Nachricht | Soziale Bewegungen / Organisierung - Partizipation / Bürgerrechte - Globalisierung - Brasilien / Paraguay - Sozialökologischer Umbau Die brasilianische Trasse der Deutschen Bahn

In Maranhão sollen ein privater Megahafen und eine private Eisenbahn entstehen, ohne dass die Bewohner*innen davon wissen – mit tatkräftiger Unterstützung der Deutschen Bahn

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Bahnstreckenabschnitt in Maranhão, Brasilien
Estrada de Ferro Carajás. Bahnstreckenabschnitt in Maranhão. Foto: Christian Russau

Die Landschaft der Insel Cajual im brasilianischen Bundesstaat Maranhão soll sich bald grundlegend verändern. Dann werden der Laubwald und die Babassu-Palmen durch bis zu 350 Meter lange Frachtschiffe ersetzt, die Tausende Tonnen Eisen, Kupfer, Soja, Mais und andere Rohstoffe nach China, Europa und in die Vereinigten Staaten transportieren. Bis 2027 sollen die kilometerlangen Strände und Mangroven einem Hafenkomplex mit Eisenbahnlinien, Umspannwerken und Lagerhallen weichen, in denen 1.800 Arbeiter*innen Tag und Nacht arbeiten werden. Die Umwandlung von fast 90 Prozent des Gebiets von Vila Nova Quilombola durch das private Hafenterminal Alcântara und die private Gütereisenbahnlinie EF-317 wollen die in Brasilien eingebürgerten Portugiesen Paulo Salvador, Nuno da Mota und Silva und Nuno Martins von der Firma Grão-Pará Maranhão (GPM) ins Werk setzen.

«Ein Vorhaben dieser Größenordnung löscht in der Praxis das Quilombola-Gebiet aus. Es macht den Schutz des Gebietes völlig unmöglich», erklärt Yuri Costa, der Pflichtverteidiger in Maranhão. Im vergangenen Jahr reichte sein Büro eine Zivilklage ein, die die Titulierung des Gebiets als Quilombola – wie die vor Jahrhunderten von entflohenen Schwarzen Sklav*innen gegründeten Gemeinden genannt werden – fordert. In der von der GPM in Auftrag gegebenen Machbarkeitsstudie wird als Haupttransportgut Eisenerz genannt, das vom brasilianischen Bergbaukonzern Vale S.A. in der Serra dos Carajás in Pará abgebaut wird. Heute wird das Erz über die Carajás-Eisenbahn zum Hafenterminal in São Luís transportiert; beide werden von Vale betrieben. Laut GPM ist das Projekt eine «Antwort auf die Notwendigkeit, die künftige Nachfrage nach Eisenerzexporten über einen Tiefwasserhafen zu befriedigen».

Die Insel Cajual gehört zum international bedeutenden Umweltschutzgebiet Reentrâncias Maranhenses. Laut einem Bericht des für die Erteilung von Genehmigungen zuständigen Umweltinstitut IBAMA aus dem Jahr 2018 handelt es sich um eine «gut erhaltene» und sensible Umwelt, in der überdies noch Fossilien von Dinosauriern zu finden sind, die vor rund 95 Millionen Jahren in der Region existierten. Hier leben außerdem 51 Familien von Fischfang, Ackerbau und Kleintierzucht – das entspricht der Lebensweise ihrer Quilombola-Vorfahren.

Das Verfahren zur Anerkennung des Gebiets als Quilombola durch das Nationale Institut für Kolonisierung und Agrarreform (INCRA) und das Sekretariat für die Koordinierung und Verwaltung von Bundesvermögen in Maranhão zieht sich indes seit 2007 hin. Es bietet den Familien die einzige Möglichkeit, eine endgültige Legalisierung ihres Anspruchs zu ermöglichen.

Im Jahr 2017 unterzeichnete die Vereinigung der Bewohner*innen der Schwarzen Landgemeinde Quilombola jedoch einen Vertrag, der das Nutzungsrecht von mehr als 14 Quadratkilometern des Gebietes – das entspricht 1.400 Fußballfeldern – für die Errichtung und den Betrieb des Hafens vorsieht. Der im Namen der gesamten Gemeinde geschlossene Vertrag gilt für einen unbestimmten Zeitraum. Das Milliarden-Projekt von GPM, für das bereits zwei Bundesgenehmigungen erteilt wurden, umfasst eine Partnerschaft mit der Deutschen Bahn und wird von der derzeitigen Bundesregierung und der Regierung von Maranhão nach Kräften unterstützt.

Eine zerstörerische Hafenanlage

Am 2. Januar dieses Jahres erklärte das Umweltinstitut IBAMA, GPM habe noch nicht alle Unterlagen vorgelegt, in denen die sozialen und ökologischen Auswirkungen des Bauvorhabens im Einzelnen dargelegt werden. Nun steht die Gemeinde kurz vor dem Baubeginn, ohne dass die erforderlichen rechtlichen Konsultationen vorliegen.

Das Quilombola-Territorium der Ilha do Cajual nimmt nach Angaben des Ländlichen Umweltregisters (CAR) eine Fläche von gut 16,3 Quadratkilometern ein. Vergleicht man die geografischen Koordinaten des künftigen Hafens mit jenen des Quilombola-Gebiets, zeigt sich, dass der Hafenterminal die Zerstörung von mehr als 87 Prozent des Gebiets, zu dem Häuser, Äcker, ein Naturschutzgebiet und eine Grundschule gehören, zur Folge haben wird.

Für Danilo Serejo, Politikwissenschaftler und Mitglied der Bewegung der von der Raumfahrtbasis Alcântara betroffenen Menschen, ist die Insel zu klein für ein Projekt dieser Größenordnung. «Auch wenn der Hafen zunächst nur eine minimale Arbeitsstruktur benötigt, ist bei einer solchen Entwicklung zu erwarten, dass mit steigender Nachfrage weitere Flächen benötigt werden. Die Gemeinde wird unweigerlich wegziehen müssen», sagt er.

Auf Nachfrage erklärte der Generaldirektor von Grão-Pará Maranhão, Paulo Salvador, dass das Projekt «nur 20 Prozent der Gesamtfläche der Ilha do Cajual» einnehmen und der Bau in zwei bis drei Jahren beginnen werde.

Wie aus dem Streckenverlauf hervorgeht, den das Unternehmen selbst den Regierungsbehörden vorgelegt hat, ist die zum Projekt GPM gehörende Eisenbahnstrecke 520 Kilometer lang und durchquert mindestens 22 Gemeinden in Maranhão und über ein Dutzend ländliche Siedlungen. Zudem verläuft sie an einigen Stellen nur gut zehn Kilometer entfernt von indigenem Land.

Die von GPM erstellten Karten über die Auswirkungen sind überdies ungenau. In einer von ihnen ist etwa der Quilombo Tanque de Valença in der Gemeinde Matinha nicht verzeichnet, obwohl er von der Bahnlinie in zwei Hälften geteilt wird. Wir besuchten die Gemeinde im August letzten Jahres, und keine*r der mehr als zehn Bewohner*innen, mit denen wir sprachen, wusste von dem Bauvorhaben. Für Danilo Serejo sind die sozio-ökologischen Auswirkungen der Eisenbahn noch schlimmer als jene des Hafens. «Die Bevölkerung wird dem Eisenerzstaub ausgesetzt sein, was zu einer Reihe von Atemwegs-, Haut- und Gesundheitsproblemen für die Menschen in den Gemeinden führen wird, die am Rande der Bahnstrecke liegen.» Hinzu kommen die Probleme der Lärmbelästigung, des freien Zugangs und des Verkehrs in dem Gebiet.

Als Gegenleistung für die Nutzung und Aneignung der Ressourcen bieten die portugiesischen Geschäftsleute 51 Häuser mit sanitärer Grundversorgung, Wasser, Energie, einer Grundschule, einem Fußballplatz, einem Raum für religiöse Handlungen und einem Gesundheitsposten. Angaben darüber, wo diese Strukturen installiert werden sollen, fehlen jedoch. Der Vertrag besagt auch, dass die Partnervereinigung sechs Prozent des durch den Hafen erwirtschafteten Gewinns erhalten soll. Es gibt aber keinerlei Informationen über die Bedingungen für die Gewinnbeteiligung.

Nur wenige Tage vor dem einjährigen Jubiläum der Unterzeichnung der Vereinbarung führten sechs IBAMA-Analyst*innen im März 2018 eine technische Inspektion auf der Insel durch und sprachen mit Bewohner*innen. In ihrem Bericht wiesen die Beamt*innen darauf hin, dass «bei der Befragung festgestellt wurde, dass die Anwohner*innen im Allgemeinen wenig Informationen über den Standort und die Auswirkungen des Projektes hatten».

Anfang Februar fragten wir Josilene Pereira Penha, die stellvertretende Vorsitzende der Quilombola-Vereinigung, ob sie wisse, dass fast das gesamte Land für die Erschließung in Anspruch genommen werde. «Diejenigen von uns, die auf diesem Land leben, sehen Dinge, hören Dinge, aber manchmal wissen wir nicht, wie wir das, was wir dort sehen, einordnen sollen», antwortete Penha, die eine der drei Personen aus der Vereinigung war, die 2017 den Vertrag unterzeichneten.

Grünes Licht von der Bundesbehörde – ohne Konsultation

Das zwischen GPM und der Quilombola-Vereinigung unterzeichnete Partnerschaftsabkommen gab den Ausschlag dafür, dass die Unternehmer die Möglichkeit besaßen, zwei Knebelverträge mit der Bundesregierung zu unterzeichnen und das Genehmigungsverfahren einzuleiten.

Das Dokument über Landbesitz, Nutzungs- und Verwertungsrecht ist eine Anforderung der Bundesregierung an das Unternehmen, das die Hafenanlagen errichten und betreiben will. Ohne dieses Dokument kann das Verfahren nicht vorangetrieben werden. Einem solchen Vertrag, der sich auf das Gebiet der Quilombola bezieht, müsste jedoch eine vorherige Konsultation der von dem Projekt betroffenen Gemeinden vorausgehen, wie dies in der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vorgesehen ist. Pflichtverteidiger Yuri Costa argumentiert, dass der direkt von GPM geschlossene Vertrag gegen die nationalen und internationalen Richtlinien zu diesem Thema verstößt, «was theoretisch die gesamte Projektgenehmigungskette null und nichtig macht».

Noch unter der Regierung von Präsident Michel Temer unterzeichnete die Nationale Agentur für Wassertransport (ANTAQ) im Dezember 2018 den Vertrag, der GPM ermächtigte, die Hafenanlage für eine private Nutzung zu bauen und zu betreiben; die vertragliche Befristung auf 25 Jahre kann ggf. verlängert werden. Die juristische Abteilung von ANTAQ äußerte jedoch Bedenken hinsichtlich der Gültigkeit des Vertrags. Sie bezweifelte auch, dass die «Vereinigung die Legitimität besitzt, den Vertrag im Namen der Quilombola-Gemeinschaft zu unterzeichnen».

Die Staatsanwaltschaft schlug der ANTAQ daraufhin vor, die Palmares-Stiftung zu konsultieren, ein Gremium auf Bundesebene, das sich mit der Politik der öffentlichen Hand im Zusammenhang mit den Quilombola-Gemeinschaften befasst. Die ANTAQ folgte der Empfehlung jedoch nicht, und nur einen Tag nach der Warnung unterzeichnete der damalige Generaldirektor der Behörde, Mário Povia, den Beschluss zur Genehmigung des Baus. Auf die Frage, warum die Palmares-Stiftung nicht konsultiert worden sei, antwortete der derzeitige ANTAQ-Direktor, Alber Furtado de Vasconcelos Neto, dies falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der Behörde.

Deutsche Bahn maßgeblich beteiligt

Auch ohne die erforderlichen Genehmigungen für den Baubeginn haben die letzten Bundesregierungen – von Temer über Bolsonaro bis Lula – wichtige bürokratische Schritte vollzogen, um den Bau zu ermöglichen. So erteilte das Infrastrukturministerium im Dezember 2021 dem Unternehmen die Erlaubnis, die 520 Kilometer lange Eisenbahnlinie EF-317, die den Hafen auf Cajual mit der Stadt Açailândia verbindet, zu errichten und 99 Jahre lang zu betreiben. Im März 2023 veröffentlichte die ANTAQ eine erste Änderung des Hafenvertrags, die den Zeitplan für die Ausführung des Projekts aktualisierte und die Gesamtinvestitionssumme auf 4,7 Milliarden Brasilianische Real (umgerechnet rund 850 Millionen Euro) erhöhte.

Der Leiter des Sekretariats für wirtschaftliche Entwicklung und strategische Programme von Maranhão, José Reinaldo Tavares, rühmt sich seiner Bemühungen um das Projekt. Er habe es bereits mit den Ministern für Verkehr, Renan Filho, für Integration und regionale Entwicklung, Waldez Góes, sowie mit dem Vizepräsidenten und Minister für Industrie, Handel und Dienstleistungen, Geraldo Alckmin, besprochen. «Wir haben uns auch mit einem der größten staatlichen Transportunternehmen der Welt, der Deutschen Bahn, getroffen und mehrere Gespräche geführt. Das für das Projekt verantwortliche Unternehmen arbeitet hart daran, dass die erste Phase des Projekts im Jahr 2024 beginnt», fügte er hinzu.

Die Deutsche Bahn werde den Bahnbetrieb leiten, erklärt Paulo Salvador, Geschäftsführer von Grão-Pará Maranhão. Das Management soll nach einem offenen System arbeiten, das es der/dem Betreiber*in erlaubt, die Bahntrasse zu nutzen. Das Verkehrsministerium teilte uns mit, dass die Genehmigung für den Bahnbetrieb von der vorherigen Regierung unterzeichnet worden sei und das Ministerium daher «nicht mehr über die Verfahren» entscheide. Das Ministerium für Häfen und Flughäfen reagierte nicht auf unsere Bitte um ein Interview. Die Deutsche Bahn erklärte, sie wolle sich nicht zu dem Projekt äußern.

Veranstaltungshinweis:

Die Deutsche Bahn in Amazonien? Bahnprojekt bedroht lokale Gemeinschaften

Am 30. Mai diskutieren wir in Berlin mit zwei Vertreter*innen der Menschenrechtsorganisation Justiça nos Trilhos, Flávia da Silva Nascimento und Mikaell de Souza Carvalho, aus Maranhão, Brasilien.

Dieser Bericht wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Rettet den Regenwald e.V. unterstützt. Übersetzt von Salve a Selva