Nachricht | Sozialökologischer Umbau - Klimakrise in der Stadt Klimawandel bringt Städte in Not

Die Klimakrise stellt Städte auf der ganzen Welt vor immer größere Herausforderungen

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Hohe Temperaturen in Mexiko-Stadt. Eine Frau trinkt Wasser aus einem Wasserspender, um sich zu erfrischen, während sie auf dem Hauptplatz von Mexiko-Stadt spazieren geht. am 26. Mai 2024
Hitzwelle in Mexiko-Stadt, 26. Mai 2024 Foto: IMAGO / aal.photo

2023 lagen die durchschnittlichen Temperaturen 1,45°C über dem vorindustriellen Durchschnitt und machten es zum mit Abstand wärmsten Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Die neuen Rekorde könnten auch das Pariser Abkommen und das Ziel, die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, hinfällig machen. In einer aktuellen Umfrage unter Klimawissenschaftler*innen, von denen viele dem Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) angehören, hält mehr als die Hälfte der Expert*innen einen Anstieg der durchschnittlichen Oberflächentemperatur von über 3°C bis Ende des Jahrhunderts für wahrscheinlich.

Mit jedem Anstieg der globalen Temperaturen verschärfen sich auch die Auswirkungen des Klimawandels. Allein dieses Jahr gab es Hitzewellen in Indien, Mexiko und auf den Philippinen, katastrophale Stürme in den USA, verheerende Überschwemmungen in Afghanistan und Deutschland sowie vernichtende Waldbrände in Chile. Die Folgen klimabedingter Extremwetterereignisse für die sozio-ökonomische Entwicklung sind bereits heute in vielen Ländern der Welt zu spüren, wobei ein Großteil davon kaum für die Klimakrise verantwortlich ist. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung trägt so viel zum Klimawandel bei wie zwei Drittel der Menschheit. Diese ungleiche Verteilung der CO2-Emissionen und deren Folgen lässt sich nicht nur im Vergleich zwischen unterschiedlichen Ländern beobachten, sondern zeigt sich auch innerhalb der Länder selbst.

David Williams leitet das Programm für Klimagerechtigkeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York.

Insbesondere Städte sind ein gutes Beispiel für das Ungleichgewicht, das sich sowohl in der Anhäufung von Wohlstand und im Konsumverhalten ausdrückt, als auch darin, wer am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen ist. Heutzutage lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten – um die 4,4 Milliarden Menschen – wobei diese Zahl in den kommenden Jahren weiter steigen dürfte. Besonders ausgeprägt sind die Wachstumsraten im globalen Süden – dort leben bereits heute 75 Prozent der globalen Stadtbevölkerung. Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Städte haben in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit von Politik und Wissenschaft auf sich gezogen. So arbeitet der IPCC derzeit an einem Sonderbericht über Klimawandel und Städte, der 2027 fertiggestellt werden soll.

Mit den sich schnell verschärfenden Folgen des Klimawandels mehren sich auch in den Städten die Verteilungskämpfe um Arbeitsplätze, Land, angemessenen Wohnraum und Zugang zu sozialen Diensten. Wenn Stadtverwaltungen nicht entsprechend planen, werden die Bevölkerungsgruppen, die bereits heute aufgrund von Einkommen, ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Geschlecht oder Klasse an den Rand gedrängt sehen, die größten Verluste erleiden. Ziel dieses Dossiers ist es nicht nur, unser kollektives Bewusstsein für diese intersektionellen Dynamiken zu schärfen, sondern auch Ansatzpunkte und Strategien aufzuzeigen, mit denen wir uns von der lokalen bis zur nationalen und internationalen Ebene organisieren können.

Der Essay von ActionAid verortet die Dynamik der Auswirkungen des Klimawandels in Städten im historischen Kontext des Kolonialismus und zeigt, wie sich diese auf die Entstehung und Ausdehnung von Städten im globalen Süden heute auswirkt. Digital storytelling soll dabei helfen, wissenschaftliche Hintergrundinformationen zum Klimawandel und zu Urbanisierungstrends zu veranschaulichen und den Zusammenhang zwischen Wohnungskrise und Klimakrise zu verdeutlichen. Das Interview mit einer Wissenschaftlerin der Universität Zürich zeigt, wie die Klimafinanzierung für Städte des globalen Südens zunehmend durch den Finanzsektor geregelt wird und wie sich dies auf die Stadtpolitik und die Verteilung der Ressourcen auswirkt.

Fallstudien aus der ganzen Welt gehen auf die diversen Erscheinungsformen des Klimawandels an verschiedenen Orten ein und setzen sich mit den Maßnahmen auseinander, mit denen auf lokaler Ebene darauf reagiert wird. Der Essay aus Argentinien führt in das Konzept des urbanen Extraktivismus ein und veranschaulicht die Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und ungerechter Raumplanung und -verteilung. Was der Klimawandel für marginalisierte Communitys bedeutet, wird in einem Essay aus Brasilien veranschaulicht, wo Überschwemmungen mit einem erhöhten Risiko von Krankheiten wie z.B. Dengue- oder Zika-Fieber einhergehen und mit den zunehmenden Dürren und Hitzewellen eine neue Form des Umweltrassismus entsteht. Ein weiterer Essay befasst sich mit der Wasserversorgung von Mexiko-Stadt und der paradoxen Situation von Wasserüberfluss einerseits und Wasserknappheit andererseits, die zum Zentrum politischer Auseinandersetzungen geworden ist und den Kampf mehrerer Nachbarschaftsorganisationen für Umweltgerechtigkeit antreibt.

Mit dem Anstieg des Meeresspiegels nimmt auch die Küstenerosion im Senegal zu, wo Luftverschmutzung durch Transportverkehr und unangemessene Wohnraumversorgung weitere Formen ökologischer Ungerechtigkeit darstellen. Der Essay befasst sich mit den Folgen für die lokalen Communitys, geht auf die diesbezüglichen politischen Maßnahmen ein und macht Verbesserungsvorschläge. Das koloniale Erbe des Apartheidregimes und seine Auswirkungen auf den Zugang zu Grünflächen in Zeiten zunehmender Hitze werden in einem Text aus Südafrika beschrieben. In Indien wiederum sind insbesondere Arbeiter*innen aus dem großen informellen Sektor aufgrund der Hitzebelastung überproportional von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Dieser Essay stellt mögliche Maßnahmen vor, mit denen die Politik auf die Gefahren der rapiden Verstädterung reagieren könnte und betont, wie wichtig es ist, lokale Verwaltungen bei der Erarbeitung von nationalen und internationalen Aktionsplänen einzubeziehen.

Aber nicht nur in den Ländern des globalen Südens sind marginalisierte Communitys überproportional von zunehmender Hitze und häufigeren Extremwetterereignissen betroffen: Der Artikel aus den USA erzählt die Geschichte einer Nachbarschaftsorganisation, die lokale Communitys in New York zusammenbringt und sich für mehr Klimagerechtigkeit in der Stadt einsetzt, indem sie auf die Zusammenhänge zwischen steigenden Mieten, gentrifizierungsbedingter Verdrängung und rassistischer Segregation aufmerksam macht.

Schließlich geht es darum, Maßnahmen zu ergreifen: Auch wenn die jeweiligen Städte und ihre spezifischen Problemlagen nie identisch sind, so gibt es doch Gemeinsamkeiten, die es uns ermöglichen, die Herausforderungen auf struktureller Ebene anzugehen. Die Studie Urban Grassroots Engagement in Global Climate Debates aus dem New Yorker Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung untersucht die globale stadtpolitische Landschaft und gibt zivilgesellschaftlichen Organisationen Anregungen, wie sie ihre politische Teilhabe in internationalen politischen Entscheidungsprozessen stärken können.
 

[Übersetzung von Charlotte Thießen und Camilla Elle für Gegensatz Translation Collective]