Nachricht | Krieg / Frieden - Westeuropa - Ostafrika - Europa2024 Die EU und der vergessene Krieg im Sudan

Der Weg zum Frieden im Sudan kann nur über die Einbeziehung der Zivilgesellschaft gelingen, aber die Sahel-Politik der EU setzt auf Dialog mit den Eliten und Migrationskontrolle.

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Geflüchtete aus Darfur in einem Verteilungszentrum für Nahrungsmittelhilfe in der Stadt Adré im Tschad, März 2024.  Foto: IMAGO / MAXPPP

Seit mehr als einem Jahr tobt ein weitgehend von der Öffentlichkeit ignorierter Krieg im Sudan. Hauptakteure sind die sudanesische Armee und die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF). Die Rolle der EU ist widersprüchlich, hat sie in der Vergangenheit die militärischen Akteure nicht nur legitimiert, sondern teilweise mit ausgerüstet. Aktuell kann sie sich nicht als Mediator positionieren, sondern setzt sogar weiter auf Abschottung. Andreas Bohne sprach mit Saskia Jaschek (Journalistin und Forscherin) über die politischen Verhältnisse im Sudan und die ambivalente Rolle der EU.

Beginnen wir mit einem Blick zurück: Am 11. April 2019 endete die Herrschaft des sudanesischen Langzeitdiktators Omar al-Bashir. Wie stand die EU zu Al-Bashir und seinem Regime während seiner fast 30 Jahre dauernden Herrschaft?

Saskia Jaschek ist Journalistin und Doktorandin an der Bayreuth International Graduate School of African Studies (BIGSAS), wo sie sich mit der revolutionären Bewegung im Sudan und dem Militärputsch beschäftigt.

Auf unserer englischsprachigen Website wird im Schwerpunkt «War and Revolution in Sudan» die aktuelle Situation im Sudan analysiert.

Nicht nur die sudanesische Regierung unter Al-Bashir hatte sich durch seine Verbindung zu islamistischen Terrorgruppen politisch und wirtschaftlich isoliert, sondern er hat gleich das ganze Land isoliert. 1990, also ein Jahr nach dem Putsch, hat die EU ihre Entwicklungshilfe ausgesetzt, und erst Ende der 1990er Jahre wurde der politische Dialog mit der Regierung wiederaufgenommen. Im Vergleich zu anderen westlichen Mächten wie den USA, war die Politik der EU gegenüber der sudanesischen Regierung eher von Zurückhaltung geprägt. So tat sich die EU Anfang der 2000er Jahre schwer, die Massenmorde in Darfur als «Genozid» zu bezeichnen, hatte letztlich aber doch Sanktionen verhängt, sich auf humanitäre Hilfe fokussiert und versucht, über politische Vermittlung zur Konfliktlösung beizutragen.

Angenähert hatten sich die Beziehungen des Sudan zur EU durch die Vermittlung in einem anderen inländischen Konflikt, nämlich der Unterzeichnung des «Comprehensive Peace Agreements», das zwischen der sudanesischen Volksbefreiungsbewegung SPLM, einer Widerstandsgruppe aus dem heutigen Südsudan und der sudanesischen Regierung unterzeichnet wurde. Intensiviert wurden die Beziehungen erst in den 2010er Jahren, als die EU merkte, dass der Sudan eigentlich ein wichtiger Faktor für die angestrebte Externalisierung der EU-Außengrenzen ist.

Du hast die Außengrenzen, die Externalisierung angesprochen, ein Begriff der erst in den letzten Jahren in der Diskussion aufgegriffen wurde. Aber bereits in die Zeit der Al-Bashir Diktatur fiel der sogenannte «Khartum-Prozess». Kannst Du diesen Prozess beschreiben, seine Ziele definieren und die Rolle der EU hierbei umreißen?

Der Khartum-Prozess, oder eigentlich die «EU-Horn Of Africa Migration Initiative», wurde 2014 infolge der zunehmenden Migration aus der Region des Horns von Afrika ins Leben gerufen. Offiziell zielt diese Initiative auf die Bekämpfung des Menschenhandels und die Eindämmung der sogenannten «illegalen Migration». Dafür hatte die EU damals 4,5 Milliarden Euro für Maßnahmen zur Migrationskontrolle für verschiedene afrikanische Staaten bereitgestellt. Hierbei schreckte sie auch vor Kooperationen mit diktatorischen Staaten wie etwa im Sudan oder Eritrea nicht zurück. Sudan war und ist ein sehr wichtiger Drehpunkt in Sachen Migration: Zum einen ist es aufgrund seiner eigenen Konflikte selbst Herkunftsland von Millionen von Geflüchteten und Binnenvertriebenen, zum anderen aber auch ein wichtiger Transitort für Migrationsrouten von Menschen aus ganz Afrika - insbesondere aber vom Horn von Afrika -, die dann ihren Weg nach Europa machen wollen.

Mit dieser Initiative erfolgte nicht nur eine Externalisierung der EU-Außengrenze, sondern die Konditionierung von Entwicklungszahlungen mittels Migrationskontrolle. Die Gelder wurden nicht dazu verwendet, sichere Fluchtrouten zu schaffen, sondern die meisten Projekte waren darauf ausgerichtet, Migration so frühzeitig zu stoppen, dass die Menschen gar nicht erst das Mittelmeer erreichen konnten.

Was speziell für Sudan sehr kritikwürdig ist, ist die Unterstützung der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF), die mit dieser Initiative für den damaligen Grenzschutz eingesetzt wurden. Die EU hat das gebilligt, wohlwissend, dass die RSF aus der bewaffneten Dschandschawid-Miliz hervorgegangen sind, die Anfang der 2000er Jahre den Genozid in Darfur verübt hatten und für sexualisierte Gewalt, Raub oder das Verschwinden von Menschen verantwortlich waren. Diese Kooperation betraf auch andere fragwürdige Institutionen, zum Beispiel den sudanesischen Geheimdienst, der von dieser Initiative profitierte. Dieser ist eigentlich schon immer für sein gewaltvolles Vorgehen gegen oppositionelle Gruppen und auch für seine willkürlichen Verhaftungen bekannt gewesen.

Welche Rolle und Position nahm die EU nach der Revolution 2021 ein - sie war ja nicht Teil der «Troika» wie Norwegen, die USA und Großbritannien?

Nach der Revolution war die EU tatsächlich schnell bereit, die Übergangsregierung zu unterstützen und stellte ein großes Finanzpaket bereit, mit dem Wirtschaftsreformen vorangetrieben, Arbeitsplätze geschaffen, aber auch Frauen wirtschaftlich gestärkt werden sollten. Es gab außerdem zahlreiche Gelder für kulturelle Organisationen und zivilgesellschaftliche Initiativen, die zur Demokratieförderung beitragen sollten. Es gab damals recht verheerende Subventionskürzungen und Wirtschaftsreformen, die von der Übergangsregierung aufgrund der strengen Auflagen von IMF und Weltbank umgesetzt werden mussten. Um die sozial verheerende Auswirkung dieser Wirtschaftsreformen etwas abzufedern, wurde etwa ein direkter Bargeld-Transfer eingerichtet. Auch während der COVID-19 Pandemie, die das Land zusätzlich sehr stark geschwächt hat, gab es große Unterstützungspakete zur Bekämpfung der Pandemie.

Du hast jetzt ein leicht positives Bild gezeichnet. Aus meiner Sicht liegt ein Grund des Scheiterns der Transition und Transformation darin, dass sowohl sudanesische als auch externe Akteur*innen wie die EU an dem Primat des Militärischen festgehalten haben. Teilst Du diese Einschätzung?

Ja, ein Stück weit schon. Es gab schon während des Abkommens 2019 zwischen Militär und Zivilisten einige – vor allem sudanesische – Stimmen, die dieser Machtteilung ziemlich kritisch gegenüberstanden. Es war schon damals fraglich, was eigentlich der Anreiz für das Militär sein sollte, freiwillig seine politische Macht abzugeben und damit vermutlich auch den eigenen wirtschaftlichen Einfluss einzudämmen. Es ist ja nicht nur militärisch sehr mächtig, sondern kontrolliert auch weite Teile der sudanesischen Wirtschaft. Eine freiwillige Machtaufgabe war schon damals ein eher unwahrscheinliches Szenario.

Das Problem dieser Deals, die ja in der Geschichte des Sudans seit der Unabhängigkeit ein wiederkehrendes Motiv sind, ist, dass sie auch immer mit einer Straflosigkeit für Verbrecher von Gräueltaten einhergehen. Solange diese Personen oder Systemteile ungestraft bleiben und dann auch noch international politisch legitimiert werden, solange ist ein wirklicher Systemwandel natürlich nicht möglich. Auf der anderen Seite stellt sich auch immer die Frage, wie ein solch mächtiger Apparat wie das sudanesische Militär friedlich zu einer Machtübergabe gebracht werden soll, ohne dass es zu einer gewaltvollen Auseinandersetzung kommt.

Das Abkommen vom Dezember 2022 jedoch war höchst fragwürdig. Denn im Prinzip wurde das Abkommen von 2019 mehr oder weniger wiederholt. Es sollte wieder eine Machtteilung, eine Umstrukturierung und Rehabilitierung des Militärs geben, welches dann im Gegenzug seine politische Macht abgeben sollte. Zusätzlich sollte die RSF aufgelöst und in das Militär eingegliedert werden. Es gab aber keinen ausformulierten Plan oder einen Weg, wie das alles passieren sollte. Das wurde von weiten Teilen der sudanesischen Zivilbevölkerung stark kritisiert, zum Beispiel von den Widerstandskomitees, die sehr stark an der Revolution beteiligt waren. Ein grundlegendes Problem ist, dass die Generäle immer wieder international unterstützt wurden, und diese Spannungen sich dann immer wieder in militärischen Konflikten entladen haben. Das ist das Ergebnis einer Politik, die von externen Akteuren wie der EU fortgeführt wird und in den Verhandlungen hauptsächlich mit den politischen Eliten geschehen, die Zivilbevölkerung aber meist außen vor lassen.

Das gilt auch für die EU?

Es gilt nicht nur für die EU. Ich würde sagen, es gilt für viele westliche Diplomat*innen. Wir sehen eine fortgeführte koloniale Politik, die weite Teile der Zivilbevölkerung ausschließt, was in einem ethnisch diversen Land wie dem Sudan höchst fatal ist und Menschen vom politischen Leben ausschließt.

Könnte überspitzt gesagt werden, dass die EU durchaus eine gewisse Mitverantwortung in der Entwicklung seit 2019 und in der Eskalierung letztes Jahr trägt?

Im Hinblick auf den erwähnten Khartum-Prozess kann ich dieser Überspitzung insofern zustimmen, dass die RSF einen erheblichen Teil ihrer Macht, ihrer finanziellen Ressourcen, ihrer Waffen und sogar auch die Ausbildung ihrer Soldaten durch den Khartum-Prozess erhalten hat. In diesem Zuge wurde die Miliz zu einer staatlichen Einheit. Das können wir der EU eindeutig zuschreiben, und dass die RSF jetzt zu einer solch großen Eskalation fähig ist, das ist auch mit darauf zurückzuführen.

Derzeit sprechen wir von der EU als einem Block. Kann überhaupt von einer EU-Position gesprochen werden, oder gibt es divergierende Interessen zwischen europäischen Staaten?

Es gibt definitiv unterschiedliche Interessen. Wenn wir zum Beispiel Frankreich und Deutschland miteinander vergleichen, dann war Deutschland immer sehr viel zurückhaltender als Frankreich, welches geopolitisch ein sehr viel größeres Interesse an der Region und der gesamten Sahelzone  hat. Frankreich trat immer stärker als Geldgeber auf oder als Organisator von Konferenzen zum Sudan, obwohl Deutschland auch immer wieder Geld für humanitäre Unterstützung geleistet hat. Mit Blick auf politische Interventionen oder diplomatischen Bestrebungen ist Deutschland eher zurückhaltend.

Trotz länderspezifischer Unterschiede ist dennoch eine einheitliche EU-Position erkennbar, in der die Stabilität des Sudans das oberste Gebot ist. Denn Konflikte wie im Sudan haben Auswirkungen auf die ganze Region. Die Externalisierung der EU-Außengrenzen zur Verhinderung von Migration kann eindeutig als eine gemeinsame Position der EU bezeichnet werden. Im Juli letzten Jahres, nur wenige Wochen nach Kriegsausbruch, hat die EU einen Migrationsdeal über 900 Millionen Euro mit Tunesien abgeschlossen, damit im Gegenzug Schlepper und illegalisierte Überfahrten gestoppt werden.

Du hattest Frankreich als Geldgeber und Organisator von Konferenzen angesprochen. Es fand vor knapp zwei Monaten eine internationale Geberkonferenz in Paris statt. Von Hilfen in Höhe von mehr als zwei Milliarden Euro sind 350 Millionen von der EU vorgesehen. Was ist über die Verwendung bekannt?

Ich habe tatsächlich keine Informationen darüber, inwiefern das Geld jetzt schon wie implementiert und umgesetzt wurde. Bekannt ist, dass die Mittel an schutzbedürftige Menschen im Sudan und den angrenzenden Ländern weitergeleitet werden und vor allem für Gesundheits- und Nahrungsmittelversorgung sowie für Unterkünfte verwendet werden sollen. Was ich aus meiner eigenen Recherchearbeit und aus Gesprächen mit selbstorganisierten humanitären Einrichtungen, die vor Ort aktiv sind weiß, ist, dass in der Vergangenheit Gelder häufig nicht vollständig angekommen sind. Ein Grund liegt darin, dass diese gerade aus westlichen Staaten stammenden Gelder immer an bestimmte bürokratische Prozesse gebunden sind, denen zivilgesellschaftliche Organisationen oft nicht entsprechen können.

Ich möchte nochmal auf die aktuelle Situation schauen. Der Krieg kommt nicht zu einem Ende, alle Friedensinitiativen verpuffen und die Meldungen über einem Genozid in Darfur nehmen zu. Welche Rolle sollte die EU einnehmen, um den Krieg zu beenden? Oder ist sie dazu gar nicht in der Lage?

Ich denke, dass die EU schon bemüht sein sollte, die Rolle einer Vermittlerin einzunehmen. Sie kann Plattformen und Möglichkeiten zur Vernetzung schaffen, und damit meine ich jetzt nicht unbedingt die militärischen Gruppen Sudans, sondern vor allem die Zivilbevölkerung wie etwa die Widerstandskomitees und zahlreiche andere Organisationen, die sich seit Jahrzehnten für Demokratie in ihrem Land einsetzen. Dies ist schon deshalb wichtig, weil der Krieg sich inzwischen ausgeweitet hat und nun auch weite Teile der Zivilbevölkerung umfasst. Es ist deshalb wichtig, mit der Zivilbevölkerung zu sprechen, bzw. diese Zivilbevölkerung selbst sprechen zu lassen und sie alle an einen Tisch zu holen. Denn am Ende sind es ja genau diese zivilen Gruppen, die vor Ort die Friedensarbeit leisten.

Hat die EU also die Rolle für Dich bisher noch nicht wahrgenommen?

Teilweise organisiert die EU Gespräche, aber immer hinter verschlossenen Türen und zumeist nur mit den politischen Eliten. Ob das jetzt eine weitreichende Unterstützung für eben diese ganzen lokalen Initiativen oder die Komitees ist, ich würde sagen eher «nein» und da muss die EU mehr machen. Ich glaube, eine Friedensinitiative nur zwischen den militärischen Akteuren wird nicht erfolgreich sein –der Krieg internationalisiert sich und beide Seiten erhalten zahlreiche Unterstützung von verschiedenen Ländern. Solange diese internationale Unterstützung weitergeht, solange wird sich auch das Kämpfen für beide Parteien lohnen, und solange werden auch Friedensverhandlungen vermutlich scheitern. Die große diplomatische Aufgabe liegt also darin, die internationale Unterstützung für die beiden Kriegsparteien einzudämmen, was nicht leicht werden wird, denn da liegen zum Teil millionenschwere wirtschaftliche Interessen dahinter. Trotzdem ist es notwendig, genau diese Geldhähne abzudrehen. Die Sanktionen gegen verschiedene Firmen der Industriekomplexe von RSF und SAF waren schon mal ein guter Anfang. Aber es müsste eben darüber hinaus noch weitergehen. Dazu muss die EU auch Akteure wie die Golfstaaten – welche hinter dem Militärs und der RSF stehen - einbinden.

Verglichen mit dem Krieg in Gaza, bekommt der Krieg im Sudan relativ wenig internationale Aufmerksamkeit. Was brauchen die Menschen in Sudan jetzt?

Humanitäre Hilfe ist angesichts der Zahlen absolut notwendig. Neue Schätzungen gehen von möglicherweise 2,5 Millionen Toten aus, die an den Folgen von Hunger bis September dieses Jahres ohne humanitäre Hilfe sterben könnten. Wir sehen sehr wenig Aufmerksamkeit für diesen Krieg, und auch in Deutschland wird der Krieg gerne als «der vergessene Krieg» betitelt. Ich würde sagen, es ist der «stark ignorierte Krieg». Was die Menschen brauchen, ist Aufmerksamkeit und nicht, dass die Welt ihnen den Rücken zudreht und sie mit diesen Massensterben alleine lässt. Es muss auch die Frage gestellt werden, warum das eigentlich so ist, dass der Krieg so wenig internationale Aufmerksamkeit erhält? Annalena Baerbock hat im Zusammenhang mit ihrem Fünf-Punkte-Plan unter anderem gesagt, es wäre eine Aufgabe auf den Krieg ein grelles Licht zu werfen. Dennoch findet in Darfur gerade ein Genozid statt und niemanden kümmert das. Auch das ist Teil der Verantwortung.

Ich finde noch wichtig zu betonen, dass neben der humanitären Hilfe auch die Abschottungspolitik beendet werden muss. Dazu zählt es, sichere Fluchtwege zu schaffen, aber auch den Menschen ein sicheres Ankommen zu ermöglichen, und nicht wie jetzt diese Menschen in riesigen Lagern in den Nachbarländern verhungern zu lassen und gezielt wegzusehen.