Nachricht | Brasilien / Paraguay - Sozialökologischer Umbau - Klimakrise in der Stadt Die Ersten, die sterben

In Brasilien sind die Gemeinschaften in den Außenbezirken der Städte am stärksten vom Klimawandel betroffen

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Davi Amorim,

Ein Mann watet am Freitag, den 3. Mai 2024, in Porto Alegre im brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul durch ein von schweren Regenfällen überschwemmtes Gebiet.
Außenbezirk von Porto Alegre im brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul, 3. Mai 2024 Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Carlos Macedo

Also predigt man uns das Ende der Welt, um uns dazu zu bringen unsere Träume aufzugeben. Und meine Provokation vom Vertagen des Weltuntergangs geht genau darum; immer noch eine Geschichte mehr zu erzählen. Solange uns das gelingt, können wir das Ende noch ein Stück weiter vertagen.

Ailton Krenak, «Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen» (Übers. Michael Kegler)

Diese Erkenntnis von Ailton Krenak, dem brasilianischen indigenen Anführer, Umweltschützer, Philosoph, Dichter und Schriftsteller, bezieht sich auf die Existenz hunderter traditioneller Kulturen, die seit Jahrtausenden im Gleichgewicht mit den natürlichen Kreisläufen der Erde überleben, mit Weltbildern, die den Menschen nicht von der Natur getrennt, sondern mit ihr verbunden sehen. Konkret plädiert Krenak für ein Ende des Kapitalismus und der Kommodifizierung von Natur und Leben, um dieses Gleichgewicht endlich wiederherstellen zu können. Er schlägt auch Maßnahmen vor, um den autoritären Staat, die faschistische Ideologie, den Kolonialismus und den Fanatismus der Leugnung zu bekämpfen. Heute, da der Klimawandel für das Leben auf der Erde eine konkrete Gefahr darstellt und Fragen über die Lebensweise der brasilianischen Bevölkerung in den Städten aufwirft, sind seine Ideen von grundlegender Bedeutung. Wir können, wie Krenak argumentiert, die zerstörerischen Auswirkungen des kapitalistischen Wirtschaftsmodells nicht mehr ignorieren.

Davi Amorim ist ausgebildeter Journalist und arbeitet seit mehr als 20 Jahren im Bereich Medienkompetenz, Bildungsarbeit und Allgemeinbildung. Er koordiniert die Kommunikation der brasilianischen Bewegung der Abfallsammler*innen (Movimento Nacional dos Catadores de Materiais Recicláveis, MNCR) und kämpft als Aktivist für Klimagerechtigkeit im People's Nature Forum.

In städtischen Gebieten mit steigender Bevölkerungsdichte kommt es immer häufiger zu Extremwetterereignissen – wie die beispiellosen Überschwemmungen, die am 29. April 2024 begannen und mehr als 20 Tage lang 469 Städte in Rio Grande do Sul (dem südlichsten Bundesstaat Brasiliens) verwüsteten, wobei mehr als 2.345.400 Menschen betroffen waren und die Zahl der Todesopfer weiter steigt. Angesichts der schwerwiegenden Umweltkatastrophen hat sich der brasilianische Staat als unfähig erwiesen, Anpassungsstrategien und Notfallpläne zu koordinieren, insbesondere in den Städten. Ein Beispiel ist die Rückhalteinfrastruktur rund um den Guaíba-See in der Hauptstadt von Rio Grande do Sul, Porto Alegre, mit Deichen über insgesamt 68 Kilometer, einem Pumpensystem und 14 Schleusen, die 1960 errichtet wurden. Wegen mangelnder Wartung und weil ein rascher Anstieg des Wasserstands der Flüsse, die in den Guaíba fließen, erwartet wurde, musste das automatisierte System hochgezogen und verschweißt werden; dennoch brach eines der Schleusentore und ein Teil der Stadt wurde überflutet.

Immobilienspekulation und Gentrifizierung

Das brasilianische Institut für Geographie und Statistik (IBGE) veranschaulichte das Phänomen der städtischen Bevölkerungskonzentration in seiner jüngsten Volkszählung von 2022 und stellte fest, dass mehr als die Hälfte der 203 Millionen Einwohner*innen des Landes (54,8 Prozent) in einem Umkreis von 150 Kilometern von der Küste leben, während 41 Prozent weiter im Landesinneren und nur 4 Prozent in der Nähe der Grenze zu anderen Ländern wohnen.

In den Küstengebieten, wo sich der Großteil der brasilianischen Bevölkerung konzentriert, führt Immobilienspekulation zu ständigen Konflikten. Im Zentrum von São Paulo steht jedes fünfte Haus leer. Die Logik der Gewinnmaximierung im Immobiliensektor führt dazu, dass Eigentümer*innen hochwertige Gebäude leer stehen lassen, während sie auf Preissteigerungen oder bessere Angebote warten. Im Jahr 2023 waren in der Stadt 64.000 Menschen obdachlos, 16-mal so viele wie vor zehn Jahren.

Gleichzeitig zwingt die Politik der Gentrifizierung arme Bevölkerungsschichten aus den Wirtschaftszentren mit ihrer besseren städtischen Infrastruktur an die Peripherie, wo selbst die elementarsten Lebensgrundlagen wie Abwasserentsorgung, sichere Wohnungen oder Arbeitsplätze nicht gewährleistet sind. Diese Gebiete mit ihren schlechten Wohnverhältnissen sind in höherem Maße anfällig für die Auswirkungen von Katastrophen, die durch Extremwetterereignisse verursacht werden.

In den brasilianischen Städten floss der Großteil der öffentlichen Investitionen in der Vergangenheit in die wohlhabenden und zentral gelegenen Stadtteile. Infrastruktur, Parks, Baumpflanzungen, Planung und angemessene Straßen dort haben Priorität. Es ist daher ein Trugschluss zu glauben, dass Klimakatastrophen, die häufiger in Randgebieten auftreten, auf eine vermeintlich riskantere geologische Ausgangssituation zurückgehen. Die Wahrheit ist, dass die Gebiete am Standrand städtebaulich schlechter entwickelt sind als reiche Stadtviertel, eben weil es an öffentlichen Investitionen mangelt. In diesen Gebieten gibt es eine größere Anzahl von Gebäuden mit strukturellen Mängeln und der Anteil an prekären Wohnverhältnissen ist höher.

Die Menschen in den Außenbezirken sterben als Erste

Ein weiterer wichtiger Indikator für die Gefährdung der Bevölkerung in den Außenbezirken ist die Lebensdauer. Die vom Netzwerk Nossa São Paulo durchgeführte Erhebung 2023 Inequality Map zeigt, dass die Bewohner*innen der Außenbezirke der Stadt bis zu 23 Jahre früher sterben als die Menschen, die in den innerstädtischen Vierteln und in der Nähe der Wirtschaftszentren leben. Das durchschnittliche Lebensalter in wohlhabenden Vierteln wie Jardim Paulista oder Itaim Bibi liegt bei 82 Jahren, während es in Anhanguera, einem Viertel im äußersten Westen der Stadt, nur 59 Jahre beträgt.

Nach Angaben des Netzwerks Nossa São Paulo zeigen die Daten deutlich, wie sich Ungleichheit auf die Bevölkerung auswirkt: Kinder und Jugendliche sind stärker von gebietsspezifischen Risiken betroffen, während die Lebenserwartung älterer Menschen sinkt, weil die Voraussetzungen für eine gute Lebensqualität im Alter fehlen. Stadtrandgebiete mit geringerer Lebenserwartung haben mit hoher Bevölkerungsdichte, fehlender öffentlicher Infrastruktur und mangelnder sanitärer Grundversorgung zu kämpfen. Hinzu kommt ein Mangel an Ärzt*innen und anderem Gesundheitspersonal.

Covid, Denguefieber und andere Krankheiten

Anwohner*innen der Standrandgebiete sind am stärksten von extremen Klima- und Wetterereignissen betroffen. Sie leiden nicht nur am stärksten darunter, sondern sterben auch als Erste daran. Im Hinblick auf Pandemien und Epidemien, die häufig mit dem Klimawandel in Verbindung stehen, erinnern wir uns an das erste Opfer, das in Brasilien an COVID-19 starb: Cleonice Gonçalves, eine 63-jährige Schwarze, die als Hausangestellte arbeitete und von ihren Arbeitgeber*innen mit dem Virus infiziert wurde, als diese von einer Reise nach Italien zurückkehrten. Seitdem sind mehr als 700.000 Menschen an COVID-19 gestorben, und die meisten von ihnen (55 Prozent) waren laut IBGE Schwarze Menschen.

Anfang Mai 2024 sah sich das gesamte Land mit einer Dengue-Epidemie konfrontiert: Es gab über 4 Millionen Fälle, 2.197 bestätigte Todesfälle und 2.000 Todesfälle, die noch untersucht werden. Das Virus wird von der Gelbfiebermücke übertragen. Diese finet aufgrund der veränderten Klimabedingungen mit Regen, stehendem Wasser und warmem Wetter bessere Brutbedingungen vor, da ihre Eier schneller schlüpfen. Das zeigt  eine Studie der Forscher Antonio Carlos Oscar Júnior von der Staatlichen Universität von Rio de Janeiro (UERJ) und Francisco de Assis Mendonça von der Universidade Federal do Paraná (UFPR), die davon ausgehen, dass sich derartige Krankheitsausbrüche in Zukunft häufen werden, da sich die Stechmücken aufgrund der zunehmenden Hitzewellen und der unregelmäßigen Niederschläge auch im Winter schneller vermehren können.

Weitere Krankheiten, die mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht werden, sind Infektionskrankheiten wie Leishmaniose, Malaria und andere Krankheiten, die von Gliederfüßern wie Moskitos, Sandfliegen und Zecken übertragen werden, sowie Hepatitis, die durch Wasser übertragen wird und daher in Gebieten ohne sanitäre Grundversorgung häufiger auftritt. Dies ist etwa der Fall in einer Pfahlbausiedlung in der Stadt São Vicente an der Küste des Bundesstaates São Paulo. Hier wurden etwa 20.000 notdürftige Holzhäuser auf überschwemmten Land errichtet. Die Familien, die darin leben, befinden sich in einer prekären Situation und werden extrem stigmatisiert.

«Die Gesellschaft macht die Bewohner*innen der Pfahlbauten für den Müll in ihrer Umgebung verantwortlich, dabei wird der Müll vom Meer angespült. Wie sollten sich Menschen, die nicht genug zu essen haben, so teure Produkte leisten können? Darunter befinden sich Verpackungen von importierten Waren. Das kommt alles aus dem Wasser», erklärt die 50-jährige Gemeindevorsteherin Fran L'eraistre und fügt hinzu, dass Konzerne und reiche Landbesitzer*innen die Zerstörung der lokalen Mangrovenwälder vorantreiben, um dort Touristenresorts zu errichten. Da die Mangroven zerstört werden, kommt es in der Gemeinde häufiger zu Überschwemmungen. Auch die Stärke und Unregelmäßigkeit der Gezeiten wirken sich auf die Gemeinde aus, der es an Infrastruktur mangelt. Die größte Herausforderung sind allerdings die starken Hitzewellen, die das Leben in den prekären Hütten fast unerträglich machen.

«Die Wasser- und Stromversorgung in der Gemeinde ist unregelmäßig. Wir haben nur ein paar Stunden am Tag Wasser, also müssen wir es speichern, was die Wasserqualität beeinträchtigt. Das verursacht viele Krankheiten bei Kindern und Erwachsenen. Ärzt*innen meinen, dass Viruserkrankungen durch schlechtes Wasser übertragen werden», sagt L'eraistre. Sie glaubt, dass die Lösung für die Gemeinschaft nur in einem langfristigen Projekt liegen kann, das gemeinsam von Staat, Bundesstaat und Gemeinde durchgeführt wird und die aktive Beteiligung der Gemeinschaft ermöglicht.

Die Überflutung der Außenbezirke: Die Besonderheiten des Umweltrassismus in Brasilien

Die Küste des Bundesstaates São Paulo ist ein gutes Beispiel für systembedingte Widersprüche. Dort gibt es eine eine große Zahl von Grundstücken, die einer sehr wohlhabenden Elite gehören, die sich an schönen Naturlandschaften erfreuen will, während in derselben Gegend extrem gefährdete Bevölkerungsgruppen leben, wie etwa in Vila Sahy in der Stadt São Sebastião, wo die Hausangestellten und Arbeitskräfte der Reichen wohnen. Am 19. Februar 2023 zerstörte ein gewaltiger Sturm die Stadt, vor allem aber dieses ärmliche, ausgegrenzte Wohngebiet. Die gewaltigen Wassermassen zerstörten Dutzende von Häusern und lösten einen Erdrutsch aus, bei dem große Felsen verschoben wurden. Die Zahl der Todesopfer stieg auf 65, die meisten von ihnen waren Schwarze. Nach Angaben der lokalen Stadtverwaltung handelte es sich bei den Opfern um 25 erwachsene Männer, 22 erwachsene Frauen und 17 Kinder. In einem nur 1,5 km entfernten Viertel der Oberschicht an der Küste kam es zu Sachschäden, aber es gab keine Toten.

Betrachtet man die Verbindung zwischen sozialer Ungleichheit und Schutzmaßnahmen vor extremen Umweltereignissen, so kommt dem Thema Umweltrassismus in Brasilien eine besondere Bedeutung zu. Der Begriff wurde von Benjamin Chavis im Zusammenhang mit den Bürgerrechtskämpfen in den USA geprägt und bezeichnet rassistische Diskriminierung bei der Einführung und Umsetzung umweltpolitischer Maßnahmen. Im brasilianischen Kontext bezieht er sich auf institutionelle Aspekte, das heißt auf Politiken, Praktiken oder Richtlinien, die ungleiche Auswirkungen haben oder zu einer Benachteiligung von Schwarzen und Latinos führen. Wie die Wissenschaftler Julio Cesar de Sá da Rocha und Diosmar Marcelino Santana Filho 2008 in einem Paper schrieben, handelt es sich dabei um «die Trennung von Menschen (nach Rasse, ethnischer Zugehörigkeit, sozialem Status und Macht) und Orten (in Städte, Vorstädte, ländliche Gebiete, indigene Reservate, Candomblé-Terreiros, Quilombola-Gemeinschaften und traditionelle Muschel- und Fischergemeinschaften).» Das Arbeitsumfeld bestimmter Gruppen, schreiben sie, weise eine «unverhältnismäßig hohe Exposition der Arbeiter*innen gegenüber ungesunden Arbeitsbedingungen und Gesundheits- und Sicherheitsrisiken auf.»

Während viele ärmere Gemeinschaften unter dem Vorwand, Berghänge und Grünfläche müssten geschützt werden, Schikanen und Repressalien erfahren, wird die Umweltgesetzgebung bei kommerziellen und öffentlichen Großprojekten ganz anders gehandhabt. Dutzende von Umwelttragödien haben sich ereignet, ohne dass Gerichte die Verantwortlichen oder Konzerne, die von kriminellen Geschäften wie Mülldeponien, großen Immobilienprojekten in Naturschutzgebieten oder Tankstellenketten profitieren, zur Rechenschaft gezogen hätten.Obwohl die einfache Lebensweise der Bevölkerung in den Randgebieten sich weniger auf die Umwelt auswirkt, werden diese Bevölkerungsgruppen entweder unsichtbar gemacht oder als chronische Probleme des Sozialsystems betrachtet.

Eine Untersuchung der Agência Pública, auswertete, ergab, dass die zehn Bezirke mit den meisten gemeldeten Überschwemmungen einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Schwarzen Anwohner*innen aufweisen. Die Bezirke Jardim Helena – wo allein in den letzten zehn Jahren 2.000 Überschwemmungen gemeldet wurden –, Vila Jacuí und São Miguel Paulista liegen am Stadtrand in der Nähe des Flusses Tietê, flussaufwärts des Penha-Staudamms, der die Wassermenge des Flusses reguliert. In vielen Fällen wird eine bewusste Entscheidung zwischen der Überflutung des Stadtzentrums und der Überflutung der Außenbezirke getroffen. Manche Häuser dort stehen wochenlang unter Wasser und nicht selten verlieren die Bewohner*innen während der Regenzeit ihr gesamtes Hab und Gut.

Dürreperioden beeinträchtigen die Ernährungssicherheit

Der Großraum São Paulo  wird aber nicht nur von den übermäßigen Regenfällen,  sondern auch von Dürreperioden stark in Mitleidenschaft gezogen. Dies war beispielsweise 2014 der Fall, als das Cantareira-System, das aus fünf Staudämmen im Norden São Paulos besteht und neun Millionen Menschen versorgt, austrocknete. Das Wasser musste aus dem sogenannten «toten Reservoir» entnommen werden, dem verbleibenden Wasserreservoir von schlechter Qualität. Die Wasserversorgung und die Durchführung von Baumaßnahmen wurden stark eingeschränkt, um einen Zusammenbruch der Stadt zu verhindern. Die lokalen Unternehmen hatten Mühe, ihren Betrieb aufrechtzuerhalten, und die Veränderungen in der Landschaft der Favelas und Außenbezirke waren unübersehbar. Nach und nach hatte jedes kleine Haus einen oder mehrere Wassertanks – alle blau, Tausende von ihnen. Da das Wasser nur für einen begrenzten Zeitraum geliefert wurde und nur für wenige Stunden am Tag ankam, mussten die Menschen es lagern, um in Zeiten der Rationierung überleben zu können.

Ausbleibende Niederschläge beeinträchtigen auch die Ernährungssicherheit der armen Bevölkerung Brasiliens. Zu wenig Niederschlag führt dazu, dass Saatgut nicht keimen kann, zu viel Niederschlag führt zu Ernteausfällen. Unregelmäßige Regenzyklen führen zu Problemen bei den gängigen Nutzpflanzen, was die Lebensmittelpreise in die Höhe treibt und ebenfalls zu Knappheit und Hunger führt. Die brasilianische Regierung war nach den letzten Dürren nicht in der Lage, die staatlichen Nahrungsmittelreserven wieder aufzufüllen, wegen der niedrigen Erträge und hohen Preise der letzten Jahre.

Daten der fortlaufenden nationalen Haushaltserhebung in Brasilien (Pesquisa Nacional por Amostra de Domicílios Contínua, PNAD Contínua) zeigen, dass 64,2 Millionen Menschen im Jahr 2023 von einem gewissen Grad an Ernährungsunsicherheit (leicht, mittel oder schwer) betroffen waren. Die Folgen des Klimawandels werden die Ernten in den kommenden Jahren voraussichtlich noch stärker beeinträchtigen, und stellen damit ein zusätzliches Problem in ohnehin schwierigen Ernährungssituation der Bevölkerung dar.

Die Gefahr der städtischen Erwärmung

Die Unvorhersehbarkeit von Extremereignissen hat das Nationale Meteorologische Institut Brasiliens (INMET), das für die Beobachtung des Klimas des Landes zuständig ist, dazu veranlasst, eine Veröffentlichung der klimatologischen Normalwerte Brasiliens 1991–2020 herauszugeben, die die Klimaveränderungen der Jahre 1931–1960, 1961–1990 und 1981–2010 aufzeigt. Aus den Daten geht hervor, dass die letzten 10 Jahre eine große Anzahl extremer Niederschlagsereignisse mit mehr als 100 Millimeter pro Stunde aufweisen, die ein hohes Überschwemmungsrisiko mit sich bringen.

Extreme Ereignisse sind auch für die Luftqualität und ihre Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit von Bedeutung. Die Forschung zeigt, dass Perioden intensiver Kälte und Hitze in direktem Zusammenhang mit der Sterblichkeit stehen, insbesondere bei Menschen über 65 Jahren, die in Großstädten leben. Sara Lopes de Moraes von der Universität São Paulo (USP) untersuchte den Zusammenhang zwischen diesen Hitzewellen und dem städtischen Wärmeinseleffekt – einem Phänomen, bei dem die Temperaturen in städtischen Gebieten durch die stärkere Aufheizung der gebauten Umwelt deutlich höher sind als in ländlichen oder vorstädtischen Gebieten. Die Ergebnisse ihrer Studie zeigen, dass die hitzebedingte Sterblichkeitsrate der über 65-Jährigen während der Hitzewelle 2014 in Gebieten mit niedrigem Einkommen bei 22,8 Prozent lag, während sie in Gebieten mit hohem Einkommen nur 16,1 Prozent betrug.

Ein neues Stadtmodell

Unser Stadtmodell und das damit verbundene Gesellschaftsmodell müssen dringend überdacht und verändert werden. Es braucht ein umfassendes Investitionsprogramm für die Randbezirke, das die Abwasserentsorgung und -aufbereitung berücksichtigt, die Stadtplanung und das Prinzip «Housing First» – eine zentrale Forderung der brasilianischen Obdachlosenbewegung. Es braucht einen neuen Urbanisierungsansatz, der die Entwicklung einer ergänzenden städtischen Infrastruktur mit angepassten Verkehrswegen, öffentlichen Verkehrsmitteln und mehr Grünflächen, einschließlich Parks und ökologischen Korridoren, umfasst. Das Manifest «A Call for an Eco-Social Transition in Brazil», das 2021 von einer Gruppe von Aktivist*innen veröffentlicht wurde, schlägt ein solch neues Stadt- und Konsummodell mit dringenden Maßnahmen zur radikalen Verteidigung des Lebens vor. Der Übergang muss kollektiv gestaltet werden – indem den Gemeinschaften Gehör geschenkt wird und öffentliche Investitionen denjenigen zugute kommen, die sie am dringendsten benötigen.
 

[Aus dem Englischen von Camilla Elle und Charlotte Thießen für Gegensatz Translation Collective.]