Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Europa2024 Europas Linke stellt sich neu auf

Die Wahlen zum Europaparlament haben auch das Kräfteverhältnis der linken Parteien untereinander verschoben

Information

Autorin

Johanna Bussemer,

Walter Baier, Spitzenkandidat der Europäischen Linken, beim Wahlkampfauftakt (26.2.2024 in Ljubljana, Slowenien). Bild: European Left

Linke Wahlerfolge in Finnland und Schweden

Zwei Wochen nach den Europawahlen ist es eindeutig, wie grundlegend sich die Landkarte der linken Parteien in Europa verändert hat. Waren es lange die Die Linke aus Deutschland und die ab 2015 in Griechenland erfolgreiche Partei Syriza unter Alexis Tsipras, die eine größere Anzahl Abgeordnete in die linke Fraktion (früher GUE/NGL – heute The Left) im Europaparlament sendete, nehmen nun die französische La France Insoumise und die bei den Europawahlen sehr erfolgreichen nordischen Linken eine führende Rolle ein.

Johanna Bussemer leitet das Europa-Referat der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Denn die linke Gewinnerin dieser Europawahlen ist die finnische Linkspartei Vasemmistoliitto mit ihrer Spitzenkandidatin Li Andersson. Das Linksbündnis hat mit einem Wahlergebnis von spektakulären 17,3 Prozent (die Prognosen sagten um die 11 Prozent voraus) gezeigt, wie man mit einer klaren Positionierung zu den Kriegen in der Ukraine und in Gaza erfolgreich sein kann. Dank einer landesweit gut orchestrierten Kampagne ist es Vasemmistoliitto gelungen, sich in schwierigen Zeiten als zweitstärkste Kraft im Land zu behaupten. Li Andersson kündigte direkt nach ihrer Wahl an, in Brüssel eine «moderne Linksfraktion» im Parlament schaffen zu wollen.

Die Zustimmung zu Waffenlieferungen an die Ukraine auf der einen und eine Politik der Solidarität mit Palästina auf der anderen Seite teilt die finnische Linkspartei mit ihrer schwedischen Schwesterpartei Vänsterpartiet, die mit 10,9 Prozent auch ein sehr gutes Ergebnis einholte.

Frankreichs Neuwahlen sind entscheidend für die politische Ausrichtung Europas

Auch in Frankreich konnte La France Insoumise (LFI) mit 9,9 Prozent ein stabiles Ergebnis erreichen und wird in der zukünftigen linken Fraktion mit 9 Abgeordneten vertreten sein. Die Parti Communiste jedoch, Ende der 1970er Jahre mit stolzen 19 Abgeordneten im EP vertreten, verpasste den Einzug jetzt zum zweiten Mal.

In Frankreich hat sich nach der Ankündigung Macrons, wegen des schlechten Abschneidens seiner Partei Neuwahlen auszurufen, relativ rasch gezeigt, dass in der allergrößten Not breitere linke Bündnisse geschmiedet werden können. Denn abermals geht es darum, die Vorherrschaft des Rassemblement National und damit die Präsidentschaft Marine Le Pens zu verhindern. Während Macron der Brandmauer gegen Rechts und damit auch sich und seiner Regierung neuen Auftrieb verleihen könnte, stehen nun die Chancen für einen linken Wahlerfolg in Frankreich nicht schlecht, denn rechnerisch hatten Mitte-links Parteien bereits bei der Europawahl gemeinsam eine Mehrheit in Frankreich (9,9 Prozent La France Insoumise, Réveiller l'Europe 13,8 Prozent, EELV/Les Verts 5,5 Prozent, sonstige Linke 3,5 Prozent). Die Mitte-links Parteien in Frankreich hatten mit ihrem im letzten Jahr gemeinsam erarbeiteten Programm NUPES – die Bildung einer gemeinsamen Liste scheiterte auch hier letztendlich an den außenpolitischen Fragen Naher Osten und NATO –ein gutes Übungsprogramm für die nun so schnell anberaumten Wahlen.

Die nun gegründete Union Populaire liegt in aktuellen Umfragen auch nur knapp hinter dem RN. Allerdings tut die französische liberale Presse gerade alles, um diesen Erfolg aufzuhalten. Ihnen ist die potentielle Bewerbung Jean-Luc Mélenchons, der nicht selten als «linkspopulistischer Volkstribun» beschrieben wird, ein Dorn im Auge. Die französischen Medien machen sich damit zu einem billigen Steigbügelhalter für die Rechtsextremen.

Neue, linke Bündnisse in Europa?

Die bereits erwartete Initiative der Parteien, die seit längerem Kritik an der Europäischen Linkspartei geübt hatten, ließ nach den guten Wahlergebnissen nicht lange auf sich warten: die finnische Left Alliance, zuletzt als Beobachter in der Europäischen Linken, trat gleichzeitig mit dem portugiesischen Bloco aus der europäischen linken Partei aus. Gemeinsam mit La France Insoumise und der schwedischen Vänsterpartiet kündigten beide Parteien die Bildung einer neuen links-grünen europäischen Partei an. Dieser Entwicklung vorausgegangen war eine lange Periode des Ringens um gemeinsame Positionen innerhalb der europäischen Linken, in der zahlreiche kleine kommunistische und sozialistische Parteien vertreten sind, einige davon entfernt, Repräsentanten nach Brüssel zu senden. Zuletzt konnte in kaum einer zentralen außenpolitischen Frage mehr Einigkeit hergestellt werden. Insbesondere in Bezug auf das Verhältnis zu Russland gingen die Positionen seit Beginn des Angriffskrieges weit auseinander. Ein neues Bündnis schafft für die beteiligten Parteien die Möglichkeit, diese Konflikte abzuschütteln und an die Erfolge der linksgrünen Koalitionen auch auf der Ebene der europäischen Kooperation anzuknüpfen.

Denn tatsächlich gab es bei der Europawahl einen weiteren Überraschungserfolg: das 2022 gegründete linksgrüne Bündnis Alleanza Verdi e Sinistra in Italien erreichte 6,8 Prozent und errang damit 6 Mandate. Sinn Féin in Irland schnitt mit 11,1 Prozent ab, blieb jedoch weit hinter den Erwartungen zurück. Sinn Féin verfolgt im EP einen links-sozialdemokratischen Kurs, aber vor allem das Ziel, die irische Einheit voranzutreiben. Auch wenn es einige gegenteilige Spekulationen gegeben hat, ist ein Verbleib in der Gruppe von The Left wahrscheinlich, trotz des größeren Einsatzes der Sozialdemokratie für die Vereinigung.

Stabile Ergebnisse mehrerer linker Parteien

In anderen west- und südosteuropäischen Ländern schnitten linke Parteien mit Ergebnissen zwischen rund 4 und 8 Prozent ab. So erreichte das spanische Linksbündnis Sumar unter der charismatischen Arbeitsministerin Yolanda Díaz nur 4,7 Prozent der Stimmen. Díaz ist daraufhin von ihren Ämtern bei Sumar zurückgetreten, bleibt aber Sozial- und Arbeitsministerin in Spaniens Regierung. Sumar und Podemos waren nicht zusammen angetreten. Zwei der drei Parlamentarier von Sumar werden sich jedoch der grünen Fraktion anschließen.

Podemos erreichte 3,3 Prozent und kann sich damit genauso viele Plätze im Europäischen Parlament sichern wie Sumar. Auch der portugiesische Bloco schnitt mit 4,3 Prozent der Stimmen schlechter ab als zuvor und verliert damit einen seiner bisherigen zwei Sitze. Die dänischen Enhedslisten konnten ihren Sitz mit 7 Prozent halten, aber nicht an den Erfolgskurs ihrer skandinavischen Nachbarinnen anknüpfen. Für Levica, die in Slowenien aktuell drei Ministerinnen in der Regierung stellen, reichten die errungenen 4,8 Prozent nicht für einen Sitz im EP. In Polen dagegen bekommt das sozialdemokratisch-links orientierte Bündnis Lewica drei Sitze. Der ehemalige Sejm-Abgeordnete und offen homosexuell lebende Politiker Robert Biedroń wird mit zwei weiteren Kolleg*innen sicher ins EP einziehen. Alle drei Abgeordneten werden jedoch die sozialdemokratische Fraktion verstärken. Kein Mitglied der links orientierten Partei Razem konnte über die Liste ins Europaparlament einziehen.

Die zypriotische AKEL erreichte sogar 21,5 Prozent, verliert damit aufgrund der geringen Größe des Landes aber einen ihrer bisherigen Abgeordneten. Auch die belgische PTB (Parti du Travail de Belgique) und die PVDA (Partij van de Arbeid van België) erreichten mit 5,5 und 5,1 Prozent insgesamt gute Ergebnisse.

Spaltungen schwächen ehemalige linke Schwergewichte

Für Griechenland und Deutschland verändert sich aufgrund der Spaltung von Die Linke und Syriza einiges in Bezug auf die Repräsentanz der Parteien im Europäischen Parlament: Syriza, die nach der Spaltung verstärkt einen sozialdemokratischen Kurs einschlagen, jedoch  – so munkelt man im politischen Europa –  von der Sozialdemokratie angeblich nicht in ihre Reihen aufgenommen werden, sind weiterhin mit vier Plätzen vertreten. Für die linksgerichtete Abspaltung Nea Aristera und die Varoufakis-Partei MeRA25 hat hingegen mit jeweils 2,5 Prozent der Einzug nicht geklappt. Dafür ist die sich in den letzten Jahren modernisierende Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) wieder mit zwei Kandidaten vertreten.

Wahrscheinlich werden die nun nur noch drei Kandidat*innen der deutschen Linken weiterhin mit vielen ihrer Schwesterparteien eine Fraktion bilden. Aktuell changiert die mögliche Größe der Fraktion um die 39 Abgeordneten. Noch ist nicht klar, wie die weiteren Entwicklungen aussehen werden.

Hier könnten jedoch insbesondere in der europäischen Außenpolitik in Bezug auf die Ukraine, den Gaza-Krieg und das Verhältnis zu Russland und die Frage nach Militärkooperationen verstärkt Konflikte auftreten.

Die skandinavischen Parteien haben gezeigt, dass ihr progressiver Politikstil und ihre eindeutige Haltung zur Ukraine und zum Gaza-Konflikt gepaart mit klaren Positionen zur Klimapolitik, erfolgreich sein können und werden verstärkt Einfluss auf die Ausrichtung von The Left nehmen wollen. Hier kann es vor allem zu Konflikten mit der ebenfalls starken Gruppe von La France Insoumise und dem Bloco auch im Hinblick auf den Umgang mit den Europäischen Institutionen kommen. Falsch ist jedoch die oft kolportierte vermeintliche Nähe des Bloco und LFI zum Bündnis Sarah Wagenknecht. Sowohl in Frankreich als auch in Portugal bleibt eine pro-migrantische Perspektive ein Kernstück linker Politik.

Da der gleichzeitige Verbleib von BSW und Die Linke in einer Fraktion jedoch aktuell ausgeschlossen scheint, kann es sein, dass sich eine zweite Gruppe anbahnt, in der neben BSW auch die italienische 5 Sterne Bewegung vertreten sein könnte. Zur Bildung einer Fraktion braucht es jedoch eigentlich mindestens 23 Abgeordnete aus sieben EU-Mitgliedsstaaten. Es könnte sein, dass sich Katherina Konecnà, die ihren Sitz für die kommunistische Partei Tschechiens mit dem Bündnis Stacilo wider Erwarten verteidigen konnte, sich der Gruppe anschließt.

Die Linke in Europa steht also vor großen Herausforderungen in Hinblick auf ihre programmatische Einigkeit, die Gruppenbildung im Europäischen Parlament, aber auch den Erhalt der europäischen Linkspartei European Left. Dabei ist eine klare, linke Einheit gerade jetzt angesichts des sich manifestierenden Rechtsruckes dringend nötig.