Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - UK / Irland - Demokratischer Sozialismus - Europa2024 Das Risiko des Scheiterns

In Großbritannien ist der Wahlsieg für die Labour-Partei sicher. Wird sie die Macht auch nutzen?

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John McDonnell bei einer Demonstration vor dem Innenministerium in London, 18.12.2023. Foto: IMAGO / ZUMA Wire

Wir stehen kurz vor einer Parlamentswahl, deren Ausgang bereits feststeht, bevor auch nur eine einzige Stimme abgebeben wurde. Der britische Premierminister Rishi Sunak hat wiederholt bewiesen, dass er kein politischer Lazarus ist, und die Frage lautet nicht, ob die Konservativen die Wahl verlieren werden, sondern nur wie hoch – und wie lange sie brauchen werden, um sich zu erholen, bzw. ob ihre Partei überhaupt überleben wird, zumal sie von rechts durch Nigel Farages Reformpartei bedroht wird.

John McDonnell ist seit 1997 Abgeordneter der Labour-Partei im britischen Unterhaus. Von 2015 bis 2020 war er Mitglied im Schattenkabinett von Jeremy Corbyn.

Im Fokus der politischen Debatte im Vereinigten Königreich steht also die Strategie der Labour-Partei für die Übernahme der Regierungsgeschäfte und die Zeit danach.

Das Großbritannien, das die Labour-Partei erben wird, ist gegenüber jenem Land vor zwanzig Jahren kaum wiederzuerkennen. Ungeachtet der hochtrabenden Rhetorik Sunaks und seines Schatzmeisters, Jeremy Hunt, über die Wirtschaftsleistung Großbritanniens ist unser Land in den letzten vierzehn Jahren konservativer Regierungsführung den Bach runtergegangen – und die Menschen wissen das inzwischen auch.

Heutzutage werden wir nach Generationen klassifiziert. Ich gehöre zu den glücklichen Babyboomern, die zwar in einem Slum geboren wurden, aber – dank sozialem Wohnungsbau, kostenloser Bildung sowie Arbeitsplätzen und Löhnen, die durch die Macht der Gewerkschaften gesichert waren – die Erwartung hegten, dass jedes Jahr besser sein werde als das vorherige, und dass jede Generation von den Errungenschaften, die die vorherige Generation erkämpft hatte, profitieren werde.

Margaret Thatcher zerstörte diesen Traum in den 1980er Jahren, aber die Rückkehr der Labour-Partei in die Regierung von 1997 bis 2010 hat uns zurück auf diesen Weg geführt, vor allem dank Gordon Brown.

Tragischerweise mussten wir in den vergangenen 14 Jahren konservative Regierungen ertragen, die von reichen Jungs dominiert waren, die unsere Wirtschaft plünderten, um sich und ihre Freunde noch reicher zu machen. Diesen konservativen Regierungen standen Führungsfiguren vor, von denen einer ein geborener Lügner war; einer anderen mangelte es so sehr an Selbstbewusstsein, dass sie ihre eigene Inkompetenz nicht erkennen konnte; und zuletzt eine, die so wohlhabend ist, dass sie sich die Verhältnisse, in denen die meisten Menschen leben, nicht mehr vorstellen kann. Alle zusammen kamen sie der Zerstörung des Grundgefüges unserer Gesellschaft gefährlich nahe.

Die Interpretation der Labour-Strateg*innen geht so: Die Dinge stehen so schlecht, und die inkompetenten Tory-Führer*innen haben das Vertrauen in die Politik so sehr zerstört, dass kein Mensch mehr einem Politiker glauben wird, der behauptet, er könne die Probleme lösen.

Wenn Labour bis zur Mitte der Legislaturperiode nicht beweist, ein Programm zu haben, das geeignet ist, die Gesellschaft umzugestalten, dann steht zu befürchten, dass die nächste Labour-Regierung den Weg vieler sozialdemokratischer Regierungen in ganz Europa gehen könnte.

Und im Gegensatz zu allen anderen politischen Kampagnen der Vergangenheit, die zumindest eine große Idee besaßen, besteht die große Idee für diesen Wahlkampf darin, keine großen Ideen zu haben. Stattdessen wird Labour aufgrund des Abscheus der Bevölkerung gegenüber den Konservativen an die Macht gespült.

Jeder Widerstand der Reichen und Mächtigen wurde vorab durch einen stillschweigenden Pakt neutralisiert, der ihnen versicherte, dass ihr Reichtum und ihre Macht nicht angetastet werden. Und genau deshalb sind die von Oppositionsführer Keir Starmer eingeleiteten «Ersten Schritte» so begrenzt. Seine sechs Maßnahmen waren kleine Schritte in die richtige Richtung, aber sie reichen bei weitem nicht aus, um eine Gesellschaft zu verändern, die unter grotesk hoher Armut, Ungleichheit und Unsicherheit leidet, deren öffentliche Dienste gerade zusammenbrechen und die am Abgrund einer verheerenden globalen Klimakrise steht.

Konservative Wähler*innen, die zu Hause bleiben, und der Umstand, dass ein Regierungswechsel geradezu in der Luft liegt, bedeuten, dass die Labour-Strategie höchstwahrscheinlich aufgehen wird.

Eine Maßnahme, die für die ersten 100 Tage der Regierung versprochen wurde und wirklich transformativ sein könnte, ist der New Deal für Arbeiter*innen. Denn er nimmt den Mächtigen ein Stück ihrer Macht. Der Deal bedroht den stillschweigenden Pakt der Parteiführung mit dem Establishment. Deshalb gab es eine so intensive Kampagne von Lobbyist*innen inner- wie außerhalb der Partei mit dem Ziel, ihn abzuschwächen. Wenn die Menschen die Tories nach der Wahl erst einmal losgeworden sind, dürften sie wahrscheinlich wieder geduldig werden und keine schnellen Lösungen über Nacht erwarten.

Die kritische Phase für die Labour-Regierung wird daher nicht das erste Jahr oder die ersten achtzehn Monate sein, sondern wahrscheinlich erst Ende 2026. Bis dahin wird die neue Regierung mehr als kleine Schritte brauchen, um zu zeigen, dass sie ernsthafte Fortschritte bei der Bewältigung der von ihr geerbten, toxischen Probleme macht. Wenn Labour bis zur Mitte der Legislaturperiode nicht beweist, ein Programm zu haben, das geeignet ist, die Gesellschaft umzugestalten und die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Krisen zu bekämpfen, mit denen wir konfrontiert sind, dann steht zu befürchten, dass die nächste Labour-Regierung den Weg vieler sozialdemokratischer Regierungen in ganz Europa gehen könnte.

Schauen Sie nach Deutschland, wo die Desillusionierung unter Aktivist*innen und die Enttäuschung der Wählerschaft nicht nur der konservativen Rechten, sondern auch der extremen Rechten und opportunistischen Demagog*innen aus der Linken, die auf den Zug der Migrantenfeindlichkeit und des Sozialkonservativismus aufspringen, die Tür geöffnet haben.

Die Aufgabe einer progressiven Linken ist es also, die Grundlagen für ein Halbzeitprogramm der Labour-Partei zu schaffen, um dieses Schicksal zu vermeiden, und Bündnisse mit sozialen Bewegungen aufzubauen, die dieses Programm unterstützen. Damit könnte sie die Hoffnung bieten, die im derzeitigen politischen Diskurs so sehr fehlt.

Übersetzung von Dorit Riethmüller.