Nachricht | Geschlechterverhältnisse - Kunst / Performance - USA / Kanada Das Taylor-Swift-Phänomen

Erfolgsgeheimnis ist nicht allein die Musik, sondern ihr kultureller Feminismus, meint Julia Schramm

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Julia Schramm,

Taylor Swift Foto: picture alliance/empics/Liam McBurney

An Taylor Swift, dem größten Popstar der Gegenwart, scheiden sich die Geister. Für ihre Fans, die sogenannten Swifties, repräsentiert sie eine neue, ehrliche Art der weiblichen Selbstbestimmung. Für ihre Kritiker*innen hingegen ist sie mittelmäßig, belanglos und maßlos überschätzt. Wer so viel Emotionen auslöst, hat offensichtlich auch viele Nerven getroffen.

Julia Schramm, Politikwissenschaftlerin und Autorin, hat die letzten Jahre für die Linksfraktion im Bundestag gearbeitet und macht seit deren Liquidation ein Sabbatical.

Swift trat in den letzten zwei Wochen, erstmals seit 2015, wieder in Deutschland auf, gab – natürlich überall ausverkaufte – Konzerte in Gelsenkirchen, Hamburg und München. Diese waren Teil einer Europa-Tournee, die wiederum «nur» ein Abstecher im Rahmen ihrer bereits im letzten Herbst begonnenen Welttournee ist. Von Japan bis Irland, von Brasilien bis Singapur: Überall tanzen die Girls and Gays and Theys (und auch ein paar Hetero-Cis-Männer) zu Taylors Musik.

Swift, die das Time Magazine zu seiner «Person des Jahres 2023» kürte, ist ein Star der Superlative. Jüngst hat sie ihren vierten Grammy für das Album des Jahres gewonnen und damit ebenso einen Rekord aufgestellt, wie mit den Verkaufszahlen ihres elften Studioalbums. Und neben den musikalischen Erfolgen lösen auch ihre politischen Äußerungen immer wieder regelrechte Erdbeben aus. Woher also kommt Swifts Erfolg, und warum ist sie so kontrovers?

Haters Gonna Hate

Es ist keine Überraschung, dass große Stars viel Kritik erfahren, dass ein Punkt der Übersättigung einsetzt, der Unmut provoziert. Und so werfen Kritiker*innen Swift vor, ihre Musik klinge immer gleich und sei allenfalls mittelmäßig. Sie singe nur über ihre Ex-Freunde und sei bloß deshalb berühmt, weil sie weiß und hübsch sei. Ihr Image als «Sauberfrau» sei Fake, mit ihren Flugreisen zerstöre sie die Umwelt.

Hinzu kam zuletzt aus der politisch rechten Ecke noch der Vorwurf, dass sie den American Football ruiniere. Hintergrund ist hier, dass sie mit Travis Kelce liiert ist, dem Star der in den letzten Jahren dominierenden Football-Mannschaft Kansas City Chiefs. Und als Swift im Stadion auftauchte, richteten sich viele Kameras auf sie, statt aufs Spielfeld.

Doch lassen wir die eher politisch motivierten Einwände zunächst beiseite und gehen der Frage nach, warum das «Mädchen von nebenan» mit seinen seichten Männerproblemen die Gemüter so erhitzt.

An einem Punkt haben die Kritiker*innen durchaus recht: Denn in der Tat handeln viele ihrer Texte von Verflossenen. Nur: Das gilt nicht nur für Taylor Swift. Dass Musiker*innen über die Liebe schreiben, ist im Grunde eine Banalität – es gibt ganze Dokumentationen über die Inspirationen hinter den Songs großer Rock- und Popstars. Der Unterschied? Die Musen dieser Songs sind Frauen. Frauen, die viel zu oft ein tragisches Ende nahmen, die vergessen wurden, deren Biografien in mühevoller Kleinarbeit rekonstruiert werden mussten. Frauen wie Edie Sedgwick, die zahlreiche Bob-Dylan-Songs inspirierte, oder Pattie Boyd, die sowohl George Harrison als auch Eric Clapton zu einigen ihrer besten Songs anregte.

Shake It Off

Taylor Swift hingegen ist keine Muse, im Gegenteil: Sie dreht den Spieß um, indem sie Männer zu Musen macht. Für ihre Songs lässt sie sich von ihren Beziehungen und Verflossenen inspirieren – und diese Songs erzeugen bei Millionen Menschen, und ganz besonders bei Frauen, große Resonanz. Denn Swift schreibt radikal ehrlich über die Liebe, einschließlich der Enttäuschungen, die sie erlebt hat. Sie wirft ihre Emotionen den Fans gewissermaßen vor die Füße und ermöglicht ihnen so, sich diese anzueignen, sich mit ihnen zu identifizieren – und auf die eigene Wut auf Ex-Freunde zu übertragen. Das kann durchaus befreiend sein.

Swift vermittelt ihren Fans eine besondere Ausdrucksform dafür, was es heißt, Liebeskummer und Verrat zu erleben, verlassen, betrogen und gedemütigt zu werden. Sie gießt die weibliche Erfahrung im 21. Jahrhundert in gut gemachte Popmusik. Und das macht die Konzerte für die «Swifties» zu ungeheuer emotionalen Erlebnissen.

Das ertragen nicht alle, und ganz besonders nicht alle Männer.

Auch wenn Swift in den Songs ihre Ex-Freunde nie namentlich nennt, können diese von ihren Fans doch identifiziert werden. In den fast zwanzig Jahren, die Swift mittlerweile Musik macht, hat sie ihre Fans dazu animiert, genau hinzuschauen.

Das Ganze fing damit an, dass in ihren CD-Booklets manche Buchstaben großgeschrieben wurden und diese zusammengesetzt neue Wörter und Hinweise ergaben. Diese Art der Schnitzeljagd hat sich sukzessive auf Social-Media-Postings, Kleidung, Fingernägel, Songauswahl und schlicht alles, was Swift veröffentlicht, ausgedehnt. Dazu kommt ihr Spiel mit der Lieblingszahl 13, ihrem Geburtstag. Taylor Swift schafft es so, ihren Fans immer neue Rätsel zu ihrer Musik aufzugeben.

Swifts Popularität liegt also keineswegs allein in ihrer Musik. Ihre Texte sind nicht nur sprachlich, sondern vor allem emotional anspruchsvoll. Sie erfordern eine Bereitschaft, die eigenen Emotionen ernst zu nehmen, sich emotional verletzlich zu machen – und das wiederum ist etwas, was in unserer Gesellschaft immer noch, und gerade von Männern, belächelt wird. In ihren Liedern ergeben sich aus einer Synthese von Form und Inhalt immer wieder Geschichten und Gefühle, die aus der präzisen Darstellung menschlicher Erfahrung Poesie schaffen.

Während viele Lieder von Chorus oder Versen leben, leben Taylor Swift Songs von den Bridges, die in den Sozialen Medien regelmäßig viral gehen. Bridges sind musikalische Passagen, die einen Teil des Songs mit einem anderen Teil verbinden. Sie werden meist eingesetzt, um den zweiten Refrain mit der dritten Strophe zu verbinden. In den Bridges verbinden sich Swifts Fähigkeiten, auf musikalische und lyrische Weise eine pointierte Geschichte zu erzählen. Die Bridges sind die Herzstücke ihrer Songs. Swift ist kaum die beste Sängerin oder Gitarristin der Musikgeschichte, aber als Songwriterin verfügt sie über herausragende Qualitäten. Das haben ihr längst auch Musik-Legenden wie Paul McCartney, Dolly Parton, Stevie Nicks oder Billy Joel bescheinigt.

Politics Matter

Taylor Swift, die aus der gehobenen Mittelklasse stammt und deren Eltern ihre Karriere von Anfang an unterstützt haben, ist eine Karrierefrau, die genau weiß, wie sie sich und ihre Musik vermarktet und ihre Fans an sich bindet.

Sie hat in ihrem Leben viel Hass und Ablehnung erlebt – aber es vermocht, jeden Rückschlag in einen neuen Karriereschritt zu verwandeln. Die Leichtigkeit, die sie dabei ausstrahlt, kann neidisch machen. Die Aufrichtigkeit und Bescheidenheit, die sie sich nach außen hin bewahrt hat, ebenfalls.

Aber bei aller Leichtigkeit nimmt Swift bestimmte Dinge sehr ernst. Was jedes Managements in Angst und Schrecken versetzt, nämlich explizite politische Aussagen, hat sie bisweilen keineswegs gescheut. Besondere Aufmerksamkeit erzielte ihr Engagement gegen Donald Trump im US-Präsidentschaftswahlkampf 2020. Als sie kürzlich zur Wählerregistrierung aufrief, reagierten Fox News und die Republikaner erneut mit Hasstiraden und Verschwörungstheorien.

Auch darüber hinaus nimmt Swift kein Blatt vor den Mund. In einem Land, wo die Konzerne und Superreichen für ihre militante Gewerkschaftsfeindlichkeit berüchtigt sind, ist sie Mitglied in der Gewerkschaft. Ihre Band, Crew und Tänzer*innen sind versichert – was in den USA, wo die Jagd nach Extraprofiten immer wieder auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird, alles andere als üblich ist. Sie hat am Ende der «Eras»-Tour ihrer Crew Boni im Wert von 55 Millionen Dollar ausgezahlt, spendet immer wieder für soziale Einrichtungen und engagiert sich für die LGBTQ-Community. So weit, so gut.

Das alles macht die Milliardärin nicht zu einer Linken.

Aber dass Swift das alles offenbar aus Überzeugung macht, verleiht ihrem Engagement eine Authentizität, die im heutigen Kulturbetrieb oft abhandengekommen ist. Letztendlich ist diese Authentizität Teil ihres Erfolgsrezeptes – wie auch der Umstand ihrer Nahbarkeit. Sie wirkt eben nicht abgehoben, nimmt ihre Berühmtheit scheinbar nicht allzu wichtig, bleibt immer freundlich und lässt sich mit jedem Fan fotografieren.

Der Schlüssel zu ihrem Erfolg aber liegt wohl darin, dass sie den auf junge Frauen gemünzten Satz «Das ziemt sich nicht!» hinter sich gelassen hat. Mit diesem kulturellen Feminismus ist sie zum bislang größten Popstar des 21. Jahrhunderts aufgestiegen. Damit ist sie keine Heldin, aber doch ein gutes Vorbild für ein Leben, dass nicht richtig sein kann im Falschen.