dürfte aber sein, dass es Bund, Länder und Kommunen zweistellige Milliardenbeträge kosten wird. Allein zur Bewältigung der Flutschäden infolge der Ahrtal-Katastrophe haben der Bund und die Länder 30 Milliarden Euro beigesteuert.

Was zudem fehlt, und in der Übersichtsarbeit auch nicht benannt wird, sind Posten, die den Umbau sozial gezielter und stärker abfedern könnten als bislang. Zwar haben vielen berücksichtigte Maßnahmen soziale Komponenten (auch wenn diese nicht zielgenau sind und teilweise Reichen überproportional zu Gute kommen), etwa die Fördergelder für die energetische Gebäudesanierung oder eben die Abschaffung der EEG-Umlage. Angesichts zwar gesunkener, aber immer noch hoher Energiepreise müssten jedoch endlich Komponenten wie ein Klimageld an die Haushalte gezahlt werden, zumal dies im Koalitionsvertrag vereinbart wurde und die CO2-Preise absehbar weiter steigen werden. Der Verbraucherverband Bundeszentrale veranschlagt hierfür beispielsweise 11,4 Milliarden Euro im Jahr, was 139 Euro pro Kopf an Rückzahlung ergeben würde. Darüber hinaus ist es aus Sicht internationaler Klimagerechtigkeit eine Pflicht, die Zahlungen an den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Globalen Süden deutlich aufzustocken. Mindestens acht Milliarden Euro jährlich statt der bislang 6,4 Milliarden Euro müsste Deutschland bereitstellen, so etwa die Klima-Allianz Deutschland.

Doppelte Höhe des Finanzbedarfs ist realistisch

Überschlagen wir die genannten Mehrbedarfe an Geld, kommen wir auf weitere 20 bis 30 Milliarden Euro. So käme man auf etwa 80 bis 90 Milliarden Euro, die durchschnittlich jedes Jahr seitens des Staates zu schultern wären, um seine Finanzierungsaufgaben beim sozialökologischen Umbau zu erfüllen. Davon wären mindestens 50 bis 60 Milliarden Euro vom Bund zu tragen. Schließlich fallen nicht nur die Bundesinvestitionen und internationale Verpflichtungen, sondern auch sämtliche Förderprogramme für private Investitionen (also der dritte Block in der Aufzählung oben) in seine Verantwortung. Überdies – auch darauf weisen die Agora-Autoren hin – sind ein relevanter Teil der zusätzlichen kommunalen Investitionen Bundesaufgaben.

Der ursprüngliche Ausgabenplan für den KTF betrug zwischen 57,6 Milliarden Euro im Jahr 2024 und 40 Milliarden Euro in 2027. Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass sich nicht alle klimarelevanten Ausgaben im KTF befinden (dafür aber im KTF auch fragliche Posten, wie überbordende Strompreisstützungen für Unternehmen) wich dieser ursprüngliche Bewirtschaftungsplan zumindest vom Ausgabenvolumen nicht in Größenordnungen von jenen 50 bis 60 Milliarden ab, lag im Schnitt aber spürbar darunter. Mit den aktuellen KTF-Kürzungen von insgesamt rund 30 Milliarden Euro bis 2027 öffnet sich die Lücke weiter.

Das im Kern ungelöste Problem besteht in der Frage, woher die benötigten Bundesmittel künftig kommen sollen. Es manifestiert sich aktuell in den Umschichtungen und Streichungen nach dem Urteil der Bundesverfassungsgerichts, die zu Lasten von Sozialem und Klimaschutz gehen. Vor allem aber wird sich die Finanzierungslücke von mehreren Dutzend Milliarden Euro allein im Klimabereich jedes Jahr neu auftun. Geschlossen werden kann sie über zwei Wege:

Zum einen durch die Aufhebung der Schuldenbremse, die vollkommen unnötig den Handlungsspielraum für die öffentliche Hand einengt, wie unser viel zu früh verstorbener Genosse Axel Troost mehrfach nachgewiesen hat. Aber auch für ihn war Kreditaufnahme keine frei verfügbare Gelddruckmaschine, sollen volkswirtschaftliche Relationen nicht durcheinandergeraten.

Damit kommen wir zum zweiten Weg: Er nennt sich altmodisch aber folgerichtig «Umverteilung von oben nach unten». Die hohen Einkommen und Vermögen müssen einen deutlich höheren Beitrag dafür tragen, die vollständige Dekarbonisierung unserer Gesellschaft bis spätestens zum Jahr 2045 zu gewährleisten.