Publikation Rosa-Luxemburg-Stiftung Jahresbericht 2023

der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit dem Schwerpunkt «Friedenstüchtig werden»

Information

Reihe

Jahresberichte

Herausgeber*innen

Rosa-Luxemburg-Stiftung,

Erschienen

Juni 2024

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Die Sehnsucht nach Frieden treibt viele von uns um. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist der Krieg nach Europa zurückgekehrt. Der Nahostkonflikt hat nach dem unmenschlichen Terrorangriff der Hamas auf Israel zu einem blutigen Feldzug der israelischen Armee in Gaza geführt, dem bereits Zehntausende Zivilisten zum Opfer gefallen sind. 21 Kriege und 174 gewaltsame Krisen zählte das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung 2023. Nicht alle bekommen die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Die Bundesregierung hat eine Wende hin zu einer militärischen Ausrichtung der deutschen Außenpolitik vollzogen. Die Bundeswehr soll «kriegstüchtig» werden.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung stellt sich dieser Logik der Gewalt entgegen. Neben der Solidarität mit den vom Krieg betroffenen Menschen haben wir 2023 unsere friedenspolitische Arbeit fortgesetzt. Die Linke braucht neue Antworten auf die Frage, wie ein stabiler Frieden erreicht werden kann. Die Bedingungen dafür sind nicht günstig. Der russische Angriffskrieg hat gezeigt, wie fragil die Friedensordnung in Europa ist. Unsere Arbeit vor Ort ist schwierig. Durch die von russischen Behörden angeordnete Schließung des Moskauer Büros ist der Kontakt zu Vertreter*innen des zivilgesellschaftlichen, linken und gewerkschaftlichen Spektrums in Russland komplizierter geworden. Dennoch ist es uns gelungen, zahlreiche Publikationen zur Situation in der Ukraine und in Russland zu veröffentlichen. Mit Blick auf Palästina und Israel haben wir in den letzten Jahren mit aller Kraft versucht, in einem Kontext von Gewalt und Gegengewalt mit kritischer und solidarischer Arbeit einen kleinen Unterschied zu machen. Der zerstörerische Krieg mit all seinen katastrophalen und unerträglichen Folgen für die Menschen in Gaza dient niemandem in der Region. Unsere Stiftung ist seit vielen Jahren im Nahen Osten aktiv. Unsere Büros in Ramallah und Tel Aviv unterstützen zivilgesellschaftliche und politische Akteure, die sich für eine einvernehmliche und friedliche Konfliktlösung einsetzen, die beiden Völkern das Recht auf Freiheit, Gerechtigkeit und ein Leben in Würde ermöglicht. Im Gegensatz zum Politikansatz der Bundesregierung sehen wir die Notwendigkeit, Deutschland «friedenstüchtig» zu machen. Unter dieser Überschrift gibt der Jahresbericht einen kleinen Einblick in die von uns entwickelten und diskutierten Ansätze der zivilen Konfliktprävention und -bearbeitung. Im vergangenen Jahr sind Analysen, Studien und andere Materialien zum Thema entstanden. Diskussionsveranstaltungen fanden live und digital statt. Dabei haben wir mit nationalen und internationalen friedens- und entwicklungspolitischen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammengearbeitet. Dass wir mit unserer Arbeit den Nerv vieler Menschen treffen, zeigt die Resonanz: Unser Dossier «Gegen die Logik der Gewalt» war das meistbesuchte Online-Dossier 2023. Unser neuer Podcast «dis:arm – Friedensgespräche der Rosa-Luxemburg-Stiftung» hatte innerhalb weniger Monate bereits knapp 3.000 Abonnent*innen und rund 30.000 Downloads.

Eine Auswirkung von Kriegen ist die Verschärfung zahlreicher Krisen. Die Ampelregierung ist den damit verbundenen Herausforderungen nicht gewachsen. Dringend notwendige Zukunftsinvestitionen bleiben aus. Die soziale Spaltung der Gesellschaft verschärft sich. Steigende Lebenshaltungskosten treffen vor allem diejenigen, die ohnehin schon wenig Geld haben. Auch Klimaschutzprojekte bleiben von der Sparpolitik der Regierung nicht verschont. Grund genug für uns, im Berichtszeitraum Analyse und politische Bildung zu den Schwerpunkten «Soziale Infrastruktur, soziale Rechte und Gerechtigkeit » und «Sozial-ökologische Transformation» auszubauen. So wurden zum Thema «Wohnen und Mieten» in Kooperation mit dem Netzwerk Steuergerechtigkeit neue Forschungsergebnisse zu Eigentümergruppen und ihren Geschäftsmodellen in sechs deutschen Städten – Hamburg, München, Frankfurt a. M., Düsseldorf, Leipzig, Erfurt – veröffentlicht. Erstmals wurden die Eigentumsverhältnisse und Unternehmenspraktiken in der stationären Altenpflege im Bundesland Bremen untersucht und die Ergebnisse in einer Studie zusammengefasst. Die Debatte um Vergesellschaftung und Umverteilung hat wieder an Fahrt gewonnen – unterstützt durch Informations- und Bildungsmaterialien unserer Stiftung. Wie sehr die Stiftung Ansprechpartner und Plattform für Gewerkschafter*innen ist, zeigte die dreitägige Gewerkschaftskonferenz im Mai in Bochum mit mehr als 1.500 Teilnehmer*innen, darunter viele junge Gewerkschafter*innen. Die großen gesellschaftspolitischen Fragen waren ebenso Thema wie die aktuellen Tarifauseinandersetzungen und Streiks. Neue Netzwerke wurden geknüpft. Um soziale Gerechtigkeit geht es auch beim Thema ökologischer Umbau. Hier ist die Stiftung ein Debattenraum für vielfältige linke Akteure. Nachdem sich 2022 unsere Studien vor allem mit Mobilität und sozial gerechtem Industrieumbau beschäftigt haben, ging es 2023 um klimagerechtes Wohnen und eine kommunale Wärmewende. Selbstverständlich haben wir auch die UN-Klimakonferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten kritisch begleitet.

Als ehemaliger Vorsitzender der Partei der Europäischen Linken beobachte ich mit Sorge die schwierige Situation der Linken in Deutschland und in Europa. In vielen Staaten ist ein deutlicher Rechtsruck zu verzeichnen, dem die linkssozialistischen Kräfte in Europa nur gemeinsam etwas entgegensetzen können. Der Kampf gegen rechts und für eine «Gesellschaft der Vielen» ist ein zentrales Thema für die Stiftung. Mit der Konferenz «Europa den Räten!» haben wir den Versuch unternommen, antifaschistische Traditionen und demokratische Zukunftspotenziale Europas zusammenzudenken. In der Berliner Volksbühne diskutierten am 8. November internationale Gäste sowie Aktivist*innen aus sozialen Bewegungen und Parteien den Aufstieg der Neuen Rechten und ihrer internationalen Netzwerke, Möglichkeiten des antifaschistischen Widerstands, aber auch des solidarischen Wirtschaftens und der Demokratisierung der Europäischen Union.

Historische Jahrestage spielen in der geschichtspolitischen Arbeit der Stiftung eine wichtige Rolle. So war der 50. Jahrestag des faschistischen Militärputsches in Chile Anlass für mehrere Veranstaltungen in Berlin und in den Bundesländern. Unter dem Titel «Tief ins Gedächtnis gegraben» fand am 27. September eine gemeinsame Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung statt, auf der Michelle Bachelet über ihr bewegtes politisches Leben, den Putsch vor 50 Jahren und ihre Exilerfahrungen in der DDR berichtete.

Liebe Leserinnen und Leser,

die Partei Die Linke befindet sich in einer schwierigen Situation. Die Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht und die daraus folgende Parteigründung bedeuten einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung der Partei und eine Schwächung der gesellschaftlichen Linken. Gerade in einer Zeit multipler Krisen ist die Linke nicht in der Lage, den Protest großer Teile der Bevölkerung aufzugreifen, zu adressieren und neue konzeptionelle Ansätze zu entwickeln. Der Verlust des Fraktionsstatus im Bundestag, schlechte Wahlergebnisse, mangelnder Rückhalt in der Bevölkerung – all dies hat auch Auswirkungen auf die Stiftungsarbeit. Für uns verschlechtern sich die finanziellen Rahmenbedingungen. Die Stiftung wird kleiner werden. Doch wir wollen weiterhin als linke Stiftung politisch wirksam sein. Als Vorstand werden wir alles für den Erhalt der Rosa-Luxemburg-Stiftung als einer wichtigen Plattform für gesellschaftlichen Dialog und linke politische Bildung tun. Denn heute ist es notwendiger denn je, um politische Alternativen zu ringen, die den Aufbau einer demokratischen, sozial gerechten und friedlichen Gesellschaft zum Ziel haben.

Heinz Bierbaum, Vorsitzender des Vorstands

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