Nachricht | Antisemitismus (Bibliographie) - Nahost und Antisemitismus in der BRD - Antisemitismus und Nahost global Marwecki: Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson, Göttingen 2024

Zur Geschichte der deutschen Israel-Politik und der genuin deutschen Interessen darin

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Autor

Peter Ullrich,

Marweckis Buch kommt zur rechten Zeit: während der Nahostkonflikt eskaliert und mit ihm die Debatte über den Konflikt und damit (womöglich) verbundenem Antisemitismus, klärt das Buch über wichtige Hintergründe auf, namentlich die Frage, wie sich der deutsche Blick auf Israel historisch entwickelt hat. Seine Kernthese lautet: «es geht bei der deutschen Israeldiskussion eigentlich nur um Deutschland. Was bei dieser Nabelschau außen vor bleibt, ist die tatsächliche Rolle, die Deutschland im arabisch-israelischen Konflikt seit der Nachkriegszeit spielt» (13).

Herauszuarbeiten, wie sehr alle jeweiligen Phasen der deutschen Israelpolitik deutschen Interessen dienten, ist das zentrale Verdienst der Arbeit. Denn es relativiert die gegenwärtigen Selbstbeschreibungen der Israelpolitik, die allesamt einen moralischen Klang haben, der aber den instrumentellen Unterbau nur mühsam kaschiert. Die Darstellung im folgt einer geschichtlichen Phasierung.

Teil eins und zwei des Buches – die beiden Hauptkapitel der Untersuchung - widmen sich der Phase der «Rehabilitation». Teil eins behandelt das Luxemburger Abkommen zur sogenannten «Wiedergutmachung» und stellt dar, dass dieses für Israel überlebenswichtig war. Für Deutschland hingegen war es ein ökonomisches Konjunkturprogramm mit dessen Hilfe Distanz zur problematischen Vergangenheit geschaffen werden sollte. Teil zwei widmet sich der Zeit von Mitte der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre. Deutschland war damals, so Marwecki, Israels wichtigste Stütze, insbesondere durch günstige Kredite, Waffenlieferungen und enge Militärbeziehungen, und das schon vor dem Austausch von Botschaftern 1965. Das deutsche Motiv war auch hier eindeutig: «ein Beitrag zur Überwindung der Vergangenheit» (so der damalige Verteidigungsminister Strauß), oder in Marweckis Worten: «Symbolische Absolution für tatkräftige Unterstützung» (72). Diese gegenseitige Abhängigkeit hatte sogar Auswirkungen auf den Eichmann-Prozess und die dort entwickelte These einer (strikten) Trennung von Staatselite und Volk, die die Deutschen entlastete. Eindrücklich sind auch die Schilderungen zur Zeit des Sechs-Tage-Krieg, in denen sich das deutsche Wiedergutwerdungsbedürfnis vollends Bahn brach und sich in den deutschen Medien als Identifikation der Israelis mit der kämpfenden Wehrmacht ausdrückte. Während in vielen präsentierten Quellen und Beispielzitaten das Rehabilitationsbedürfnis deutlich artikuliert wird, zeigt sich zugleich, dass ein Großteil der deutschen Unterstützungsmaßnahmen nicht an die große Glocke gehängt wird. Hier wäre zu fragen, wie sich das zur Grundthese der Funktionalität der Israelpolitik für Vergangenheits-«Bewältigung» verhält, die ja eigentlich gerade auf öffentliche Bekanntheit der «Wiedergutmachung» aus sein sollte (es sei denn, Absolution wurde tatsächlich nur von Israel als Vertretung der Nachfolger der Opfer erhofft).

Im dritten Teil des Buches (Phase der Normalisierung und des Nahostkonflikts) wird deutlich, dass die deutsche Politik eigentlich der Ansicht war, dass man nun doch schon genug geleistet habe und Absolution wirklich anstünde. Zugleich zeigt Marwecki, wie sehr weiter bestehende antisemitische Vorstellungen, u.a. vom «Weltjudentum» maßgeblich auf die deutsche Außenpolitik wirkten und neue Motive (gute Beziehungen zu den arabischen Ländern zur Energiesicherung) in den Vordergrund treten.

Erst im vierten Teil nähern wir uns der gegenwärtigen Phase, die Marwecki mit «Staatsräson» betitelt. Auch in ihrem Zentrum steht die Hoffnung auf Erlösung und Entlastung und zwar Erlösung durch Erinnerung. Dabei handelt es sich um eine Erinnerung, in der der Holocaust zum Identitätsstifter, zur «Ressource für die Zukunft der Nation» (150) wird. Seinen Ausdruck findet das im Postulat, dass Israels Sicherheit Teil der deutschen Staatsräson sei. Diese identitätspolitische Wende bedeutet allerdings kein Ende der sonstigen, handfesten, insbesondere militärischen Dimensionen der Beziehung und es bedeutet auch nicht (anders als oft gemutmaßt), dass Deutschland keine eigenen Interessen verfolgen würde, die denen Israels auch zuwiderlaufen können (insbesondere beim Thema Iran).

Das Buch ist sehr auf jeden Fall zur Lektüre empfohlen, dennoch müssen einige Monita benannt werden. Es handelt sich bei der Ausgabe im Wallstein-Verlag um die radikal gekürzte und auf eine breitere Publikumsrezeption hin überarbeitete Fassung von Marweckis Dissertationsschrift [i]. Entsprechend ist die deutsche Ausgabe äußerst sparsam mit Quellen und Sekundärliteratur. Dies trägt mit dazu bei, dass man oft nur schwer einschätzen kann, was bekannter Forschungsstand (man denke etwa an die Arbeiten Kinan Jaegers zum Beziehungsdreieck Deutschland, Israel und Palästina) und was genuine Neuinterpretation ist oder welche bisher unbekannten Quellen Marwecki aufgespürt hat, um neue Aspekte zu beleuchten. Auffällig ist auch eine gewisse Redundanz der vorgetragenen Hauptthesen, die womöglich didaktisch gemeint ist, und ein häufig etwas sprunghafter, ziemlich leichtfüßiger Stil, der – sicherlich von angelsächsischer wissenschaftlicher Schreibkultur beeinflusst – auf Kosten von Genauigkeit und Stringenz geht. Doch das sind Kritiken auf hohem Niveau.

Marwecki, Daniel: Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson; Wallstein Verlag, Göttingen 2024, 212 Seiten, 22 Euro.


[i] Daniel Marwecki, Germany and Israel. Whitewashing and Statebuilding (London: Hurst Publishers, 2020).